Mannheim. Eine junge Musikerin steht an einem Samstagnachmittag mit ihrer Gitarre am Mannheimer Paradeplatz und singt auf Kurdisch. Sie heißt Fatos Erekli. Plötzlich stürmt eine Passantin auf sie zu. Auf einem Video, das der „MM“ von einem Experten übersetzen ließ, ist zu hören, wie die Frau mittleren Alters Erekli in türkischer Fäkalsprache beschimpft. Die 20-Jährige fragt auf Istanbul-Türkisch – dem Pendant zu Hochdeutsch – die Passantin, was ihr einfalle, und droht mit der Polizei. Darauf attackiert die Frau Erekli, mehrere Umstehende halten sie zurück.
Der Vorfall geht in sozialen Medien viral. Auch die Mannheimer Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut macht auf ihren Kanälen darauf aufmerksam. Es könne nicht angehen, dass eine junge Frau auf offener Straße am Musizieren gehindert werde, weil sie Kurdisch singe. Auf Facebook gelingt es Ereklis Unterstützern, die Passantin namentlich zu identifizieren. Es soll sich um eine Krankenschwester handeln.
Die Polizei ermittelt wegen versuchter Körperverletzung und Beleidigung
Als die 20-Jährige – sie wohnt in Stuttgart – wieder in Mannheim ist, geht sie zur Polizei und erstattet Anzeige. Wie Präsidiumssprecherin Celina-Marie Petersen auf Anfrage mitteilt, wird wegen versuchter Körperverletzung und Beleidigung ermittelt.
Um einen Kontakt zu Erekli gebeten, vermittelt Kerim Kurt, Vorsitzender des Mesopotamischen Kulturvereins, ein Treffen in dessen Zentrum in Käfertal-Süd. Drei Wochen nach dem Vorfall tritt sie dort auf. Sie berichtet, sie lebe seit zwei Jahren hier. Leider sei ihr Deutsch schlecht, sie nehme nun einen Sprachkurs. Danach wolle sie Erzieherin werden. Und ein Traum wäre, eines Tages ihr Hobby Musik zum Beruf machen zu können. Eine solche Anfeindung wie in Mannheim habe sie bei ihren Auftritten indes noch nie erlebt. Doch davon werde sie sich nicht einschüchtern lassen. Erekli freut sich sehr über die breite Solidarität in der kurdischen Community und in sozialen Medien, auch wenn sie dort ebenso einige Hass-Kommentare türkischer Nationalisten abbekommt.
Kurdische Politikerin schaltet sich ein
Dem etwa zehnminütigen, sehr netten Gespräch mit Erekli geht auf Kurts Wunsch ein dreiviertelstündiges mit Feleknas Uca voraus. Die in Deutschland aufgewachsene Politikerin saß für die Linken zehn Jahre im Europaparlament, später für die kurdische Partei HDP in der Nationalversammlung in Ankara. Mittlerweile ist sie wieder hier, weil ihr in der Türkei wegen angeblicher Terrorpropaganda die Festnahme droht.
Uca stellt den Fall Erekli in einen großen Zusammenhang, den stockenden Friedensprozess zwischen der PKK und der Regierung Erdogan. Sie sei mehrfach selbst angepöbelt worden, weil sie auf Kurdisch gesprochen habe. Das dürfe in Deutschland auf keinen Fall weiter um sich greifen.
Die Vorsitzenden des Mesopotamischen Kulturvereins, Kerim Kurt und Roland Schuster, haben – bislang ohne Antwort – an Oberbürgermeister Christian Specht und die Gemeinderatsfraktionen geschrieben. Es könne nicht angehen, dass jene Passantin im städtischen Klinikum arbeite. Tut sie nach „MM“-Informationen allerdings nicht, es soll sich um ein privates Mannheimer Krankenhaus handeln. Egal, meint Uca. So etwas dürfe einfach nicht passieren. Da müssten jetzt alle Verantwortlichen schleunigst Farbe bekennen, allen voran das Stadtoberhaupt.
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