Mannheim. Wie kann eine autofreie Innenstadt aussehen? Wie viel nutzbarer Platz entsteht? Und was wollen wir damit machen? Die Gruppe Letzte Generation zeigt am Samstag auf dem Paradeplatz und einem Teil der Kunststraße, was möglich wäre, wenn keine „Atemluft verpestenden und lärmenden Autos“ mehr durch die City fahren. Yoga vor dem Stadthaus, Picknick, Jonglage, Straßenmalerei - die Kundgebung „Für autofreie Quadrate“, der sich auch die Organisationen Mannheim Kohlefrei, Extinction Rebellion, Health for Future und Fuss angeschlossen haben, verläuft nach Polizeiangaben ohne Störungen.
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Redebeiträge, Musik, Essen, Trinken und Gespräche: Die rund 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demo feiern ein kleines Straßenfest. „Die verfügbare Fläche in der Innenstadt ist kostbar und sollte nachhaltig genutzt werden“, sagt Gerd Herrmann von der Letzten Generation auf der Bühne, vor der ein Banner mit der Aufschrift „Klimakatastrophe zulassen = kriminell“ hängt. Der Autoverkehr und die versiegelten Flächen in der City hätten „katastrophale Konsequenzen für das Stadtklima“. „In der Innenstadt wird es dadurch im Sommer um bis zu zehn Grad wärmer als in den Außenbezirken“, so Herrmann. Die Stadt habe sich mit ihrem Klimaschutz-Aktionsplan 2030 selbst eingestanden, dass man handeln müsse. „Es passiert allerdings viel zu wenig“, findet Herrmann.
Alle Besucherinnen und Besucher sind an diesem Tag eingeladen, ihre Vorstellungen von einer autofreien Stadt auf großen Plakaten aufzuschreiben. „Mehr Grün“, „Outdoor-Ateliers“, „Kleinkunstbühnen“ und „barrierefreie Bänke“ ist dort ebenso zu lesen wie „Bücherschränke“, „Tischtennisplatten“ und „Schachtische“. Ein Vorschlag fordert, am Paradeplatz die Integration Obdachloser in die Stadtmitte zu ermöglichen, inklusive eines „Duschtempels mit gesponserter frischer Kleidung“.
Viel Kritik am Klimaschutzplan der Stadt Mannheim
Die Kundgebung sei sozusagen ein Kick-off für eine länger angelegte Kampagne für autofreie Quadrate, sagt Versammlungsleiter Raúl Semmler, Aktivist bei der Letzten Generation. Man wolle sich bei einem nächsten Treffen im August zusammensetzen und prüfen, wie man diese Vorstellungen und Ideen in die Kampagne einfließen lasse. „Es geht nicht nur um autofreie Quadrate“, so Semmler und fügt hinzu: „Aber damit könnte man mal anfangen.“ Der Autoverkehr sei in vielerlei Hinsicht gefährlich. „Jeden Tag sterben acht Menschen bei Unfällen, es gibt tausend Verletzte“, berichtet Semmler. Durch die Erwärmung zähle man in Deutschland jährlich 10 000 Hitzetote, dazu komme noch die Gesundheitsgefährdung durch den Lärm. „Da ist es egal ob E-Auto oder Verbrenner. Die Reifengeräusche ab 30 Kilometern pro Stunde sind lauter als der Motor selbst“, so der Klimaaktivist. Auch den Klimaschutz-Aktionsplan, das zentrale Strategiedokument der Stadt auf dem Weg zur Klimaneutralität in Mannheim, spricht er an. „Von einer Umsetzung der Ziele sehen wir nichts“, zieht er eine negative Bilanz. Städte wie Paris, Barcelona oder Kopenhagen seien da längst weiter.
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„Wie könnte dieser Platz aussehen, wenn er nicht mit stinkenden und lärmenden Autos besetzt ist?“, fragt Claudia Funke von der Letzten Generation von der Bühne und lädt zum Yoga auf der Kunststraße ein. Eine kleine Gruppe findet sich um Yogalehrer Jan Nehmiz ein und rollt ihre Matten aus. „Man kann auf einer Straße ja auch etwas mit Bewegung machen“, findet Nehmiz, „alles sollte mal ausprobiert werden.“
Bernard, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, unterhält die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demo mit seinen selbst getexteten Liedern. „Ich habe Ohrwürmer umgedichtet. Durch die bekannten Melodien sollen die Texte ins Hirn der Menschen gelangen und dort ihre Wirkung entfalten“, verrät er seinen Plan. „Sag’, wer klebt da an der Autobahn? Ist es die Letzte Generation? Der Verkehrsminister Wissing ist es, der es bis heute nicht versteht“, lautet zum Beispiel der Refrain von einem seiner Songs. Diese Lieder habe er auch gerade am ersten Ferientag in Baden-Württemberg zum Besten gegeben, als er gemeinsam mit anderen Aktivisten der Letzten Generation am Stuttgarter Flughafen auf Vordächer und Streben geklettert sei.
Die „immer drastischer werdenden Probleme mit der Poser- und Raserszene“ spricht Gerhard Fontagnier, Grünen-Stadtrat und Sprecher des Vereins Fuss, an. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „#autokorrektur“. Vom Hafen aus würden jedes Wochenende Touren gestartet, die dann auch durch die Mannheimer Innenstadt führten. „Es werden immer mehr, die daran teilnehmen“, so Fontagnier und fügt hinzu: „Und dann ist es ja zur Kultur geworden, dabei ein stundenlanges Hupkonzert zu veranstalten.“ Erst kürzlich habe er deshalb eine Familie, die in C3 wohne und unter diesen Aktionen leide, besucht. „Das kleine Kind wacht nachts auf und kann nicht mehr einschlafen“, berichtet Fontagnier.
Einige Passanten bleiben kurz stehen und schauen dem ungewöhnlichen Treiben zu. „Fürs Klima wäre es gut“, antwortet ein 26-jähriger Mannheimer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, auf die Frage, ob es eine autofreie Innenstadt geben solle. Er selbst ist an diesem Tag mit dem Auto gekommen, das er im Parkhaus abgestellt hat. Was er machen würde, wenn er die Mannheimer City nicht mehr mit dem Pkw ansteuern könne? „Dann würde ich nach Viernheim ins Rhein-Neckar-Zentrum fahren.“
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