Politik - Ein Jahr nach Verabschiedung des grün-schwarzen Koalitionsvertrags geht es bei zwei Projekten voran / Musikgymnasium und Verzicht auf Noten kommen

Land ermöglicht in Mannheim Musikgymnasium und Schule

Von 
Bertram Bähr
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Beispiel für gelungene musikalische Arbeit am Moll-Gymnasium: der Kammermusikabend 2019 in den Reiss-Engelhorn-Museen mit Samir Sandouk (v.l.), Hyouk Im, Johanna Volk und Jabir Ungan. © Moll-Gymnasium

Das eine gab es noch nicht, das andere wurde abgeschafft: Unter der Ägide von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) durfte das Moll in Neckarau kein Musikgymnasium werden. Und die Gerhart-Hauptmann-Grundschule auf der Rheinau musste den Modellversuch „ohne Noten“ beenden. Beides will die neue grün-schwarze Landesregierung ändern. So steht es im Koalitionsvertrag, den die Spitzen der beiden Parteien am 11. Mai 2021 unterzeichneten. Es sieht so aus, dass die neue Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) Wort hält. Dazu stellen wir nachfolgend Fragen und Antworten zusammen.

Das Moll-Gymnasium hat schon ein Musikprofil. Was ist bei einem Musikgymnasium anders?

Beim Musikprofil steht unter anderem das Erlernen eines Instruments ab Klasse 5 auf dem Stundenplan. Ab Klasse 8 gibt es das Hauptfach Musik, dazu spezielle Arbeitsgemeinschaften und Auftritte vor Publikum. Das Musikgymnasium erhält zusätzliche Personalkapazitäten, um unter anderem Hochbegabte zu fördern und zusätzliche Angebote machen zu können – zum Beispiel solistisches Spiel, Gehörbildung oder Musikergesundheit. Dabei arbeitet das Gymnasium eng mit städtischer Musikschule und staatlicher Musikhochschule zusammen, wo Jugendliche parallel zur Schule bereits studieren können.

Warum ist das Moll und damit Mannheim vor gut vier Jahren mit seinen Plänen gescheitert?

Als die Grünen 2015 ein viertes landesweites Musikgymnasium in Mannheim anregten, ging die Stadt sofort auf das Moll zu – und stieß dort auf offene Ohren. Es entstanden erste gemeinsame Konzepte mit Musikschule und Musikhochschule. Aber Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) lehnte die Pläne im Sommer 2017 ab. Das Argument: Mit Karlsruhe gebe es im Regierungsbezirk Nordbaden bereits ein Musikgymnasium, ebenso in den Bezirken Stuttgart und Freiburg. Deshalb sei der Bezirk Tübingen an der Reihe.

Der Koalitionsvertrag

  • Knapp zwei Monate nach der Landtagswahl vom 14. März 2021 unterschrieben Grüne und CDU am 11. Mai ihren Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2026.
  • Er umfasst 162 Seiten und ist in 14 Kapitel gegliedert. Kapitel 5 ist „Frühkindliche Bildung und Schule“.
  • Enthalten sind darin zwei Punkte, die für zwei Mannheimer Projekte entscheidend sind: Musikgymnasium und Grundschule ohne Noten.
  • Für das Musikgymnasium hält das Papier fest: „Wir wollen den Musikhochschul-Standorten Mannheim und Freiburg bei Vorlage eines tragfähigen Konzepts und ausreichenden Schülerzahlen ein Musikgymnasium ermöglichen. Damit sind alle Standorte von Musikhochschulen in Baden-Württemberg berücksichtigt.“
  • Zu Leistungsrückmeldungen unter Verzicht auf Noten heißt es: „Wir stärken die pädagogische Freiheit und werden beispielsweise einzelnen Grundschulen ermöglichen, moderne pädagogische Alternativen zur Ziffernbenotung einzuführen.“ 

Das klingt nach einer schlüssigen Argumentation, oder nicht?

