Wieder Nager ausgewildert

Mannheim ist laut Experten "die letzte Chance für Feldhamster"

Die Mannheimer Umweltbürgermeisterin Diana Pretzell hat nun zum dritten Mal Feldhamster ausgewildert. Die ersten beiden taufte sie Romeo und Julia. Welche Namen sie sich jetzt ausgesucht und was es damit auf sich hat

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Steffen Mack
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Erste Bürgermeisterin Diana Pretzell mit einem Hamster bei der Wiederansiedelung in Strassenheim. © Michael Ruffler

Mannheim. Auf den letzten Metern vor der Wildnis spricht Diana Pretzell ihr noch Mut zu. Die Mannheimer Umweltbürgermeisterin geht mit dem Gesicht ganz nah an die Transportbox, die sie seit einer Viertelstunde etwa trägt. „Hey, du Süße!“, sagt sie leise. Die Hamsterfrau kommt nah an die Plastikscheibe und schaut zurück. Die ganze Zeit schon hat sie Pretzell immer wieder eine Weile neugierig gemustert.

Dass zwischen der Grünen („Ich liebe diese Tiere!“) und jener Spezies offensichtlich eine große gegenseitige Zuneigung besteht, war schon 2021 zu bestaunen. Damals wilderte Pretzell ein halbes Jahr nach Amtsantritt ihren ersten Feldhamster aus. Und weil der ihr auch während ihrer Rede unentwegt schmachtend wirkende Blicke zuwarf, taufte sie ihn Romeo. Und voriges Jahr entließ sie dann noch eine Julia in die Freiheit.

Marco Sander bei der Auswilderung eines Feldhamsters in Strassenheim. © Michael Ruffler

Welcher Name es diesmal sein soll, ließ sich Pretzell auf dem Weg zu dem Straßenheimer Feld vom „Mannheimer Morgen“ noch nicht entlocken. Aber wie Eltern, die das Geschlecht ihres Kindes vor der Geburt noch nicht kennen, hat sie sich zweigleisig vorbereitet.

Die Hamster werden bis zu 35 Zentimeter groß

Um das vom Feldhamster-Experten Ulrich Weinhold überreichte Weibchen als solches zu identifizieren, muss man sich nicht sonderlich in den Geschlechtsmerkmalen der bis zu 35 Zentimeter großen Tiere auskennen. Die Boxen sind entweder mit einem rosa oder einem blauen Punkt markiert.

Also wird Pretzell nun einer Bertha die Freiheit schenken. Benannt nach Bertha Benz, wie die Bürgermeisterin bestätigt. Jetzt lässt sich zumindest erahnen, wie sie einen männlichen Hamster getauft hätte.

Pretzell bringt gleich noch weitere Namen ins Spiel, die von Kenntnis der Automobil-Erfindung zeugen: Sie hoffe, dass Bertha viele „Mercedesse“ in die Welt setze, „auch wenn sie es nicht nach Pforzheim schafft“.

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Auswilderung der Feldhamster in Mannheim



Weinhold widerspricht lachend: „Die darf gerne hierbleiben!“ Die in Mannheim wieder angesiedelten Populationen seien die einzig nennenswerten in Baden-Württemberg, somit für die akut vom Aussterben bedrohte Tierart überlebenswichtig. „Die letzte Chance für Feldhamster liegt tatsächlich hier in Mannheim.“

Weil mit dem Bau der SAP Arena im Bösfeld einige ihrer wichtigen Lebensräume zerstört wurden, werden seit 2007 in Mannheim an mittlerweile mehreren Stellen zum Ausgleich Feldhamster ausgewildert. Das geschieht in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium. Nach Angaben von Pretzell wurden bisher insgesamt 2369 der Nager, die aus einer Aufzuchtstation ist im Heidelberger Zoo stammen, in die Freiheit entlassen.

