Mannheim

In Mannheim und Umgebung kann sich Erdogan auf treue Wähler verlassen

Dem türkischen Präsidenten und seiner Regierungspartei ist es gelungen, die einst geschlossene Wählerschaft der Deutsch-Türken in der Region zu spalten. Das nationalistische AKP-Lager überwiegt - zum Unmut liberaler Strömungen

Von 
Ilgin Seren Evisen
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Wahlplakate in Istanbul zeigen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan (l.) und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu. © T. Ildun/ZUMA Press Wire/dpa

Mannheim. Bis zum 9. Mai können Türken der Region durch eine Stimmabgabe die politische Zukunft der Türkei mitbestimmen. Prognosen zufolge wird die Mehrheit wie in der Vergangenheit auch für den amtierenden Präsidenten Erdogan stimmen - zum Unmut liberaler Türken der Region. Die Parlamentswahlen- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai in der Türkei werden in kritischen türkischen Medien als Schicksalswahlen bezeichnet.

Die Chancen auf einen Sieg sind für den Kandidaten der Opposition, Kemal Kilicdaroglu von der sozialdemokratischen Partei CHP, so hoch wie selten in den vergangenen 20 Jahren.

Während sich in der Türkei die Stimmen gut ausgebildeter, meist jüngerer Türken immer lauter werden und sich nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar selbst einstige AKP-Wähler vom Langzeitpräsidenten abwenden, kann sich Erdogan auf seine treuen Wähler aus Deutschland verlassen. Von den stimmberechtigten 1,5 Millionen Deutsch-Türken in Deutschland werden Prognosen zufolge mehr als die Hälfte ihr Kreuz bei Recep Tayyip Erdogan setzen.

Was sagen Türken in Mannheim zur Wahl?

In Mannheim leben der Stadt zufolge 28 177 Menschen mit türkischen Wurzeln. Mit einem Anteil von 18,1 Prozent bilden sie somit den größten Anteil an den Migranten der Stadt. Die ungebrochene Loyalität gegenüber der AKP nach dem oft kritisierten Katastrophenmanagement in den Erdbebengebieten, der chronischen Wirtschaftskrise und einer zunehmenden Polarisierung des Landes ruft bei liberalen und westlich orientierten Türken in Mannheim Unverständnis hervor.

Sich dem Regierungskurs und dem Präsidenten gegenüber kritisch zu äußern, gilt auf Grund befürchteter Konsequenzen in Form von Anfeindungen innerhalb der regionalen Gemeinschaft als Tabu. Viele möchten sich aus Angst vor Folgen auch für ihre Familien in der Türkei nur anonym äußern. Zwei ganz andere Beispiele aus Mannheim:

Ertan Kurt arbeitet als Niederlassungsleiter eines Dienstleistungsunternehmens in Mannheim. Als zweiter Vorsitzender der alevitischen Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis kennt er viele Deutsch-Türken der Region. Für die Gemeinde ist die Gleichstellung der Aleviten und anderer Minderheiten in der Türkei ein wichtiges politisches Ziel.

Kurt Ertan hinterfragt den Sinn des Wahl-rechts für Türken hierzulande. © Ilgin Seren Evisen

Von den Türken in Deutschland, die mehrheitlich linke Parteien wählen, wünscht sich Kurt ein ähnliches Wahlverhalten auch für die anstehenden Wahlen in der Türkei. „Die Wahlen werden nicht umsonst als Schicksalswahlen bezeichnet“, so Ertan. „In den letzten Jahren hat der amtierende Präsident Erdogan die Polarisierung unter Türken dort wie hier stark vorangetrieben. Mittlerweile sind viele Menschen auch hier in Mannheim, die regierungsnah oder regierungskritisch sind, nicht in der Lage das sachlich auszudiskutieren“, stellt Kurt fest.

