Mannheim. Ein ausgeprägter Latissimus, Gluteus und natürlich ein Sixpack: Für manche Frauen bedeutet ein perfekter Körper nicht nur Schlanksein und Fitness, sondern auch deutlich sichtbare Muskeln. Muskulöse Frauenkörper sind in der Gesellschaft jedoch vielfach als nicht ästhetisch betrachtet. Anouke Fischer ist Bodybuilderin. Die Mannheimerin hat im Alter von 19 Jahren gerade den Gesamtsieg der Overall Deutschen Meisterin Bikini in St. Leon-Rot abgeräumt. Im Interview spricht sie über den bei Frauen oft umstrittenen Sport.
Frau Fischer, Sie sind für eine Bodybuilderin noch sehr jung, oder?
Anouke Fischer: Das stimmt, ich wurde immer „Küken“ genannt. Die meisten Leute haben in dem Alter nicht das Mindset, den Sport so extrem auszuleben. Oder die finanziellen Mittel.
Ist Bodybuilding ein teures Hobby?
Fischer: Es ist sauteuer! Das günstigste ist die Gym-Mitgliedschaft, aber man muss extrem viel Geld für Essen ausgeben. Man muss jeden Tag das gleiche Essen, das muss konstant so eingekauft werden. Fleisch, das ich sonst nicht in diesen Mengen essen würde, Reisflocken, Nussmus, Omega-3, Proteinpulver, Kreatin für den Muskelaufbau. Man kann nicht einfach Reste essen oder sich irgendetwas zusammenmixen.
Wie viel Hunger mussten Sie aushalten, damit Ihre Muskelstrukturen für den Wettkampf so deutlich zutage tritt?
Fischer: Das war nur eine sehr kurze Phase am Anfang der Diät, als ich langsam mit den Kalorien runtergegangen bin. Hunger war nicht das Problem, aber ich hatte wenig Energie.
Ich war an meiner körperlichen Grenze, aber genau da habe ich einfach immer weitergemacht
Wie viel leiden und kämpfen steckt in Ihrem „perfekten“ Körper?
Fischer: Extrem viel. Das Leid und das Kämpfen waren die größten Emotionen in der Wettkampf-Vorbereitung. Ich hatte Momente, in denen ich auf dem Cardio-Fahrrad saß und habe wirklich geschrien und geweint. Nicht, weil irgendetwas wehgetan hätte, sondern weil ich psychisch nicht mehr konnte. Ich war an meiner körperlichen Grenze, aber genau da habe ich einfach immer weitergemacht. Das ist eine reine Kopfsache.
Kam Aufgeben jemals für Sie infrage?
Fischer: Ich habe während der Diät nicht mehr solchen Spaß am Krafttraining gehabt wie sonst. Und das war ja eigentlich der Grund, warum ich damit angefangen habe. Ich habe so eine Liebe zu dem Sport entwickelt. Aber Aufgeben war für mich nie eine Option.
Warum nicht?
Fischer: Ich bin sehr ehrgeizig. Ich hatte mich zu dem Wettkampf entschieden und wollte daran wachsen. Wenn du nicht mehr weitermachen willst, ist das der Punkt, an dem du weitermachen musst. Denn das ist der Punkt, an dem alle anderen aufhören.
Was für ein Körpergefühl haben Sie jetzt?
Fischer: Im Moment bin ich auf jeden Fall zu dünn, ich will wieder an Körperfett und Muskeln zunehmen. Das ist langfristig kein gesundes Stadium.
Zur Person Anouke Fischer
- Anfang 2022 beginnt Anouke Fischer mit dem Krafttraining.
- Sie trainiert fünfmal pro Woche für jeweils eineinhalb Stunden.
- Aktuell arbeitet sie als Personaltrainerin in einem Fitnessstudio.
- Am 11. November 2023 gewinnt sie die Overall Deutsche Meisterschaft Bikini in St. Leon-Rot.
- Im nächsten Jahr beginnt sie voraussichtlich ein Studium der Sportwissenschaften oder Sport und Bewegung in Bielefeld oder Karlsruhe.
- Ihr Traum ist es, sich mit Lifestyle Coaching eine Selbstständigkeit aufzubauen.
Hat Bodybuilding für Sie auch etwas damit zu tun, wehrhaft zu sein?
Fischer: Bodybuilding eher nicht, das ist für mich ein Präsentationssport. Aber das Krafttraining: Ja, das hat auf jeden Fall etwas mit Stärke zu tun. Es ist aber nicht nur die äußere Stärke, mehr Gewicht bewegen zu können, sondern auch die Kopfstärke, „Nein“ sagen zu können und seine Frau zu stehen.
Manche Frauen beginnen aufgrund einer großen persönlichen Verletzung heraus mit dem Sport. War das bei Ihnen ein Antrieb?
Fischer: Nicht direkt. Meine Mutter hatte mal vermutet, dass ich mit dem exzessiven Krafttraining eine Lücke fülle, weil ich ohne Vater aufgewachsen bin. Dass ich selbst diese Stärke entwickeln wollte, weil kein starker Papa für mich da war. Es kann sein, dass ich das unterbewusst so entwickelt habe. Mit dem Kraftsport habe ich aber angefangen, um mich noch sportlich zu betätigen, als während der Corona-Pandemie kein Vereinssport mehr möglich war.
Bei Frauen sehen viele Menschen Bodybuilding kritischer als bei Männern. Haben Sie schon mal erlebt, dass Freunde oder Familie Ihren muskulösen Körper infrage stellen?
Fischer: Ja. Sie haben mich gefragt, ob ich das wirklich schön finde und auf Dauer so aussehen will. Sie sagen, das sei nicht mehr weiblich und kein Mann würde das attraktiv finden.
Wie gehen Sie damit um?
Fischer: Es schwer ist jemandem zu erklären, der nicht selbst diesen Sport macht oder sich damit auseinandersetzt. Es ist in Ordnung, dass meine Familie, Freunde und die Mehrheit der Menschen das so sieht. Aber wenn ich mich damit wohlfühle, ist mir vollkommen egal, wie jemand findet, dass ich damit aussehe. Auch wenn es meine eigene Mutter ist, die das findet. Ich mache den Sport nicht für irgendjemand anderes, sondern für mich.
Haben Sie denn Angst davor, die Weiblichkeit zu verlieren?
Fischer: Nein. Vor dem Wettkampf hatte ich eigentlich nur Angst vor dem Danach, ob ich dann vielleicht so dünn bleiben will. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt viele Faktoren, die ich mit mehr Gewicht schöner finde, wieder ein bisschen mehr Kurven haben zum Beispiel.
Kurven haben Sie absolut, sie sind nur knallhart austrainiert …
Fischer: Ich habe gerne einen trainierten Rücken, ein Sixpack und Streifen in den Schultern. Aber in der Diät für das Bodybuilding auf der Bühne bin ich einfach geschrumpft, als hätte man mich im Viereck gecroppt. Aktuell finde ich mich selbst zu dünn. Wenn der Kalorienzuschuss kommt, wird das Erscheinungsbild wieder weiblicher und weicher. Ich fühle mich gerne wieder voll und stark.
Gibt es für Sie ein Zurück zum „normalen“ Körper?
Fischer: Nein, ich würde nebenbei immer Krafttraining machen. Es gibt mir das Gefühl von stetiger Verbesserung, weil man immer wieder an sich arbeitet und 101 Prozent gibt.
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