Mannheim. Hugo Adler, geboren 1894, war nicht nur Kantor an der Hauptsynagoge in Mannheim. Er war auch jüdischer Religionslehrer am „alten Moll“, der dort „israelitischen Religionsunterricht“ erteilte, solange dies möglich war. In Folge der Novemberpogrome 1938 wurde er verhaftet und im KZ Dachau inhaftiert. Ende 1938 gelang ihm die Flucht in die USA, wo er an Weihnachten 1955 verstarb.
Diese Geschichte aus der 2020 erschienenen Chronik der Schule, sie zeigt: Das heute im Niederfeld gelegene Gymnasium hat zum 9. November 1938 durchaus einen eigenen Bezug, als es nun zum Gedenkén an diesen Tag einlädt. Das machen derzeit erfreulich viele Schulen, das Bach-Gymnasium etwa am 16. November. Doch am Moll mit einem ganz besonderen Akzent: Für drei Wochen macht hier ein Teil der renommierten Fotoausstellung „Gegen das Vergessen“ Station.
Videobotschaft aus St. Louis
Im Schulhof stehen ein Dutzend wandhoher Fotografien. Luigi Toscano fotografiert dazu seit acht Jahren bislang rund 500 Überlebende des Holocaust in aller Welt. „Das gibt den Opfern ein Gesicht“, betont sein Mitstreiter Max Philipp Martin, weiß aber leider auch: „In naher Zukunft wird es keine Zeitzeugen geben.“
Die Ausstellung stand bereits vor dem UNO-Hauptquartier in New York, derzeit ist sie in St. Louis zu sehen. Von dort aus meldet sich Toscano per Videobotschaft im Moll: „Ich freue mich sehr, dass die Ausstellung jetzt bei Euch an der Schule ist. Ich hoffe, Ihr könnt damit arbeiten.“ Am 22. November wird Toscano persönlich vor Ort sein, um mit den Jugendlichen darüber zu diskutieren.
Solches Engagement hat am Moll Tradition, die Gerhard Weber in seiner 20-jährigen Amtszeit als Schulleiter stets gepflegt hat. In seiner Rede, zu der die Veranstalter den seit Sommer im Ruhestand befindlichen Historiker einladen, belässt der 67-Jährige es denn auch nicht bei historischer Darstellung jenes 9. November, der in der deutschen Geschichte ein wahrer Schicksalstag ist.
Unter Hinweis auf Ausfälle der AfD-Politiker Gauland und Höcke gegen die Erinnerungskultur bezieht Weber klar Stellung: „Beide Politiker sind geistige Brandstifter und bereiten mit ihren Hetzreden den Boden für terroristische Gewaltakte.“ Und Weber fordert dazu auf, für die Demokratie aktiv einzutreten: „In Ländern wie den USA 2016, Ungarn, Polen, zuletzt Italien, fanden keine Umstürze statt. Sondern es sind demokratische Wahlen, die die Demokratiefeinde an die Macht führen.“
Ist die bisherige Form der Erinnerungskultur gescheitert?
Wie gefährlich fehlende Wachsamkeit wird, das zeigt die Theater-Ag des Moll mit der szenischen Darstellung der berühmten Worte von Martin Niemöller: „Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude“, bekannte später einmal der christliche Hitler-Gegner: „Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Aber auch selbstkritische Fragen kommen auf: „Wenn Judenfeindlichkeit in diesem Land zunimmt - müssen wir uns da nicht eingestehen, dass unsere seit Jahrzehnten praktizierte Form einer Erinnerungskultur gescheitert ist?“, meint Volker Doberstein von „Enjoy Jazz“: „Wäre hier nicht ein grundlegendes Umdenken hilfreich?“ Sein Projekt versucht es: mit einem „Denkraum“, der im Moll erstmals aufgebaut ist. Auf zahlreichen Bildschirmen eine Minute Darstellung des jüdischen Beitrags zu unserer Kultur in schneller Abfolge mit rasanten Schnitten.
Hoffnung macht Martin Brecher. Der Philosoph von der Uni Mannheim verweist auf Immanuel Kant. Denn der sei überzeugt, dass die einmal gesetzte Saat der Demokratie auf Dauer nicht verschwinden kann.
Musikalisches Rahmenprogramm
Wer hätte nach Ende des Holocaust 1945 jemals zu hoffen gewagt, dass in einem deutschen Gymnasium wieder jüdische Gesänge zu hören sind? An diesem Abend erklingen sie, dank Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde: das Kaddisch, das Jüdische Totengebet, und die Eka, die Klagelieder Jeremias. Und es gibt niemanden im Musiksaal, der davon nicht zutiefst beeindruckt wäre, wie Gabriele Mark vom Schulleitungs-Team bemerkt.
Für die würdige musikalische Umrahmung sorgen zudem Aktive von Musikprofil und -Leistungskurs der Schule, für die stellvertretend die Solisten Rabea Sene (Gitarre) sowie Johanna (Gesang) und Friedrich Holtzhauer (Klavier) genannt seien. Die Wände des Musiktraktes zieren Bilder der Kreativ-Ag, die Toscanos Fotos in Zeichnungen aufgreifen. Jugendliche wie Lena und Luca sind es auch, die nicht nur durch den Abend führen, sondern als Schüler-Scouts Interessierte bis zum 25. November durch die Ausstellung führen.
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