Justiz

Mannheim: Prozessbeginn nach tödlichem Raserunfall auf der B36

Bei einem waghalsigen Überholmanöver auf der B36 stirbt im Sommer 2024 eine Frau. Nun muss sich der Unfallfahrer vor Gericht verantworten.

Von 
Agnes Polewka
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Eine Entscheidung in dem Verfahren könnte Ende Februar fallen. © Michael Ruffler

Mannheim. Am 8. Juni 2024, kurz vor 14 Uhr, ist eine 43 Jahre alte Frau in ihrem Fiat 500 auf der B36 von Mannheim-Neckarau in Richtung Neuostheim unterwegs. Es herrscht viel Verkehr, der sich im Baustellenbereich ballt. Da nähert sich ein Fahrzeug, laut Mannheimer Staatsanwaltschaft erreicht der VW Passat über 100 Kilometer pro Stunde in der 50er-Zone. Er rast die Straße entlang, touchiert dabei den Seitenspiegel eines Fahrzeugs, der durch die Wucht der Berührung abgerissen wird.

Doch der VW-Fahrer rast weiter auf der zweispurigen B36 entlang und versucht, zwischen dem Fiat der 43-Jährigen und einem Ford – beide sind auf zwei Spuren nebeneinander unterwegs – hindurchzufahren. Er will die Fahrzeuge quasi mittig überholen und rammt dabei beide. Durch die Wucht des Aufpralls wird der Fiat der 43-jährigen Frau gegen die Leitplanke geschleudert. Die Fiat-Fahrerin wird so schwer verletzt, dass sie wenig später stirbt. Weitere Menschen, die in den Fahrzeugen unterwegs sind, tragen zum Teil schwere Verletzungen davon. So rekonstruiert Oberstaatsanwältin Jeannette Zipperer am Donnerstag vor dem Landgericht in Mannheim einen Unfall, der im Sommer 2024 viele Menschen in der Stadt bewegt hat. Sie wirft dem Unfallfahrer, dem 52-jährigen Gerhard W. aus Mannheim, eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs sowie Totschlag vor.

Dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt

Weil der Mann an einer paranoiden Schizophrenie leide, soll er im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben, Zipperer beantragt deshalb die dauerhafte Unterbringung des Mannes in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Immer wieder rutscht dem Softwareentwickler, der neben seinem Verteidiger, Rechtsanwalt Hanns Larcher aus Mannheim, sitzt, die Brille von der Nase, weil einer der Bügel fehlt. Er trägt ein kariertes Hemd, hat eine Halbglatze. Er scheint aufmerksam zuzuhören, während die Oberstaatsanwältin spricht. Aktuell ist er im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (Wiesloch) untergebracht, zwei Pflegende haben ihn in den Verhandlungssaal begleitet. Dessen Türen schließen sich nach der Verlesung der Antragsschrift für alle Prozessbeobachterinnen und -beobachter, die weiteren Prozesstage finden auf Antrag der Verteidigung nicht-öffentlich statt. Erst ganz zum Schluss des Verfahrens, zur Urteilsverkündung, ist die Öffentlichkeit wieder zugelassen.

Im weiteren Verfahren, das bis Ende Februar terminiert ist, wird das Schwurgericht die vorgetragenen Vorwürfe nun auf ihre Stimmigkeit überprüfen – und es wird der Frage nachgehen, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus notwendig ist. Die wird vor allem auf Grundlage der Ausführungen des Psychiatrischen Sachverständigen Dr. Hartmut Pleines aus Heidelberg erfolgen. Dass sich eine Strafkammer gegen eine beantragte Unterbringung ausspricht, kommt nur äußerst selten vor.

Sollte das Schwurgericht die dauerhafte Unterbringung von Gerhard W. anordnen, dann gilt diese Anordnung zunächst grundsätzlich „unbefristet“. Allerdings sieht das Gesetz eine jährliche Überprüfung vor. Und die erfolgt bei einer mit drei Berufsrichtern besetzten Strafvollstreckungskammer. Für jene Männer und Frauen, die in der forensischen Psychiatrie am PZN Wiesloch untergebracht sind – am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit gibt es keine Abteilung für Maßregelvollzug –, ist ein am Landgericht Heidelberg angesiedelter Spruchkörper zuständig.

Deutsche Gerichte stellen immer häufiger fest, dass Beschuldigte schuldunfähig sind. Dies ergab eine Datenanalyse der Strafverfolgungsstatistik durch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.

Anstieg der Fälle laut Datenanalyse

Laut „Spiegel“ lag der Anteil der Schuldunfähigen bei „Straftaten gegen das Leben“ – dazu gehören Mord und Totschlag – zwischen 2002 und 2012 immer relativ konstant bei rund acht Prozent. Seitdem soll die Zahl aber kontinuierlich angestiegen sein, auf rund 16 Prozent im Jahr 2022, dem letzten Jahr, für das der Redaktion Daten vorlagen.

Die Autoren kommen nach der Auswertung der Zahlen und einer Vielzahl von Expertengesprächen zu dem Schluss: „Die Gesellschaft scheitert zunehmend daran, psychisch kranke und drogenabhängige Menschen angemessen zu versorgen. Die Justiz wird zum Auffangbecken für Versäumnisse an anderer Stelle.“

Redaktion

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