Mannheim. Kurz nach Weihnachten. Zuhause bei Karin Lackus und ihrem Mann Berndt auf dem Almenhof poltert’s und wackelt’s. „Wundern Sie sich nicht“, sagt die 62-Jährige strahlend: „Die Bude ist voll!“. Die Söhne und deren Familie seien da, berichtet Karin Lackus mit Blick auf die oberen Stockwerke, und sie scheint sich wohlzufühlen in dieser Ausnahmesituation. Dass sie ausgerechnet jetzt Besuch empfängt, um über den Krebs zu sprechen, der ihr Leben von heute auf morgen auf den Kopf gestellt hat, bleibt nicht das einzige Überraschende an der 62-Jährigen.
Karin Lackus wurde in Mannheim geboren und wuchs im Stadtteil Pfingstberg auf, am Karl-Friedrich-Gymnasium machte sie Abitur, danach studierte sie Theologie und 1990 kehrte sie mit ihrem Mann wieder in die Heimat zurück. Das Haus auf dem Almenhof ist seitdem Familiensitz und spürbar ein Ort des Zusammenhalts. Zaghaft klopft es an die Tür, der Ehemann nimmt die Getränkewünsche auf, wenige Minuten später serviert einer der Söhne eben diese, garniert mit Weihnachtsgebäck. Alle kümmern sich. Auch Karin Lackus ist eine Kümmerin, lange war sie Religionslehrerin am Bach-Gymnasium, dann sehnte sie sich danach, näher an den Menschen zu sein, und sie trat die Stelle als Krankenhausseelsorgerin am Diako an.
Das Sterben wurde zu einem täglichen Begleiter und der Umgang damit zur Herzensangelegenheit von Karin Lackus. Die Gespräche mit Schwerkranken, die Facetten ihres Abschieds, die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Gesellschaft - die Seelsorgerin ließ das alles Teil ihres Lebens werden. Sie verfasste Texte, hielt Vorträge, nahm dem Tod den Schrecken, indem sie ihn enttabuisierte. „Mir geht es gut. Ich sterbe gerade“, lautet der Titel ihres Buches, das 2016 erschien. Am Bett der vermeintlich Schwachen zu sitzen, sie mit Worten zu stützen, zuzuhören, die Hand zu halten - das war Karin Lackus’ selbstauferlegter Auftrag. Bis zum 17. August 2020.
Mit Bauchschmerzen hatte es angefangen, aber die Kümmerin verdrängte. Heute sagt sie: „Ich wusste ja, wie sowas losgeht, ich hätte es ahnen müssen.“ Doch sie war nicht vorbereitet, als der Arzt ihr die Diagnose offenbarte: Eierstockkrebs. „Man fällt vom Zehn-Meter-Brett und weiß nicht, wann und wie man aufkommt.“ Für Karin Lackus und ihre Familie brach alles zusammen. Wochenlang lag sie auf der Intensivstation. „Es ging nur noch darum, an der Wasseroberfläche zu bleiben“, erinnert sie sich.
Karin Lackus lacht viel und herzlich. Nur manchmal wirkt es, als würden ihr die Worte im Hals steckenbleiben, so als müsste sie noch einen Moment warten, um sie aussprechen zu können, ohne dabei zusammen zu brechen. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich merkte, dass ich die Seiten gewechselt habe.“ Plötzlich gehörte sie zu den Geschwächten, die Beistand brauchten. Und dann noch Corona. Es sei tröstlich gewesen, dass sich nicht nur ihr Leben im Lockdown befand, sondern der Alltag aller heruntergefahren werden musste. Selbst mit den pandemiebedingt eingeschränkten Besuchszeiten im Krankenhaus konnte sie sich abfinden. Aber dann, kurz vor Weihnachten 2020 überfiel sie die Angst. Ihr Arzt kündigte an, ihre Chemo herunterzuschrauben. Aus Sicherheitsgründen. Als Krebspatientin würde sie in der aktuellen Lage kein Bett in einer Klinik bekommen, wenn sie die Chemo nicht vertragen würde, erklärte er ihr. Sie nahm es an. Was blieb ihr auch übrig. Die Familie wuchs nun noch enger zusammen, „das Leben, so beschreibt es Karin Lackus, „wurde stärker“. Karin Lackus geht es heute gut. „Ich lebe“, sagt sie. Und dann kommt wieder so ein Satz, der einen Moment braucht: „Ich warte auf das Rezidiv“, den Rückfall.
Wie viel Zeit ihr bleibt, weiß niemand. Doch Karin Lackus nutzt sie. Sie schreibt. Darüber, wie es ist, eine der Geschwächten zu sein. Sie berichtet über Menschen, die auf die Chemo verzichten, weil sie Angst vor der Einsamkeit in der Klinik haben. Sie erhebt als Kranke die Stimme in der Impfdebatte und bittet darum, beachtet zu werden. „Ich möchte bei der Entscheidung anderer eine Rolle spielen“, wünscht sie sich. Es gehe nicht um die Freiheit des Einzelnen, „das ist ein Missverständnis: Es gibt keine Freiheit auf Kosten anderer.“ Verständnis hat Karin Lackus für Menschen, die von Angst geplagt werden, sich deshalb nicht impfen lassen. „Ich möchte niemanden verurteilen, aber ich wünsche mir Empathie für die Kranken. Wir brauchen Hilfe, sonst sterben wir.“
Das, was die 62-Jährige beschäftigt, strahlt sie nicht aus. Hoffnung trägt sie nach außen, Freude. Nur selten sei sie wütend oder neidisch auf „gesunde Menschen mit ihrer Sorglosigkeit“. Jetzt poltert’s im Garten, ein Enkelkind schleppt Äste im Regen. Alltag. Fast. Früher, vor der Chemo, so erzählt Karin Lackus noch, habe sie lange, rote Locken gehabt - „es hat sich vieles geändert.“ Gerade deshalb soll sich manches so anfühlen dürfen wie immer. Silvester zum Beispiel. Da möchte Karin Lackus feiern, mit Freunden und Fondue. Ihr Wunsch für 2022: „Ich will leben. Aus vollem Herzen.“
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