Vortrag - Mediziner und Historiker beleuchten die ewige Furcht vor dem Lebendig-begraben-Werden / Geschichte und neuste Forschung

Lebhafte Ängste vor dem Scheintod

Von 
Susanne Räuchle
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Was, wenn es aus der letzten Ruhe doch noch plötzlich und unerwartet ein böses Erwachen gibt? Im Sarg eingekastelt, 1,80 Meter tief unter der Erde, unentrinnbar einem grauenvollen Schicksal ausgeliefert? Die Urangst vor dem Lebendig-begraben-Werden quält die empfindsame Seele seit jeher und schickt ihr böse Träume. Eine medizinische und historische Betrachtung über "Scheintod und Leichenschau - gestern und heute" steht nun am Mittwoch, 4. Mai, 19 Uhr bei einem - todsicher - spannenden Vortragsabend im Lehrgebäude der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) in der Alten Brauerei auf dem Programm, wenn drei Experten ihre Sicht der finalen Dinge entwickeln. Schauerliches aus längst vergangener Zeit kommt dabei zutage, aber auch der neuste Forschungsstand zum Thema und die juristischen Konsequenzen werden bei der Veranstaltung von Stadtarchiv und UMM beleuchtet.

Den Horror literarisch verarbeitet

Der Gedanke geißelte den Zeitgeist insbesondere in den Jahren 1750 und 1850 Jean Paul, Edgar Allen Poe oder Gottfried Keller verarbeiteten den Horror der sogenannten Taphophobie mit dem Federkiel. Auf die lebhafte Scheintoddebatte in jenen Tagen richtet Elsa Romfeld, Dozentin für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, das Augenmerk und stellt einen aktuellen Bezug zu heutigen Debatten her.

Wie der Schrecken vom Scheintod der Fantasie der Alt-Mannheimer Bürger Zunder gab und auf die Felder der Kultur, der Strafrechtspflege oder der Seuchenabwehr übergriff, wird der Historiker Dr. Carl-Jochen Müller aufdecken. Er spürt den "Ablagerungen des Angstschweißes in verschiedenen Schichten der Überlieferung nach".

Er sichtete die im Stadtarchiv verwahrten Verlassenschaftsakten und fahndete in 1024 Testamenten aus der Zeit zwischen 1750 und 1843 nach entsprechenden Vorsorgeverfügungen - und wurde fündig. Zum Beispiel bei der Ministerialratswitwe Rahel Gertraut Ewald, die bestimmte, dass "sie nicht eher zu begraben, bis die Verwesung da ist." Der tapfere Hauptmann Philipp von Gemmingen-Fürfeld ließ sogar doppelte Vorsicht walten: "Meine letzte Bitte ist, daß nach meinem Tod vor der Beerdigung man mir die Adern eröfnen und das Herz durchstechen soll, damidt ich nicht etwa das Unglück habe, im Grabe wieder zu erwachen."

Müller lässt diese Quellen sprudeln und zeigt an Fallbeispielen, dass im düster-morbiden Schattenreich durchaus auch komisch-heitere Blüten gedeihen. Die Bedeutung der Leichenschau, die absolut zweifelsfreie Feststellung des Todes in heutiger Zeit und ihre rechtlichen Grundlagen stellt Prof. Alexander Marx, Direktor des Pathologischen Instituts der UMM, dar. Er beleuchtet die Notwendigkeit einer vorurteilsfreien Leichenschau zur Vermeidung der schwersten Fehler, also das Übersehen von Suizid oder gar Mord. Außerdem wird Marx die Problematik des nicht-natürlichen Todes im Zusammenhang mit ärztlichen Eingriffen anschneiden.

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