Stadtgesellschaft - Der Kriminologe Dieter Hermann ist federführend an der aktuellen Sicherheitsbefragung beteiligt / Polizei wird in Mannheim nicht als Feindbild gesehen

Kriminologe zur Sicherheitsbefragung: Mannheimer sehen Polizei nicht als Feind

Von 
Stephen Wolf
Lesedauer: 
Nachtschwärmer: Junge Menschen im Jungbusch im Gespräch mit Sicherheitskräften. © Katharina Koser

An manchen Orten fühlen sich Menschen unsicher, selbst wenn keine unmittelbare Gefahr droht. Weil Eindrücke und Beobachtungen der Bürger früh auf Probleme hinweisen können, werden tausende Menschen von der Stadt aktuell zur Sicherheitsbefragung eingeladen. Dieter Hermann, wissenschaftlicher Leiter der Studie, gibt Antworten zur Bedeutung solcher Umfragen.

Kriminologe Dieter Hermann

  • Dieter Hermann forscht am Institut für Kriminologie der Uni Heidelberg. Seine Forschungsgebiete sind Kriminalsoziologie, Kultursoziologie, Methoden empirischer Sozialforschung und Statistik.
  • Nach dem Studium der Mathematik und der Soziologie an der Uni Heidelberg promovierte er 1984 im Fach Soziologie. 2002 habilitierte er an der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Universität Heidelberg

Herr Hermann, zurzeit läuft die dritte repräsentative Sicherheitsbefragungen in der Stadt. Gleichzeitig lesen wir in den vergangenen Tagen vermehrt über Messerstechereien und Gewaltausbrüche, sogar über ein brutales Tötungsdelikt in der Neckarstadt-West. Im Jungbusch sorgen Jugendliche in Feierlaune für Unmut bei Bewohnern. Erwarten Sie, dass sich solche Ereignisse auf die Umfrage auswirken?

Dieter Hermann: Die öffentliche Wahrnehmung kann sich schnell ändern. Allerdings können wir solche Momentaufnahmen – und darum handelt es sich ja – auch als solche einordnen. Wir können beispielsweise feststellen, ob sich das Antwortverhalten nach dem Tötungsdelikt in der Neckarstadt-West verändert hat und dadurch den Einfluss dieses Ereignisses auf das Antwortverhalten bestimmen. Außerdem liegt der Schwerpunkt der Analysen in Vergleichen zwischen Personengruppen sowie Stadtteilen. Wenn die Antworten aller Befragten beeinflusst werden, wirkt sich dies nicht auf die Unterschiede aus. Kurz gesagt, solche temporären Einflüsse machen sich bemerkbar, sie beeinflussen aber nicht das gesamte Bild.

10 000 Mannheimer erhalten in diesen Tagen per Post einen Fragebogen mit drei Dutzend Fragen. Weitere 15 000 Frauen und Männer sind aufgerufen, die Fragen im Internet zu beantworten. Wie ist die Resonanz?

Hermann: Online wurden mittlerweile bisher etwa 2000 Fragebögen beantwortet. Da ist noch Luft nach oben. Wir sind aber optimistisch, dass viele Menschen die Chance nutzen, Auskunft über ihr Sicherheitsempfinden zu geben.

Schon jetzt lässt sich sagen, dass sich die Pandemie auf viele gesellschaftliche Bereiche auswirkt. Erhöht der Zwang zur Selbstbeschränkung die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, wie wir sie zuletzt in Stuttgart oder in Frankfurt erlebt haben? Auch in Mannheim gab es konfliktbeladene Situationen rund um den Plankenkopf.

Hermann: In Stuttgart hat sich mit den Protesten gegen den Umbau des Hauptbahnhofs und gegen Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie eine Protestkultur entwickelt, die weite Teile der Bevölkerung umfasst. Problematisch ist, dass dadurch zumindest in Teilen der Bevölkerung ein Feindbild gegen die Polizei generiert wurde. Dies ist in Mannheim nicht der Fall. In Mannheim ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei sehr groß, so dass solche kollektiven Gewaltexzesse gegen Ordnungskräfte nicht so wahrscheinlich sind wie in Stuttgart.

