Mannheim. Suizid ist nicht strafbar - darum ist auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar. Dürfen aber Vereine wie in der Schweiz Suizidassistenz anbieten? 2015 entschied der deutsche Gesetzgeber: Nein. Und erließ einen neuen Paragrafen 217, der geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellt. Fünf Jahre später, im Februar 2020, erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelung für verfassungswidrig. Das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ und die „Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen“. Mit dem Verbot sei die Selbstbestimmung aber unmöglich. Nun muss das Gesetz neu gefasst werden.
Frau Hertlein, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht weiter möglich, die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe zu verbieten. Was ist dann die Lösung, wo werden künftig die Grenzen gezogen, gibt es die überhaupt?
Regina Hertlein: Die Karlsruher Richter haben in einem hohen Maße die Autonomie des Menschen betont, sie haben es fast als ein Grundrecht bezeichnet. Bei einem neuen Gesetz - und das anzugehen, wird eine der ersten Aufgaben der neuen Bundesregierung sein - wird es also darum gehen, die Selbstbestimmung des Menschen zu achten, ohne den Lebensschutz zu vernachlässigen. Wir müssen alles dafür tun, dass Selbsttötung nicht eine normale Art des Sterbens wird. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Menschen einen inneren oder gesellschaftlichen Druck empfinden, jetzt wäre es an der Zeit, aus dem Leben zu gehen.
Begriffserklärung
Direkte/Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) ist in Deutschland verboten. Spritzt ein Arzt oder ein Dritter einem Patienten ein tödliches Medikament, wird das nach § 216 Strafgesetzbuch bestraft (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre).
Aktive Sterbehilfe ist in den allermeisten Ländern Europas verboten, Ausnahmen sind Belgien, Luxemburg und die Niederlande.
Passive Sterbehilfe (Sterbenlassen) ist seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs 2010 erlaubt. Ein schwer kranker Patient wird, sofern eine Patientenverfügung oder eine Willensäußerung vorliegt, nicht weiter behandelt, die Magensonde wird entfernt, die künstliche Beatmung abgestellt oder gar nicht erst begonnen, im besten Fall in Absprache mit dem Betroffenen oder den Angehörigen. Lediglich die Basisbetreuung ist Pflicht (Körperpflege, Durstgefühl stillen, etc.).
Indirekte Sterbehilfe ist erlaubt. Durch eine Behandlung, die Gabe eines Medikaments etwa, das die Schmerzen eines Patienten im Endstadium lindert, wird in Kauf genommen, dass sich die Lebenszeit verkürzt, der Tod früher eintritt als ohne die schmerz-/symptomlindernde Behandlung.
Beihilfe zum Suizid (Hilfe bei der Selbsttötung) ist erlaubt. Selbsttötung ist nicht strafbar, so dass auch die Beihilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist. Ein Todkranker bittet seinen Freund, ihm ein todbringendes Medikament zu besorgen, das macht dieser, gibt es dem Todkranken, der das Medikament selbst einnimmt und stirbt.
Woher kommt dieser Druck?
Hertlein: Viele Menschen machen sich den Druck selbst, sie haben Angst, die Pflege könnte zu teuer werden und dann ist das Haus weg. Oder sie fürchten, anderen zur Last zu fallen. Hier ist es Aufgabe etwa für uns als Caritas, den Menschen diesen Druck zu nehmen, ihnen zu sagen: Du darfst zur Last fallen, ich mache das als Säugling, auch da bin ich total pflegebedürftig, und am Ende des Lebens ist es auch so. Es geht nicht darum, das Leben um jeden Preis zu verlängern, es geht darum, es nicht aktiv zu verkürzen.
Was ist im Falle einer unheilbaren Erkrankung? Viele Menschen haben große Angst, am Ende ihres Lebens unnötig leiden zu müssen.
Hertlein: Was sie aber nicht müssen! Die Palliativmedizin, die Begleitung und Versorgung schwerkranker Menschen, ist heutzutage so gut und weit, dass niemand Schmerzen leiden muss. Das geht hin bis zur palliativen Sedierung, so dass der Mensch in einen Dämmerzustand kommt.
