Mannheim. Außer Kontrolle gerät die zweitägige Veranstaltung nur einmal kurz. Da wird ein Bewerber zur Vorstellungsrede aufgerufen, der gerade auf der Toilette ist. „Des isch halt blöd“, seufzt der Versammlungsleiter, der Böblinger Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier. Die vereinbarte Redezeit von fünf Minuten müsse nun laufen. Doch schon kommt der Mann zurück, alles geht wieder geordnet. Nach sechs Stunden am Samstag und vier am Sonntag ist das Ergebnis eindeutig: Der Kreisvorstand hat all seine 48 Kandidaten für die Kommunalwahl durchgebracht. Und der Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos ist bei einem Dreikampf um Listenplatz 1 gescheitert. Er erhält nur acht von 58 Stimmen, zwei weniger noch als Andreas Ksionsek von der Bürgerinteressengemeinschaft Lindenhof. Klarer Sieger ist mit 40 Stimmen Rüdiger Ernst, der Sprecher des Kreisvorstands.
Ernst spricht gleich zu Beginn der Versammlung im Feudenheimer Schützenhaus von einer „beispiellosen diffamierenden Hetzkampagne“ gegen den Kreisvorstand, die auch aus der Partei heraus befördert worden sei. Klos hat zuletzt Führungsmitgliedern der Mannheimer AfD Rassismus und mangelnde Distanz zu Rechtsextremen vorgeworfen. Ohne den Abgeordneten namentlich zu nennen, mahnt Ernst: „Denken Sie daran: Wer mit Dreck wirft, der beschmutzt sich selber.“
Laufendes Strafverfahren
Klos schlägt vor, alle Bewerber zu ihrem polizeilichen Führungszeugnis, laufenden Strafverfahren und anderen Parteimitgliedschaften zu befragen. Beschlossen wird, jedem drei freie Fragen zu stellen. Dafür bilden sich Schlangen vor dem Podium, die Fragesteller werden ausgelost. Bei Ernst wird dann ein laufendes Strafverfahren angesprochen, Klos hat ihn wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Der Abgeordnete wiederum soll sagen, gegen wie viele Parteikollegen er bereits Verfahren angestrengt hat. Klos nennt keine Zahl, verweist aber auf „gleiches Recht für alle“.Er wende sich besonders gegen den „Filz“ in anderen Parteien, daher mache er bei Straftaten keinen Unterschied zwischen AfD-Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern.
Auf die Plätze 2, 3 und 4 der Kandidatenliste werden AfD-Vize Rainer Kopp sowie die Vorstandsmitglieder Ulrich Lehnert und Heinrich Peter Liebenow gewählt. Auch hier gibt es Kampfabstimmungen, die drei gewinnen ähnlich hoch wie Ernst. Besonders hitzig geht es bei Liebenow zu. Dem wirft Klos vor, auf seiner Facebookseite würden Zuwanderer als Ratten verunglimpft und er werde im Norden der Stadt „Gauleiter“ genannt. Liebenow weist die Vorwürfe empört zurück und kündigt Strafanzeige wegen Verleumdung an. Dem „MM“ sagt er später, er sei tief in seiner Ehre verletzt: „Mein Großvater war im Dritten Reich im Widerstand. Mich nennt niemand Gauleiter!“ Nach Liebenows Wahl auf Listenplatz 4 verlassen Klos und einige Anhänger die Versammlung.
Auf Platz 5 wird als erste Frau Anne Charlotte Samland gewählt. Auch Nicht-Mitglieder gelangen auf die Liste, etwa auf Platz 11 Heinrich Koch, der bei der Landtagswahl 2016 noch für die damalige AfD-Abspaltung Alfa antrat, und auf Platz 12 Gerhard Schäffner aus der „Bürgerfraktion“, der als Einziger bereits im Gemeinderat sitzt. Bei der Kommunalwahl vor fünf Jahren holte die AfD vier Mandate, ihre Stadträte traten jedoch 2015 aus der Partei aus.
Am Sonntag muss die AfD in ein Gewerbezentrum in Käfertal ausweichen, ihr Stammlokal Schützenhaus hat geschlossen. Frohnmaier ist nicht mehr dabei, die Versammlung leitet nun Robert Schmidt, der frühere Kreisvorstandssprecher. Noch 25 Stimmberechtigte füllen die Listenplätze 23 bis 48. Einige Bewerber sind nicht gekommen und lassen sich von anderen vorstellen. Bis auf kleinere Pannen verläuft alles harmonisch und schneller. Klos und seine Anhänger erscheinen nicht mehr.
Der Kreisvorstand widmet sich dem Abgeordneten noch in einer Pressemitteilung: Beim nächsten Mal wolle man im Mannheimer Norden einen integren Kandidaten aufstellen, der „seine Zeit nicht damit verschwendet, in Stuttgart die Partei zu spalten“, und sich nicht „immer weiter von der Realität entfernt“.
Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/mannheim
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-kandidatenkuer-in-zehn-stunden-_arid,1391211.html