Im Bösfeld (von dem manche in der Lokalpolitik meinen, dort könne man ein neues Fußballstadion für den SV Waldhof bauen) verlaufe die Wiederansiedlung weiter sehr erfolgreich. In Straßenheim stagniere sie aktuell eher.

An diesem Nachmittag kommen nun immerhin weitere zehn Exemplare hinzu. Den Anfang macht die Bürgermeisterin mit Bertha. Doch die will erst gar nicht weg. Als Weinhold das Dach der Transportbox entfernt, verkriecht sie sich tief unten ins Stroh. Der Biologe bugsiert sie in eine Röhre, die ihr aus dem Gehege im Zoo eigentlich vertraut sein sollte.

Damit will Pretzell sie dann in eines vorher für diesen Zweck gebuddelten Löcher heben und rauslassen. Aber Bertha hat offenbar andere Pläne, lässt sich erst zurück in die Röhre fallen, dann krabbelt sie oben halb heraus. Schließlich plumpst sie dann doch nach unten.

Hamster Bertha will gleich wieder raus aus ihrem neuen Zuhause

Die Bürgermeisterin und der Biologe werfen das Stroh, einen Apfel und weiteren Proviant hinterher. Doch kurze Zeit später ragt Berthas Schnauze mit den Schnurrbarthaaren schon wieder heraus. Weinhold hält ihr eine hochgestreckte Hand entgegen, schon ist sie wieder weg. „Das ist der natürliche Fluchtreflex.“

Den wird sie hier brauchen, am Himmel kreisen schon Raubvögel. CDU-Stadtrat und Hobby-Ornithologe hat zuvor bereits einen Turmfalken und einen Rotmilan identifiziert. Der Erstgenannte tue Feldhamstern nichts, der Zweitgenannte schon. Die stehen auch bei Störchen oben auf dem Speiseplan, von denen eine ganze Armada auf dem Acker nebenan herumläuft.

Ein Feldhamster bei der Auswilderung begutachtet sein neues Zuhause in Strassenheim. © Michael Ruffler

Zum Auswildern ist auch eine noch größere Schar Menschen gekommen, darunter aus dem Gemeinderat auch Claudia Schönig-Kalender (SPD), Gabriele Baier (Grüne) und Andreas Parmentier (Tierschutzpartei). Dem Anlass am entsprechendsten gekleidet sind indes Pretzell, Weinhold ein Mitarbeiter von ihm. Sie tragen einheitliche grüne T-Shirts mit Hamstern drauf. Der Biologe hat die für sein Team anfertigen lassen, seines hat er indes halb unter seinem Hemd versteckt.

Stadt Mannheim gibt für 180 Hamster dieses Jahr 180 000 Euro aus

Er erklärt, dass Feldhamster auch eine wichtige ökologische Funktion erfüllten, und keineswegs nur als Teil der Nahrungskette. Mit ihrem Buddeln im Boden versorgten sie diese mit Nährstoffen. In jenen Landschaftsschutzgebieten würden auch vermehrt Feldhasen, Feldlerchen und Rebhühner registriert.

180 000 Euro gibt die Stadt Mannheim dieses Jahr wieder für das Projekt aus. Bei 180 ausgewilderten Hamstern lässt sich auch ohne Taschenrechner erahnen, wie viel das pro Tier ist. Bezahlt werden muss neben dem Aufzucht-Projekt in Heidelberg ein Ausgleich für Landwirte, die ihre Felder zur Verfügung stellen.

In der Natur beträgt die Lebenserwartung der Tiere nicht mal ein Jahr. Pretzell lässt gleich noch ein männliches frei. Carl - sie hat seine Box eben erst in die Hand gedrückt bekommen, da konnten noch keine zarten Bande entstehen - sträubt sich noch ein bisschen mehr als Bertha, aber dann ist auch er im Boden verschwunden. Jetzt braucht die Dezernentin fürs nächste Mal wieder zwei neue Namen.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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