Gesellschaft

Luigi Toscano und Holocaust-Überlebende im Dialog mit Mannheimer Schülern

Der Mannheimer Filmemacher und Fotograf Luigi Toscano und die Holocaust-Überlebende Anna Strishkowa haben das Mannheimer Moll-Gymnasium besucht – und dort auch Fragen über den Krieg in der Ukraine beantwortet.

Von 
Roland Schmellenkamp
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Anna Strishkowa beantwortet die Fragen der Schüler. Von ihrem Schicksal erzählt Luigi Toscano (r.) in seiner Dokumentation. © Roland Schmellenkamp

Mannheim. Grausame deutsche Geschichte, die erfolgreiche Suche nach der Herkunft eines Adoptivkinds und die schreckliche Gegenwart in der Ukraine: Von alldem erzählt der Dokumentarfilm „Schwarzer Zucker, rotes Blut“ des Mannheimer Fotografen und Filmemachers Luigi Toscano.

Mit Hartnäckigkeit, intensiver Suche und schließlich einem entscheidenden Hinweis aus dem Archiv des Vernichtungslagers Auschwitz ist es dem Filmemacher gelungen, die biologische Familie der Hauptperson seiner Dokumentation, der Holocaust-Überlebenden Anna Strishkowa, ausfindig zu machen. Beide, Toscano und Strishkowa, sind am vergangenen Donnerstag zu Gast im Mannheimer Moll-Gymnasium gewesen. Dort wurde zuerst der eineinhalb Stunden lange Film gezeigt – und danach konnten die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen stellen.

Luigi Toscano



Der in Mannheim lebende Fotograf Luigi Toscano gab am 11. Februar sein Bundesverdienstkreuz zurück – als Reaktion auf den Bundesantrag von CDU/CSU zur Migrationspolitik , der mit der Stimmen der AfD eine Mehrheit hatte.

Toscano wurde weltweit bekannt durch sein Projekt mit 400 großformatigen Porträts von Überlebenden des Holocaust. Seine Ausstellung „Gegen das Vergessen“ wird vom 25. April bis 15. Mai mit rund 80 Portraits rund um den Wasserturm zu sehen sein.

In der ARD-Mediathe k ist ein sechs Minuten langer Beitrag zu seinem Film unter dem Titel „Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano – Gegen das Vergessen“ zu sehen. Einen Trailer dazu gibt es auf www.luigi-toscano.com/film.

Die Dokumentation beginnt ergreifend, als Annas Tochter Olga ein von ihr formuliertes Gedicht zu den Kindern im Vernichtungslager Auschwitz vorträgt. Auch die Worte von Anna Strishkowa berühren: „Der Krieg hat mir alles weggenommen. Mein Zuhause, meine Eltern. Alles wurde durch eine Nummer ersetzt. 69929.“ Ungefähr zweieinhalb Jahre alt war das kleine Mädchen, als es nach Auschwitz verschleppt wurde. An das Lager kann sie sich kaum noch erinnern, aber gut an das Tätowieren der Nummer. Anna überlebte, sie wusste nur ihren Vornamen – nicht den Nachnamen, nicht ihr Alter und auch nicht, woher sie stammt. Bald wurde das Kind dann von einer ukrainischen Familie adoptiert.

Die Nummer des Todeslagers wurde ihr nach der Adoption entfernt. Sie habe bei ihren Stiefeltern und auch danach ein glückliches Leben geführt, sagt die alte Dame, die als Biologin arbeitete. Vergeblich hat Anna Strishkowa als Erwachsene versucht, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Sie gab mit ihren Nachforschungen auf. Luigi Toscano betont im Film: „Ich wollte alles wissen über deine Geschichte. Mehr als du selbst.“ Er flog nach Jerusalem, um zu recherchieren und erfuhr dort, dass die Nummer 69929 einem Menschen mit über 50 Jahren zugeordnet werden kann. In Auschwitz selbst gab es kaum Dokumente, die SS hatte viel vernichtet.

Während der Dreharbeiten griff Russland die Ukraine an

Doch der Leiter des Archivs stieß auf einen Hinweis – und das Landeskriminalamt Stuttgart bestätigte durch eine Analyse eines alten russischen Propagandafilms, in dem Anna und ihre Adoptivmutter gezeigt werden, seine Idee: Statt 69929 war Anna Strishkowa die Nummer 61929 tätowiert worden. Und so fanden Toscano und seine Helfer in der Ukraine doch noch Verwandte von ihr. Tragisch: Während der Dreharbeiten griff Russland die Ukraine an, und Anna Strishkowa musste wieder im Krieg um ihr Leben fürchten.

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Von
Stefan M. Dettlinger
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Nach dem Film lautete eine Frage, ob sie sich habe vorstellen können, dass nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs die Ukraine Deutschland um Hilfe bitten muss. Ihre Antwort: „Viele Jahre hatte ich Angst, wenn ich die deutsche Sprache hörte. Doch die Ukraine muss um Hilfe bitten. Bedanken möchte ich mich beim deutschen Volk und der Regierung für die Unterstützung in diesem sinnlosen Krieg.“ Eine weitere Frage war, ob sie gegenüber den Deutschen Rachegefühl oder Hass hat oder ob sie vergeben könne. Strishkowa betonte: „Versöhnung ist der Schlüssel, um Vergangenheit zu verstehen und zu akzeptieren und der Schlüssel für gegenseitiges Verständnis.“

„Wie stehen Sie zu Russland?“, wollte ein Schüler wissen. Strishkowa: „Seit meiner Kindheit habe ich ausschließlich Russisch gesprochen wie die Mehrheit der Menschen in der Ukraine, seit dem Februar 2022 spreche ich nur Ukrainisch. Nicht alle russischen Menschen sind meine Feinde, auch dort gibt es viele, die unter dem Krieg leiden.“

Im Kunstunterricht haben Schülerinnen und Schüler Porträts von Holocaust-Überlebenden gemalt, die Toscano fotografiert hatte. © Roland Schmellenkamp

Ein Schüler fragte Toscano, was er jungen Leuten sagen würde, die rechtsextreme Parteien wählen. Der Filmemacher erklärte mit Blick auf den Nationalsozialismus: „Das darf sich nicht wiederholen, wir müssen dazu eine Haltung einnehmen.“ Unsere Demokratie müsse geschützt werden. Er sei kürzlich das erste Mal in seinem Leben bei einer Demonstration gewesen; „es hilft, wenn viele Leute auf die Straße gehen und sagen ,wir sind dagegen!‘.“

Die Schülerinnen und Schüler aller Klassen behandelten das Thema in verschiedenen Fächern, unter anderem im Kunstunterricht mit Lehrerin Elke Thomann. Sie malten mit Kohlestiften Porträts von Holocaust-Überlebenden, die Toscano fotografiert hatte; einige davon waren während des Gesprächs auf der Bühne zu sehen. Außerdem gab es im November Projekttage zur deutschen Geschichte. Schulleiterin Gabriele Mark betonte vor den Schülern: „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir in Demokratie, Freiheit und Frieden leben. Jeder ist dazu aufgefordert, dafür etwas zu tun.“

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