Zweifel an Wahlrecht

Ähnlich wie Moschee-Verbände animiert auch die alevitische Gemeinde ihre Mitglieder dazu, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Von Mitgliedern anderer alevitischer Vereinigungen habe er inzwischen öfter mitgeteilt bekommen, dass es vor den Konsulaten zu Streitigkeiten gekommen sei. „Die Verbitterung und der Graben zwischen den Regierungsparteien und den Oppositionsparteien ist groß“, stellt Kurt fest. Dabei hinterfragt der junge Mannheimer, wie sinnvoll das Wahlrecht für Deutsch-Türken ist. „Man sollte nur in einem Land wählen dürfen, in dem man auch lebt und in dem man die Konsequenzen seiner Wahl wirklich spürt“, so Kurt.

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Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen AKP Anhängern und Gegnern in Mannheim schließt Kurt nicht aus. Eine Polarisierung wie aktuell habe er bisher noch nicht erlebt. Kurt wünscht sich für die Zeit nach den Wahlen, dass sich die Mannheimer Türken für ein Miteinander entscheiden und der Streit ein Ende findet. Im Falle eines Siegs des Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu glaubt Kurt an einen Sieg demokratischer und liberaler Kräfte in der Türkei und ist sich sicher, dass die gesellschaftliche Spaltung der letzten Jahre auch in Mannheim überwunden werden kann.

Engagement für Frauenrechte

Auch Esra Kunt Derikesen ist eine, die in der türkischen Szene Mannheims gut vernetzt ist. Die gebürtige Türkin arbeitet als Chemie-Ingenieurin und war viele Jahre die Vorsitzende des Atatürk Vereins in Mannheim. Die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Türkei sind ihr gut bekannt, sie waren ausschlaggebend für ihre eigene Auswanderung nach Deutschland.

Die große Zustimmung, die der amtierende Präsident Erdogan bei Deutsch-Türken genießt, sieht Derikesen sehr kritisch: „Wir nehmen an Wahlen teil und wählen Politiker, damit sie uns und unsere Interessen vertreten. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Türken hier wählen Politiker in einem anderen Land und wissen, dass sie von den politischen Konsequenzen nicht betroffen sind“.

Esra Kunt Derikesen hofft auf Kemal Kilicdaroglu. © Ilgin Seren Evisen

Die Wahlerfolge der Regierungspartei in Mannheim erklärt sie sich durch eine nationalistisch-religiöse Grundhaltung der Türken hier. „In Deutschland wählen sie mehrheitlich links, weil sie wissen, dass linke Parteien im Interesse von Minderheiten handeln. In der Türkei wählen sie rechts, weil sie im Kern rechts-konservativ sind“, so Derikesen. „Würden die Deutsch-Türken mehrheitlich sozialdemokratisch wählen, hätte ihnen die Regierung diese Option nicht ermöglicht. Die AKP sei sich sicher, dass sie vor allem bei den Auslandstürken viele Stimmen einholen könne.

Einst sekulär und modern

Als sie vor 13 Jahren aus der Türkei einwanderte, habe sie die Mannheimer Türken und ihre Vereine als sehr geschlossen erlebt. Während das türkische Leben in Mannheim in den 70er und 80er Jahren säkular und modern gewesen sei, haben ihr und anderen westlich orientierten Türken der Region zufolge, mit Erdogans Machtausbau autoritäre und nationalistischere Bewegungen die Oberhand gewonnen. Derikesen engagiert sich auch deshalb viele Jahre im Atatürk Verein Mannheim, weil sie sich unter den Deutsch-Türken der Region mehr Begeisterung für Frauenrechte wünscht.

Sollte ihr favorisierter Kandidat, Kemal Kilicdaroglu, gewinnen, rechnet sie mit Ausschreitungen, auch in Mannheim. „In der Vergangenheit wurden Frauen unseres Vereins bei politischen Kampagnen in der Stadt von AKP-nahen Türken angefeindet. Solche Vorfälle halte ich auch nach diesen Wahlen möglich“, so Derikesen. Ihr Engagement für den Atatürk Verein will sie dennoch nicht aufgeben, Säkularismus und Demokratie seien schließlich wichtige Ideale, die es in Krisenzeiten erst recht zu verteidigen gelte.

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