Bildung

Mannheimer Eltern mobilisieren für neunjähriges Gymnasium

Es ist ein wichtiger Etappensieg. Die Eltern in Baden-Württemberg, die für ein neunjähriges Gymnasium kämpfen, haben die Unterschriften für einen Volksantrag zusammen. Wie die Landesregierung jetzt unter Druck gerät

Von 
Bertram Bähr
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Eine von vielen Aktionen: Unterschriftensammlung am Paradeplatz am 9. September, hier mit Ralf Kittel (v.l.), Anja Plesch-Krubner und Elisa Hippert. © Christoph Blüthner

Mannheim. Ein Wechselbad der Gefühle liegt hinter den Eltern, die für die Wiedereinführung des flächendeckenden neunjährigen Gymnasiums (G9) in Baden-Württemberg kämpften.

Aber jetzt ist es geschafft: Die „Initiative G9 jetzt!“ hat knapp zwei Wochen vor Ende der Abgabefrist für einen Volksantrag nicht nur die erforderlichen 38 556 Unterschriften von Wahlberechtigten zusammen - sondern mit sage und schreibe 77 838 fast doppelt so viele. Damit ist der Landtag gezwungen, sich mit dem elfseitigen Gesetzentwurf der Elterninitiative zu befassen.

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Innerhalb eines halben Jahres müssen die Abgeordneten zu einer Entscheidung kommen. Sollten sie den Entwurf der Initiative ablehnen oder Änderungen vornehmen, steht den Eltern ein Volksbegehren offen.

„Ich bin beeindruckt von dem Ergebnis“, sagt Ralf Kittel, Vorstandsmitglied im Mannheimer Gesamtelternbeirat (GEB). Ohne die Ehrenamtlichen, die sich so sehr ins Zeug gelegt hätten, „wäre das nicht so gelaufen - eine tolle Leistung“.

Dicke Packen mit prallvolle Unterschriftenlisten 

Dass die Eltern ihr Ziel erreichen würden, war zwischenzeitlich alles andere als klar. Zwar startete die Initiative am 12. November 2022 fulminant in die Sammelaktionen. Im Januar zeigte sich der GEB-Vorsitzende Thorsten Papendick angesichts der bisherigen Resonanz sicher, dass die Hürde locker zu schaffen sein würde. Bei der Heidelbergerin Anja Plesch-Krubner - sie ist gemeinsam mit Corinna Fellner aus Amtzell im Allgäu Sprecherin der Initiative - gingen dicke Packen mit prallvollen Unterschriftenlisten ein.

Aber Anfang September musste sie „zugeben, dass wir uns verschätzt haben“. Zwei Monate vor der Abgabefrist fehlten noch fast 16 000 Unterschriften - mehr als 40 Prozent. „Das ist beunruhigend“, sagte Plesch-Krubner damals. Und: Um das Ziel noch zu erreichen, „brauchen wir jetzt einen echten Ruck“.

Dass zum Ende der Sammlung noch so viel Dynamik direkt bei den Eltern entsteht, die quer durch die Stadt fahren, um Anträge einzuwerfen oder auch postalisch zuzusenden, hat mich dann doch überrascht.
Ralf Kittel Vorstandsmitglied im Mannheimer Gesamtelternbeirat

Der Ruck kam - und wie: Seitdem „hat sich die Situation drastisch verändert“, berichtet Ralf Kittel: „Überall sind lokale Sammelgruppen entstanden, die sich zusammengeschlossen haben.“ Und überall starteten sie Aktionen, in der Region zum Beispiel auf dem Paradeplatz, dem Ladenburger Altstadtfest, der Edinger, Eppelheimer, Feudenheimer und Seckenheimer Kerwe oder dem Rheinauer Siedlerfest.

Über das vergangene Wochenende war Ralf Kittel ein paar Tage weg. Als er zurückkam, so berichtet er, „hat mich fast der Schlag getroffen. Der Flur voll mit Briefen in allen Größen und Dutzende Einzelblätter“ mit Zustimmungserklärungen zum Volksantrag: „Dass zum Ende der Sammlung noch so viel Dynamik direkt bei den Eltern entsteht, die quer durch die Stadt fahren, um Anträge einzuwerfen oder auch postalisch zuzusenden, hat mich dann doch überrascht.“

In der Landespressekonferenz an diesem Donnerstag in Stuttgart verglich Anja Plesch-Krubner die Entwicklung mit einem Tanker, „der langsam in Fahrt kommt. Da muss man viel Energie reinstecken. Aber dann ist er, so schwer wie er ist, auch nicht mehr zu stoppen. Wir Bürger werden nicht lockerlassen, die Landesregierung wird das Thema G9 nicht mehr loswerden.“

Lob für „Omis aus Mannheim“

Für den Volksantrag lagen die bürokratischen Hürden hoch. Die Kommunen mussten prüfen, ob die jeweiligen Unterzeichnenden wahlberechtigt sind. In Mannheim nahm der GEB den Eltern einen Großteil der Formalitäten ab. Aber das administrative Prozedere ging landesweit nicht ohne Verzögerungen und Missverständnisse ab, wie Plesch-Krubner und Fellner betonen.

Umso stolzer sei man darauf, die erforderliche Zahl an Unterschriften fast verdoppelt zu haben - wobei in den nächsten Tagen sicher noch viele weitere Bögen eingehen, die noch in Umlauf sind. Die am Donnerstag schon fast 78 000 Unterzeichner zeigten, wie überwältigend die Unterstützung für G9 sei - nicht zuletzt in Mannheim.

Dort, so Plesch-Krubner, hätten beispielsweise „viele Omis empathisch für ihre Enkel unterschrieben“. Oder ein Bademeister sei, „als die Formblätter ausgegangen sind, zum Kopierer gerannt und druckte nach. Es gab spontane Hilfsaktionen auf der Straße von Unterstützern. Man hat gemerkt, alle packen an, helfen mit, damit wir das erreichen“, freut sich Plesch-Krubner.

Mannheimer Eltern sind richtig sauer

Der bürokratische Aufwand sei nicht nur für die Eltern enorm gewesen, betont GEB-Mann Ralf Kittel - sondern auch „ein Kraftakt für unsere Bürgerdienste“. Kittel schätzt, dass die Verwaltung am Ende mehr als 3000 Beteiligungen auf Wahlberechtigung geprüft hat. Dass das Ziel so deutlich erreicht wurde, zeige dem GEB: „Die Mannheimer Eltern sind richtig sauer.“

Gerade hier hatte der Rückzug des Karl-Friedrich-Gymnasiums (KFG) aus G9 vor mehr als drei Jahren eine Lücke hinterlassen. Das KFG war das einzige allgemeinbildende öffentliche Gymnasium in Mannheim, das an einem landesweiten Modellversuch mit 44 Schulen teilnehmen durfte - dann aber aus organisatorischen Gründen ausgestiegen war.

Fulst-Blei: Landesregierung muss einlenken 

Mehrere andere Gymnasien hatten großes Interesse, an die Stelle des KFG zu treten, etwa Elisabeth-, Johanna-Geissmar- oder Ludwig-Frank-Gymnasium. Aber das Kultusministerium lehnte ab.

Ihre „Blockadehaltung“, so der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei, müsse die Landesregierung „nach diesem überwältigenden klaren Signal endlich aufgeben“. Für ihn ein „erster Schritt“: Die Zulassung des Mannheim laut Modellversuch zustehende G9-Gymnasiums.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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