Aber was bringt das - warum dann nicht schon früher dem Leiden und Leben ein Ende setzen?
Hertlein: Weil auch die letzte Phase eine lebenswerte Zeit ist. Als ich Leiterin des St- Vincent-Hospizes in Mannheim wurde, hatte ich großen Respekt vor der Aufgabe. Ich habe erlebt, wie im Hospiz gesungen und gelacht und natürlich auch geweint wird. Das ist das pralle Leben mit allen Einschränkungen, die da sind. Das hat mich sehr beeindruckt. Viele Menschen regeln am Ende ihres Lebens auch noch viele Dinge oder nehmen Kontakt auf zu Freunden oder Verwandten, zu denen sie keinen Kontakt mehr hatten.
Zur Person
Regina Hertlein ist seit Januar 2011 Vorstandsvorsitzende des Caritasverbands Mannheim.
Sie hat Religionspädagogik und Gemeindepastoral in Freiburg und später Betriebswirtschaftslehre an der Berufsakademie in Mannheim studiert.
Von 2004 bis 2006 war die 57-Jährige Heimleiterin im Joseph-Bauer-Haus und Leiterin des St. Vincent Hospizes.
„Hospizarbeit heute: Was folgt aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beihilfe zum Suizid?“ So lautet der Titel eines Symposiums des St.-Vincent-Hospizes am Samstag, 6. November, 10 bis 15 Uhr im Rosengarten.
Zugangsvoraussetzung: geimpft, genesen oder negativer PCR-Test, maximal 48 Stunden alt, Maskentragen ist Pflicht. Anmeldung unter 0621/72 01 15 02 oder per E-Mail an jasmin.bugert@caritas-mannheim.de.
Das werden sich viele Menschen nur schwer vorstellen können, zumal wenn sie noch fit und gesund sind.
Hertlein: Deshalb ist es auch wichtig, dass wir uns Zeit nehmen für einen Diskurs und nicht mit fertigen fundamentalistischen Meinungen kommen.
Wenn sich aber ein Mensch partout wünscht, aus dem Leben zu scheiden - trotz aller Behandlungsoptionen oder Beteuerungen, dass er nicht zur Last fällt?
Hertlein: Dann muss es darum gehen, diesem Wunsch, das Leben zu beenden, nachzuspüren und herauszufinden, was ihn tatsächlich zu diesem Schritt bewegt.
Aber wie autonom und frei kann ein Wille gebildet sein? Jeder Mensch steht doch immer unter äußeren Einflüssen.
Hertlein: Um sicherzustellen, dass der Sterbewunsch dauerhaft, ernsthaft und frei geäußert wird, muss es in einem neuen Gesetz eine Pflicht zur Aufklärung und Beratung geben. Das bedeutet allerdings auch, dass wir für diese Beratungsleistung die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen müssen. Das können die ambulanten Pflegedienste und die Pflegerinnen in Heimen nicht noch on top erledigen. Und - ja - der Mensch ist autonom, er ist aber auch immer interdependent, er lebt in Familien- und Freundschaftsbezügen. Das beeinflusst die freie Willensbildung, es macht aber auch etwas mit den Betroffenen. Wenn der Vater oder die Mutter, die Nachbarin oder der Freund sagt, ich möchte Hilfe zum Sterben, muss das Umfeld, Freunde, Verwandte, das erst einmal verkraften. Da bleiben vielleicht auch Schuldgefühle.
Werden auch Beratungsstellen in Trägerschaft der katholischen Kirche solche Gespräche anbieten, wenn diese gesetzlich verpflich-tend würden, damit ein Sterbe-williger Beihilfe zum Suizid erhalten kann?
Hertlein: Der Caritas-Bundesverband hat sich dazu schon positioniert, und auch ich vertrete die klare Meinung: Wir manövrieren uns ins Abseits, wenn wir uns aus diesem Beratungsfeld verabschieden. So wie es auch seinerzeit ein Fehler war, sich aus der Schwangerschaftskonfliktberatung zurückzuziehen. Ziel eines Beratungsgesprächs muss sein, unter Achtung der Autonomie ergebnisoffen zu beraten und alles, was Lebenswertheit ausmacht, in die Waagschale zu legen.
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