Veranstaltung

Ist die Demokratie von Mannheim aus zu retten?

Die Meile der Demokratie zog durch Mannheim. Wir waren dabei.

Von 
Felix Michalski
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Start am Schloss: Meile der Demokratie startet an der Universtität Mannheim. © Felix Michalski

Mannheim. „Danke, dass Sie heute gekommen sind“, begrüßt Erste Bürgermeisterin Diana Pretzell ihre Gäste am Freitagnachmittag. Normalerweise wird hier im Gemeinderatsaal des Stadthauses Mannheim über Stadtentwicklung, Mobilität und den Haushalt debattiert. „Während der Finanzdebatte war hier der ganze Oberrang voll“, berichtet Pretzell: „Ein Thema, das die Menschen bewegt hat.“ Das heutige Thema scheint wenig Bewegung bei den Mannheimer Bürgern hervorzurufen. Lediglich 30 Plenarsitze des Unterrangs sind belegt. Dabei geht es bei der Meile der Demokratie, zu dem die Abendakademie geladen hat, um ein hohes Gut unserer Gesellschaft: den Glauben an die Kraft des Dialogs.

Spaziergang für Demokratie bewegt sich Richtung Mannheimer Stadthaus. © Felix Michalski

Der demokratische Spaziergang, der die Teilnehmenden unter Begleitung vierer Saxofonistinnen nach dem Stadthaus über den Marktplatz bis zur Abendakademie führen wird, startete zuvor auf dem Vorhof der Universität Mannheim.

Thomas König, Professor für Politikwissenschaft, führt dafür unterschiedliche Gründe an. So sei unter anderem der Sensationalismus auf Social Media ein großes Problem für die Demokratie. Auch gebe es das Empfinden vieler Menschen, dass die Redefreiheit in Deutschland nicht mehr so ist, wie sie mal war. „Hier holt das rechte Spektrum die Leute über Emotionen ab. Das schaffen die traditionellen Parteien bislang nicht.“ König mahnt, zu was diese Dynamiken führen können: „Es ist erstaunlich, wenn man die Vorgehensweise ab 1930 anschaut. Wie die SPD nach links guckt wegen des Aufstiegs der Kommunisten und das Zentrum nur nach rechts wegen des Aufstiegs der Nationalsozialisten. Das erinnert viel an heute. Die Mitte wird leerer.“

Dabei benötige es gerade diese Mitte für Kompromissfindung: „Je weiter die Fronten auseinanderdriften, desto schwieriger ist es, eine Lösung in der Mitte zu finden.“ Die Mühlen mahlen langsam in der Demokratie. Zu langsam? Pretzell findet hierfür klare Worte: „Die Demokratie in Deutschland haben wir nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt. Heute müssen wir uns fragen, ob die damaligen Maßstäbe in den heutigen schnelllebigen Zeiten noch zeitgemäß sind.“

In Anbetracht der überschaubaren Teilnehmerzahl bei merklich hohem Altersdurchschnitt regt vor allem die Frage nach Kontaktmöglichkeiten zur Demokratie, besonders für junge Menschen, eine rege Debatte im Plenarsaal an. „Die Einzelnen wissen auch nicht die Lösung. Wir müssen uns neue Wege überlegen“, beklagt eine Teilnehmerin. Eine andere Teilnehmerin entgegnet, es liege in der Pflicht der Bürger, entsprechende Angebote wahrzunehmen. Pretzell betont die vorhandenen Angebote: „Wir machen viel auf Social Media, aber machen wir es richtig? Keine Ahnung.“ Hier wünsche sie sich stärkere Regulierung im Hinblick auf Fake News, um den politischen Prozess nicht zu beeinträchtigen.

Diana Pretzell und Frauke Kühnl begrüßen Teilnehmer im Gemeinderatssaal. © Felix Michalski

Gerhard Fontagnier, Stadtrat von den Grünen, sieht vor allem Probleme im institutionellen Bereich. So wurde in der Neckarstadt eine Petition gegen den Bau eines Parkplatzes auf einer Grünfläche unternommen, die Initiative der Bürger jedoch blockiert: „Die Chance, etwas zu bewegen, ist da, aber für einen Erfolg braucht man einen sehr langen Atem.“ Hier wünsche er sich höhere Erfolgsaussichten für aktive Bürgerbewegungen.

Bei dem angeregten Diskurs lässt sich eines feststellen: Schade, dass ihn so wenige gehört haben. Wer ist verantwortlich für das geringe Interesse an der Demokratie? Sind es die Bürger selbst? Sind es Politiker, die die Bürger mehr und mehr zu verlieren scheinen? Frauke Kühnl, Organisatorin von der Mannheimer Abendakademie, sieht die Ursachen in der aktuellen Gemütslage: „Wir wollten bewusst ein Experiment wagen und die Demokratie auf die Straße bringen. Wir haben das Event breit beworben, aber im Moment ist es schwer, Menschen für Demokratie zu begeistern. Der Unmut ist sehr groß und diffus. Wir müssen es schaffen, diese unterschwellige Strömung zu durchbrechen.“

Wem soll es aktuell gelingen, dieses Durchbrechen? Wie viel Macht hat man als Stadt, als Kommune, gar als einzelner Mensch? Hält die Demokratie noch das, was sie verspricht? Eine Frage, die sich momentan viele Bürger dieses Landes stellen.

Leerer Gemeinderatssaal: nur 30 Anhänger nehmen an Meile der Demokratie teil. © Felix Michalski

Für Kühnl steht fest: „Wir werden weiter Angebote machen und uns nicht entmutigen lassen.“ Für ihre Mühen soll sie noch entlohnt werden. Als sich die Gruppe in Richtung Marktplatz bewegt, erregen die talentierten Saxofonistinnen die Aufmerksamkeit der Menschen, während Kühnl und ihre Mitstreiter fleißig Flyer verteilen. Am Marktplatz angekommen sprechen sie mit Passanten, fragen, was ihnen in einer Demokratie wichtig ist. So gelingt es ihnen, abschließend doch das zu tun, wofür die Demokratie einsteht: Menschen ins Gespräch zu bringen.

Die Veranstaltung klingt bei Diskussionsrunden, Musik, Mitmachaktionen, Workshops und Infoständen aus. Am Abend präsentiert die Autorin Jagoda Marinić ihr Buch „Sanfte Radikalität – Zwischen Hoffnung und Wandel“ in einer Lesung. Ihr Appell: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie verlangt Einsatz. Von der Politik, von der Zivilgesellschaft. Von jeder einzelnen Stimme! Demokratie muss ernst genommen, aktiv gelebt und verteidigt werden.

Thomas König, Professor der Politikwissenschaft, sucht nach Lösungen für die aktuellen Probleme der Demokratie. © Felix Michalski

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