Nur auf den ersten Blick. Im Regierungsbezirk Tübingen gibt es nämlich keine Musikhochschule, und die ist für ein Musikgymnasium als Partner essenziell. Gerade das spricht also für Mannheim. Deshalb lag damals der Verdacht nahe, es gehe vor allem ums Geld. Ministerin Eisenmann sprach denn auch von „haushalterischen Gründen“.

Kostet das Musikgymnasium denn so viel?

Nein. Damals ging es um eine halbe Lehrerstelle. Die derzeitigen Musikgymnasien verfügen aber in der Regel über eine ganze Stelle. Das erhoffen sich Moll-Direktor Gerhard Weber und Frederik Diehl, der Leiter der Musikfachschaft, auch für das künftige Mannheimer Modell. Details stehen aber noch nicht fest.

Ist denn sicher, dass das Musikgymnasium Mannheim kommt?

Im Grunde ja. Die Vorbereitungen laufen, das Land hat ebenso wie die schulischen Gremien grünes Licht gegeben. Aber das Erarbeiten der Konzepte werde noch Zeit in Anspruch nehmen, so Diehl. Zu rechnen sei mit einer Umsetzung zum Schuljahr 2023/24.

Kommt das zweite Koalitions- vorhaben, die Grundschule ohne Noten, schneller?

Davon geht Timo Haas, Rektor der Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS, Bild), aus. Der Modellversuch soll im Spätsommer, also mit dem Schuljahr 2022/23, starten. Die GHS bewirbt sich um eine Teilnahme. Das Kultusministerium hat angekündigt, über die Aufnahme interessierter Schulen bis Anfang Juni zu entscheiden. Bis zu 100 Schulen sollen ab dem Spätsommer landesweit zum Zuge kommen. Und die GHS ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Sie war eine von zehn Schulen, die seit 2013 am ersten Versuch dieser Art teilnahmen.

Warum wurde der Schulversuch 2018 nicht verlängert?

Ministerin Eisenmann vertrat damals den Standpunkt, Ziffernnoten seien ein wesentliches Element der Leistungsbeurteilung. Ob es ohne Noten gehe, sei in den Versuchsschulen nicht wissenschaftlich untersucht worden. Deshalb führe man das nicht weiter fort.

Kann die Leistung denn ohne Ziffernnoten beurteilt werden?

Selbstverständlich. Die GHS setzt auf individuelle Beurteilungen. Sie geben zum Beispiel in Deutsch statt einer Ziffer sechs Kompetenzbereiche an – und zeigen damit, wo das Kind zwischen „Übungsbedarf“ und „Prima“ beispielsweise beim Lesen, Schreiben, Vortragen oder Sprachkunde steht. Nicht nur den Lehrkräften, sondern auch den Eltern hilft das, die Stärken und Schwächen der Kinder genau einzuschätzen und sie entsprechend zu fördern.

Gab es, außer von der Kultusministerin, Kritik an dem Modell?

Im Gegenteil. Der Wunsch nach dieser Alternative, so Timo Haas damals, sei aus der Lehrerschaft gekommen. Die Eltern standen voll dahinter und wehrten sich ebenso vehement gegen die Einstellung des Schulversuchs wie die Stadt Mannheim und zahlreiche Bildungspolitiker und Wissenschaftler. Die Ministerin traf ihre Entscheidung, ohne die Betroffenen zu hören.

Kann die GHS an ihre Erfahrungen anknüpfen?

Ja. Sie hat die differenzierte Leistungsbewertung beibehalten und zusätzlich Ziffernnoten vergeben. Timo Haas möchte im Spätsommer mit den ersten und zweiten Klassen in das neue Modell starten.

Was ist anders als bei dem ersten Schulversuch?

Zunächst der Name. Es heißt jetzt nicht mehr „Grundschule ohne Noten“, sondern „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“. Der komplizierte Name verbirgt ein wenig, dass der Verzicht auf Ziffernnoten sogar noch weitgehender ist als beim ersten Schulversuch. Damals gab es zumindest in den Abschlusszeugnissen der vierten Klassen noch Ziffernnoten, das fällt bei dem neuen Modell weg.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

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