Mannheim. Trauma. Gene. Urbanität. Stress. Schulumfeld. Familie. Hormone. Stigmatisierung. Unterschiedlichste biopsychosoziale Faktoren können in eine oder mehrere psychische Erkrankungen münden. Das geschieht meist im Wechselspiel der Faktoren. Die gerade aufgezählten sind nur einige von vielen.
Doch hier kommt die große Chance für Künstliche Intelligenz (KI) in der Psychiatrie zum Tragen. Denn: „Psychische Erkrankungen sind ziemlich kompliziert“, sagt Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI). Doch was man über sie weiß, kann man durch KI nun noch viel besser nutzen, indem man Maschinen mit vielen Daten füttert und rechnen lässt - und dann in den Daten nach Mustern sucht.
Angepasste Therapie für Patienten
„Es gibt Risikofaktoren, Schutzfaktoren. Und die können wir jetzt viel besser erfassen. Und dann im zweiten Schritt die für genau diese Person passenden Therapieprogramme zusammenstellen“, so Meyer-Lindenberg. „Man kann mit den KI-Methoden auch Therapien unterstützen, etwa Psychotherapien mit KI durchführen“, betont er zudem.
Was er sich beim Thema wünsche: „Dass wir dabei Grundlagen so gut verstehen können“, dass man neben neuen Therapieverfahren auch Ursachenforschung betreiben und Präventionsverfahren entwickeln könne. „Dass wir also Krankheiten idealerweise auch vermeiden können. Es ist ja so, dass im Leben jeder Zweite mal eine psychische Erkrankung hat, das ist wirklich sehr häufig“, sagt der Wissenschaftler.
11,5 Millionen nach Mannheim
Meyer-Lindenberg hatte an diesem Tag am ZI nicht ohne Grund zahlreiche auch prominente Gäste. Denn in Anwesenheit von Wissenschaftsministerin Petra Olschowski und der Förderer, SAP-Mitgründer Hans-Werner Hector und Frau Josephine Hector, wurde dort das neue Hector Institut für Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie (HITKIP) eröffnet. Gefördert wird das neue Institut durch eine „großzügige Zuwendung“ der Hector Stiftung II, teilte das ZI mit: 11, 5 Millionen Euro. Die Gelder ermöglichten es, „ambitionierteste Ziele“ anzuvisieren: Man könne durch die Förderung „aus Science Fiction Science Facts machen“, so Meyer-Lindenberg.
Alter, Hirnbilder, Biomarker etc.
In einem eindrucksvollen Kurzvortrag erklärte KI-Forscher Nikolaos Koutsouleris, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie, welche Potenziale bei KI in der Psychiatrie liegen. Er verwies auf die vielen eingangs genannten Faktoren, sprach von Erkrankungszeitpunkten, die besonders oft in jungen Jahren liegen. Doch oft „häufen“ junge Patienten viele Diagnosen an - aber keine ist die richtige. Auch weil viele Krankheiten mit unspezifischen Symptomen einhergehen. Koutsouleris sprach dazu von bei manchen Krankheitsbildern auftretenden und abflachenden Symptomen: Zum Beispiel, dass bei Schizophrenie bei manchen Patienten Symptome als Schub auftauchten und dann einfach nie im Leben wiederkehrten. Bei einer anderen Patientengruppe aber bleiben die Schübe über einen längeren Zeitraum - verbunden mit großem Leid für die Betroffenen.
Algorithmen vergleichen Gehirne
Dies sind alles Daten, die man nutzen könne. Und nur wenige von vielen. Auch Hirnscans werden etwa in der Datenmenge genutzt, erklärte Koutsouleris. Hier fiel auf: Bei Schizophrenie können die gleichen Netzwerke im Gehirn betroffen sein wie bei frontotemporaler Demenz. Koutsouleris verwies auf Algorithmen, die Gehirne bis ins Detail vergleichen und die ärztliche Expertise ergänzen. So konnte man einen seit mehr als 100 Jahren vermuteten Zusammenhang nachweisen.
Auch der Alltag von Ärzten wird sich durch KI ändern. Koutsouleris fasste zusammen: Errechnete „Modelle sollen wie eine Bibliothek sein“, aus der man sich dann quasi ein Buch aus dem Regal holt und bei dem Krankheitsbild nachschauen kann.
Wie in allen Gesellschaftsbereichen ist indes das Thema KI aktuell oft mit Unsicherheit und Misstrauen durchsetzt. Auch die Schnelligkeit der Entwicklung in vielen Gebieten gibt derzeit im Diskurs Anlass zum Nachdenken. Dass KI eine große Verantwortung mit sich bringt, das war den Akteuren bei der Veranstaltung am ZI bewusst. Die Auseinandersetzung damit gehört zur Forschung dazu.
Transparenz als Schlüssel
So hieß es bei früheren KI-Forschungen etwa in einer Mitteilung der Max-Planck-Gesellschaft: „Entscheidend für die Akzeptanz der künstlichen Intelligenz in der Psychiatrie ist neben der Zuverlässigkeit aber auch Transparenz.“ Koutsouleris wurde schon vor einigen Jahren als Max-Planck-Fellow dazu zitiert: „Sie ist der Schlüssel zur klinischen Anwendung! Nur wenn Ärzte und Patienten verstehen, wie der Algorithmus arbeitet, werden sie seinen Ergebnissen Vertrauen schenken.“ Koutsouleris etwa hatte damals mit seinem Team deshalb eine Software programmiert, die die Gewichtung der verschiedenen Parameter berechnet. Damit können sämtliche Rechenschritte der Programme nachvollzogen werden.
Wissenschaftsministerin Petra Olschowski sagte beim Vor-Ort-Termin im Mannheimer ZI indes, das neue Institut biete „ungeahnte Chancen“. Mit der Zuwendung der Hector Stiftung II entstünden am ZI „optimale Forschungsbedingungen, um die Diagnostik, Therapie, Prävention“ weit verbreiteter psychischer Erkrankungen „auf das nächste Level zu heben und vor allem zeitnah in die Krankenversorgung zu tragen“.
Dabei lässt sich sicher festhalten: Die ist auch gerade nach den Pandemiejahren und einem schon immer dagewesenen und sich stetig verschärfenden Therapieplatzmangel sicher nötiger denn je.
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