Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus in dem Evangelium nach Johannes, das am morgigen Sonntag in den Gottesdiensten vorgelesen wird. Es ist der sogenannte „Guter-Hirte-Sonntag“.
Dieses Bild von Jesus als dem guten Hirten ist ein sehr schönes Bild. Wenn ich ehrlich bin, dann verbinde ich mit der Berufsgruppe des Hirten eher romantische Gefühle. Wie schön sieht es aus, wenn an den Neckarwiesen eine Schafherde weidet, die Hirtenhunde um die Tiere herumtollend aufpassen, und der Hirte oder die Hirtin am Rande steht und wachsam auf alle blickt. Sie mögen mir hier mein sehr laienhaftes Verständnis ihres Berufes verzeihen.
Für die wenigen, die diesen Beruf ausüben, hat es sicherlich nicht viel mit Romantik zu tun. Es wird eine Knochenarbeit sein, ständig wachsam sein zu müssen, alles im Blick zu halten, gegebenenfalls schnell und konsequent zu reagieren, ohne lange nachzudenken, und noch vieles mehr, was zu diesem Beruf gehört, also eine echte Herausforderung. Das Ziel dieses Berufes ist wohl, dass die Herde in Ruhe weiden kann, keine Ängste spüren muss und dann Ertrag bringt.
In Sorge um die Herde
Schafe sind Nutztiere. Sie sind da, um Wolle und anderes den Menschen zu Nutzen zu geben. Das ist dann auch der Ertrag, nach dem ein Schaf gemessen wird. Und danach richtet sich bestimmt auch das, was mit einer erfolgreichen Arbeit eines Hirten bezeichnet werden kann.
Jesus bezeichnet sich als Hirte. Er verspricht damit, dass er wachsam bei seiner Herde ist, dass sie in keine Gefahr gerät und wenn doch, dass er sie schützt. Und das Ziel Jesu ist es in dieser Logik, dass seine „Herde“ in Ruhe ihr Leben gestalten kann, keine Ängste haben muss und Ertrag bringt.
Das klingt so, als seien die Christenmenschen, die zu Jesu Herde gehören, wie Schafe, also auch wie Nutztiere. Schafen sagt man unterdessen gerne nach, sie seien dumm und folgten unkritisch einem Hirten. Dies klingt völlig komisch für uns. Wir Christen sind doch keine dummen Herdentiere, oder? Und: wie steht es mit dem Nutzen?
Wenn ich die Wirtschaftsnachrichten lese, dann kommt es mir manchmal schon in den Sinn, als ob wir Menschen nur nach unserem „Ertrag“ beziehungsweise nach unserem Nutzen gemessen werden. Und ganz ehrlich: Denken wir selbst nicht oft genau so, dass alle und alles dem Nutzen und dem Ertrag unterworfen und entsprechend bewertet wird?
Was ist jedoch mit denen, die in unserer vermeintlich effektiven Gesellschaft nicht in dieses Raster passen, die keinen offensichtlichen Nutzen und keinen zählbaren Ertrag erwirtschaften? Jesus ist auch für die der gute Hirte! Und auch diese gehören zur Gesellschaft, also zur „Herde“, um im Bild zu bleiben.
Wir Menschen weiden auf der Wiese unseres Lebens. Jesus, unser Hirte, ist die ganze Zeit bei uns. Und er wacht über uns, nicht als seien wir Nutztiere, die vordringlich einen Ertrag zu erbringen haben, sondern weil wir einfach dort auf dieser Weide sein dürfen und sollen. Es soll uns gut gehen.
Das mag jetzt erstmal ganz banal klingen, aber versuchen Sie doch einmal, sich genau das vorzustellen, dass da einer ist, der Ihnen allen Raum gibt, damit Sie gut leben können, ohne Sie gleich zu bewerten oder zu messen oder in irgendein Raster einzuteilen. Wie klingt das für Sie?
Bernhard Wietschel, Pastoral- referent in der katholischen Seelsorgeeinheit Mannheim Johannes XXIII. und der Citypastoral Mannheim
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