Mannheim. Im spärlichen mit Schnee bedeckten Gras in der Nähe der Fahrbahn liegt eine leere Wodka-Flasche, ein paar Meter weiter im Gebüsch eine Flasche Tequila. Überall braune Bierflaschen und Habseligkeiten, die eher nach Müllhalde aussehen. Die Ecke, an der die Straße Cahn-Garnier-Ufer auf den Friedrichsring trifft, sieht eigentlich aus wie immer. Ungewohnt ist nur das rot-weiße Absperrband der Polizei, das an diesem klirrendkalten Mittwoch mit minus zwei Grad nicht einmal flattert. Am Straßenrand des Cahn-Garnier-Ufers parkt ein Polizeiwagen, denn der stadtbekannte Treffpunkt der Trinker- und Obdachlosenszene ist seit Samstag ein Tatort. "Wir passen hier auf", bestätigt einer der Polizisten im Fahrzeug, dass der abgesperrte Bereich am Hans-Böckler-Platz zumindest an diesem Mittwoch rund um die Uhr überwacht wird. Warum, verrät der Polizist nicht.
Gegen 17 Uhr ist am Samstag dort ein 37-Jähriger tot aufgefunden worden. Nach Angaben der Polizei weist der Leichnam Verletzungen auf. Ersten Ergebnissen der rechtsmedizinischen Untersuchung zufolge könnte stumpfe Gewalteinwirkung zum Tod des 37-Jährigen geführt haben. Grund genug für die Polizei von einem Kapitalverbrechen auszugehen. Wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts hat das zuständige Dezernat der Kripo die Ermittlungen aufgenommen, eine Obduktion wurde bereits angeordnet, detailliertere Ergebnisse werden erwartet. Wann, sei unklar.
Zur Klärung der genauen Todesumstände hat das Polizeipräsidium eine Sonderkommission eingerichtet: 59 Ermittler kümmern sich um den Fall. Warum so viele? Grundsätzlich sollen, so erklärt eine Präsidiumssprecherin auf "MM"-Nachfrage, so viele Ermittler wie möglich an einem Fall arbeiten - und diesmal waren wenige in anderen Ermittlungen gebunden.
Rund um die fest installierten Bänke unter dem Holzpavillon stehen alte Esszimmerstühle und Schreibtischstühle, die sich drehen lassen. Drumherum Tüten, Geschirr, Kartons, Schuhe und Klamotten, mal an einer Kordel aufgehängt, mal wild auf dem Boden verteilt. Gegen eine Werbetafel in Richtung Friedrichsring lehnt ein altes Fahrrad. Dort, so erzählt ein Anwohner dem "MM", soll der Getötete am Samstag gelegen haben. Irgendwann zwischen 20 und 21 Uhr soll der Leichenwagen vom Tatort abgefahren sein, schildert der Mann mit auffällig gelber Jacke und hörbarem Mannheim-Dialekt.
Seit 20 Jahren wohnt er in einem Mehrparteienhaus auf dem Ring, sagt er, geht immer wieder mit seinem Hund rund um den Hans-Böckler-Platz Gassi. Seinen Namen will er nicht verraten, ein Blatt nimmt er aber auch nicht vor den Mund. Dass es an dem Pavillon irgendwann mal zu einem solchen Zwischenfall kommen würde, überrascht ihn nicht. "Die sind hochaggressiv." Mit "die" meint er eine Gruppe von fünf oder sechs Menschen, die sich dort regelmäßig treffen. Es werde viel Alkohol konsumiert. Große Pizzakartons liegen auf einem Tisch.
Das Gespräch mit dem Anwohner, der nach eigener Auskunft auch schon von der Kripo vernommen wurde, wird aus dem Streifenwagen beobachtet. Hinter das Absperrband darf niemand, auch Journalisten nicht. Außen herum zu laufen ist erlaubt - aber viele Menschen sind nicht unterwegs. Die Autos stauen sich wie gewohnt an der Ampel am alten OEG-Bahnhof, auf dem Ring rollt der Verkehr, als ein junger Mann langsam an den Sichtschutz schleicht. Schwarze Hose, schwarze Jacke, schwarze Mütze, darunter blitzen grüne Haare hervor. Er lugt um die Wand auf den Pavillon, geht ein paar Meter weg, dreht wieder um. Als er vom "MM" angesprochen wird, ist er schnell und kommentarlos wieder weg.

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Redseliger zeigt sich dagegen der Anwohner mit seinem Hund. Schon am Samstagmittag habe er wildes Geschrei vom späteren Tatort wahrgenommen, das sich nach heftigem Streit angehört haben soll. Ungewöhnlich sei das aber nicht, so der Mann weiter. Erst am späteren Nachmittag, als es schon dunkel war, ist er auf das Blaulicht aufmerksam geworden. Später habe die Polizei das Gelände großflächig durchkämmt, sowohl die große Wiese als auch den Bereich um die Straßenbahngleise unter die Lupe genommen.
Der Trinker- und Obdachlosentreffpunkt sei für die Anwohner schon immer ein Ärgernis. Angeblich "alles Polen", die sich dort treffen. Dass es sich bei dem Opfer um einen Mann aus Osteuropa handelt, legt zumindest ein kleines Trauerplakat nahe, das am Dienstagvormittag noch an einem Pfeiler des Pavillons heftete. Darauf der Name des 37-Jährigen, ein Foto und ein Zitat aus dem Römerbrief. Am Nachmittag ist der DIN-A4-große Zettel weg. Nur noch die Visitenkarte einer Caritas-Streetworkerin ist mit einem blauen Reißnagel festgepinnt. Die Umstände legen nahe, dass das Opfer der Obdachlosenszene angehörte. Das bestätigt die Polizei mit Verweis auf "ermittlungstaktische Gründe" allerdings nicht. (mit tbö)
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