Kaffee trinken auf einer Bank oder ein Plausch im Park: Ein Jahr lang haben Studierende der Hochschule Mannheim das Gespräch mit Menschen gesucht, die ihren Alltag größtenteils auf der Straße verbringen. Ihr Ziel: einfach mal zuhören – und so herausfinden, was sie bewegt.
Entstanden ist dabei ein neuer Austausch zwischen dem Polizeipräsidium Mannheim und dem Café Anker, der Anlaufstelle für Alkohol- und Drogenabhängige sowie Wohnungslosen im Jungbusch. Tatsächlich ist bei Projektstart noch keinem der Beteiligten klar, dass daraus später die Chance erwächst, die Beamten der H4-Wache im Umgang mit der Szene zu sensibilisieren. Und gleichzeitig mehr Akzeptanz für die Vorgehensweise der Polizei zu schaffen. Allerdings startet das Projekt im Februar 2022 unter schwierigen Umständen: Ein Feuer hatte den Container und damit die Anlaufstelle, Treffpunkt und Schutzraum für die Szene, kurz vorher niedergebrannt. Um mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen, begleiteten die Studis das Café-Anker-Team auf seinen Streifzügen mit dem Bollerwagen durch die Stadt.
„Wir haben uns oft einfach dazugesetzt und geredet. Später ist uns klar geworden: Wir wollen etwas Nachhaltiges machen und ein Sprachrohr für diese Menschen sein“, erinnert sich Studentin Lisanne Hirsch, als sie beim Treffen im wieder aufgebauten Café Anker über das Projekt spricht. In insgesamt 30 Gesprächen, berichtet die 23-Jährige, kristallisiert sich für sie und ihre zehn Kommilitioninnen bei der Auswertung heraus: Was die Szene besonders beschäftigt, ist der Umgang mit der Polizei. Viele hätten große Berührungsängste, sich bei Problemen an die Beamten zu wenden, fühlten sich bei Durchsuchungen am Körper in der Öffentlichkeit unwohl oder scheuten sich, Kritik zu äußern. Überrascht hat die Studis die wertschätzende Art, mit der die Anker-Gäste von der Polizei sprechen. Sie wissen: Die Ordnungshüter machen eben nur ihren Job. Wonach sich einige aber sehnen, sei ein respektvollerer Umgang sowie Anerkennung.
„Klar bieten die auch an, die Durchsuchung auf der Wache zu machen. Ich habe keine Angst davor mitzufahren. Aber das ist einfach zeitintensiv, keiner hat da Bock drauf. Sich im Hinterhof kontrollieren lassen geht doch viel schneller“, sagt Tom Müller, der eigentlich anders heißt. Müller kommt als Besucher oft ins Café, spricht offen über das Leben auf der Straße und hat mit den Studis zusammengearbeitet. Trotzdem ist am Ende keiner bereit, seine Eindrücke den Beamten direkt zu schildern, deshalb nehmen die Studis ein anonymisiertes Videointerview auf. „Wir arbeiten hier mit vielen Suchtkranken zusammen, manche konsumieren illegale Drogen, andere sind wohnungslos. Da will sich keiner angreifbar machen und offen mit der Polizei sprechen“, weiß Sozialarbeiterin Manuela Morsch.
Sie arbeitet seit 2020 für die Anlaufstelle, gemeinsam betrieben vom Drogenverein und dem Caritasverband. Um das Vertrauen der Gäste hier nicht zu verlieren, versucht das Team, die Einrichtung polizeifrei zu halten, nur in Konfliktsituationen die Beamten zur rufen, etwa, um ein Hausverbot durchzusetzten. Weil die Studentinnen weder fest zum Café-Anker-Team, noch zur Polizei gehören, beschließen sie, als Vermittlerinnen die gesammelten Eindrücke anonymisiert den Beamten in der H4-Wache vorzustellen.
„Das waren Hintergrundinfos, an die wir so sonst nicht rankommen, das ist ein großer Mehrwert. Manches hat uns auch überrascht“, sagt Simone Paul. Die erfahrene Polizeibeamtin ist im Innenstadtrevier für die Prävention zuständig und hat mit Morsch das Treffen mit den Studis und ihrem Professor in der H4-Wache im Dezember 2022 eingefädelt. Manches habe die Beamten, die bei ihren Einsätzen fast täglich Kontakt mit der Szene haben, in den Berichten überrascht, erzählt Paul. Etwa, dass viele nicht ungefragt geduzt werden möchten – da auch die Beamten häufig zuerst mit einem „Du“ angesprochen werden. Laut den Studis hätten aber gerade Ältere das Gefühl, von jungen Polizisten nicht ernst genommen zu werden. „Dabei war das Duzen für mich selbstverständlich, ich werde ja auch so angesprochen“, sagt Oberkommissar Marius Mlcak, der beim Treffen dabei war. Seit zehn Jahren begegnet er auf seinem Streifendienst für die H4-Wache Menschen, die auf der Straße leben. Dabei wägt er immer ab, beobachtet, wie man ihm entgegentritt, und nutzt auch die förmliche Anrede. Mit diesem Abwägen sei er bislang nie angeeckt.
Tatsächlich habe man das Duzen viele Jahre bewusst genutzt, mit der Absicht, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe zu kommunizieren, sagt Paul. Grundsätzlich verlaufen die meisten Einsätze friedlich, sei das Verhältnis gut. Für die Beamten ist der neue Austausch trotzdem eine Gelegenheit, das eigne Verhalten zu erklären, auch sie fühlen sich oft falsch verstanden. Unverständnis schlägt ihnen etwa entgegen, wenn sie Platzverweise durchsetzen müssen. Auch die Kontrolle von Gruppen kann für beide Seiten unangenehm sein: „Im Sinne der Eigensicherung müssen wir abwägen, mit wie vielen Leuten wir eine größere Gruppe kontrollieren. Handeln wir nach allen Aspekten, fühlen sich die Menschen in der Gruppe eventuell bedroht“, sagt Ermittler Valentino Moscato.
Dabei spielt auch der Auftrag eine Rolle, mit dem die Beamten hinzugerufen werden. Was der Hauptmeister und seine Kollegen noch erfahren: Manche sitzen als Zweckgemeinschaft in einer Gruppe auf der Straße, sind nicht untereinander befreundet. Das ist aus Polizeisicht oft von außen nicht ersichtlich. Die neuen Erkenntnisse nutzen die Beamten für sich, achten noch bewusster auf die Anrede oder halten bei der Kontrolle den Personalausweis privat. Wer beiden Seiten zuhört, merkt schnell: Die Entscheidung für intensiven Austausch liegt auf der Hand. Das finden auch Sozialarbeiterin Morsch und Polizeibeamtin Paul, die nun regelmäßige Treffen einmal im Quartal durchführen. Beide sind sich einig: Der Austausch zwischen je acht Polizisten und acht Café-Anker-Mitarbeitenden soll als Plattform dienen, um das Miteinander auf der Straße zu verbessern. Morsch sieht sich dabei als Sprachohr der Café-Anker-Besucher.
„Das Projekt war wünschenswert und hat wirklich etwas angestoßen “, sagt Morsch. Und die Studis? Sie haben sich als wertvolle Vermittlerinnen erwiesen, das Uniprojekt mit einer Prüfung abgeschlossen. Ihr Fazit: „All unsere Vorurteile wurden widerlegt. Die tollen Gespräche haben uns einen völlig neuen Blickwinkel geschenkt.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-leben-auf-der-strasse-mannheimer-studis-helfen-beim-besseren-miteinander-mit-der-polizei-_arid,2064156.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html