Die Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Mannheim verzeichnete für 2019 sechs Prozent weniger Delikte als im Vorjahr. Trotzdem denken nicht wenige Menschen, dass die Verhältnisse eher schwieriger werden.

Hermann: Ängste entstehen, wenn soziale Normen übertreten werden. Vermüllte Gehwege oder wenig ausgeleuchtete Straßenzüge können Furcht hervorrufen, auch wenn objektiv keine Gefahr droht. Selbst die Ansammlung junger Männer kann sich negativ auf das Sicherheitsempfinden auswirken. Es reicht schon, wenn diese einfach nur lebhaft auftreten, auch wenn im Grunde keine Gefahr von ihnen ausgeht.

Wie wirkt die Stadt entgegen?

Hermann: Die Verantwortlichen in Mannheim sorgen mit einer Vielzahl von Initiativen dafür, das Sicherheitsempfinden der Bürger zu verbessern. Neben der stärkeren Präsenz von Sicherheitskräften in manchen Stadtteilen spielt etwa auch der Abbau von Vorurteilen eine wichtige Rolle. Auch die Reinigung von Straßen und Gehwegen, eine gute Beschilderung von Wegen sowie eine gute Beleuchtung sind Zeichen, die eine Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringen. Eine sogenannte Nulltoleranzstrategie, also das Einschreiten von Polizei und Sicherheitskräften, wenn noch gar keine Straftat vorliegt, ist nicht die richtige Strategie.

Auch nicht in Zeiten von Corona, wo die Verunsicherung vieler Menschen mit Händen zu greifen ist?

Hermann: Eine deutliche Mehrheit der Bürger befürwortet die bei uns geltenden Freiheitsrechte. Sicher können mit polizeilicher Härte bestimmte Ziele vordergründig erreicht werden. Die Frage ist, wie effizient eine solche Politik ist. Besser ist es, wenn verschiedene gesellschaftliche Gruppen friedliche Kontakte miteinander unterhalten und wir gemeinsam soziales Vertrauen aufbauen. Das lässt sich etwa durch politisches und kulturelles Engagement verwirklichen. Erfahrungen zeigen, dass sich auf diese Weise die soziale Integration verbessern lässt. Nicht zuletzt hätte es negative Folgen für unsere freiheitliche Gesellschaft, wenn wir harmlose Verletzungen sozialer Normen hart sanktionieren würden.

In Mannheim leben wir in einer Gesellschaft, die sehr heterogen ist. Wie lässt sich da ein allgemeingültiger Moralkodex bestimmen? Was den einen stört, ist für den anderen womöglich gar kein Problem.

Hermann: Selbst in heterogenen Gesellschaften gibt es klare Standards, etwa die Gesetze. Auch Kants kategorischer Imperativ ist sicher eine gute Richtschnur. Kriminalität ist eine Einschränkung von Freiheitsrechten, und das kann eine freiheitlich-orientierte Stadtgesellschaft nicht dulden. Auf der anderen Seite empfiehlt es sich auch nicht, jeder Abweichung mit Zwang zu begegnen. Daher müssen wir als Stadtgesellschaft im Gespräch mit den verschiedenen Gruppierungen bleiben. Gerade bei Jugendlichen erreicht man auf diese Weise überraschend viel.

Redaktion

Mehr zum Thema

Erhebung Bürger sollen Sicherheit in der Stadt bewerten

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Morgenupdate Die Nachrichten am Morgen für Mannheim und die Region

Veröffentlicht
Mehr erfahren

Der "Ring" am NTM So sind Götter am Nationaltheater auch nur gottlose Menschen

Veröffentlicht
Mehr erfahren