Annalena Wirth war gerade mal acht Jahre alt, als die Nuklearkatastrophe von Fukushima die Welt erschütterte. Schockiert von den Bildern der explodierenden Reaktorblöcke begann die Drittklässlerin derart vehement gegen Atomkraft zu argumentieren, dass ihre Lehrerin riet: „Du solltest in die Politik gehen.“ Und was die Pädagogin damals vielleicht noch eher amüsiert vorgeschlagen hatte, mündet heute – zehn Jahre später – in den vielversprechenden Start einer außergewöhnlichen Politikerkarriere. Die Lindenhöferin ist mit 18 Jahren nicht nur die jüngste Ortsvereinsvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, sondern auch bundesweit die jüngste Frau an der Spitze solch eines Gremiums. Auf den Punkt, kompetent und bei aller Klarheit freundlich und eloquent: Im Interview sprach die gebürtige Mannheimerin über ihre Verbundenheit mit ihrem Heimatort Lindenhof, das wachsende Miteinander in Zeiten von Corona, über die Notwendigkeit von mehr Zusammenhalt unter Frauen, „im Beruf genau wie in der Politik“ – und über Amal Clooney.
Große Zahl an einsamen Menschen
Und natürlich steht in diesen Tagen neben ihrem gerade begonnenen Jurastudium das Thema Pandemie an vorderster Stelle. Zumal sie die Nachbarschaftshilfs-Aktion der SPD für den Lindenhof leitet. Bei ihren Gesprächen mit Menschen, die zur Risikogruppe zählen, begegnen ihr täglich die unterschiedlichsten Schicksale. Was sie dabei besonders umtreibt, ist die Tatsache, „dass doch so viele Leute sehr allein sind. Das hat mich wirklich erschreckt“. Also Isolation und Einsamkeit auch ganz ohne Corona? „Ja, leider. Da geht es längst nicht nur ums Einkaufen, sondern, dass jemand zuhört, einfach da ist, auch wenn’s nur am Telefon ist.“ Nun wolle sie auch für die Zukunft überlegen, wie man beispielsweise Ehrenamtliche für Kontakte einbinden könne: „Es gibt eben in Mannheim erfreulicherweise viele Kinder, aber auch viele Senioren.“
Nicht zu vergessen die zahlreichen Studenten: „Ich möchte das studentische Leben hier gerne stärken. Denn es macht Spaß, auch gerade hier, in diesem bunten Stadtteil auf dem Lindenhof mit all den Generationen zu leben und zu studieren.“ Klar, als sie 14 war, sich zum ersten Mal die Parteiprogramme der Sozialdemokraten durchlas und schließlich über Freunde bei den Jusos Fuß fasste, schlug das Herz der damaligen Gymnasiastin zunächst mal für Umweltthemen.
Weil sie einen starken Gerechtigkeitssinn hat, gepaart mit dem Wunsch, Menschen zu helfen, die unfair behandelt werden, lag es nahe, Jura zu studieren: „Ich interessiere mich besonders für Völkerrecht.“ Menschenrechtsanwältin wäre ihr Traumberuf.
Ihre Position als Frau in der Politik empfindet sie als zwiespältig. Doch eines könne sie zumindest für die Sozialdemokraten ganz klar feststellen: „Jede Frau, die Potenzial hat, wird auch gefördert.“ Dennoch: „Man kommt niemals in diesen inneren Kreis von Männern rein, die seit 50 Jahren automatisch netzwerken.“ Da müsse in der Tat noch viel passieren. „Gerade deshalb sollten Frauen unbedingt noch besser zusammenhalten, sich gegenseitig fördern – und mutig sein.“ Oft würden sich Frauen ein politisches Amt und öffentlich zu reden einfach nicht zutrauen und Bedenken hegen: „Ob sie das auch zeitlich und mit Familie hinkriegen.“ Was sollte eine Frau an Fähigkeiten mitbringen? „Sie muss bereit sein, auch an sich selbst zu arbeiten, ab und zu über den eigenen Schatten zu springen und zu wachsen.“ Und leider brauche eine Frau heute immer noch ein Stück weit eine dicke Haut. Man dürfe dumme und sexistische Sprüche nicht an sich ranlassen. Von wegen man sei zu sensibel für den Job, eine Quotenfrau oder habe als Mädchen Charmevorteile: „Zu einem Mann sagt ja auch keiner, dass er den Job nur habe, weil er ein Mann sei.“
Alltag zwischen Paragrafen und Politik
Bleibt in ihrem dicht gepackten Alltag Zeit für Muße? „Nicht viel, tagsüber Jura, abends Politik. Und ab und zu Ballett.“ Eine eigene Familie könne sie sich schon vorstellen: „Vielleicht, wenn die Bedingungen für berufstätige Frauen besser werden. Und ich einen feministischen Mann finde.“ Apropos Traumberuf und Menschenrechtsanwältin. So wie Amal Clooney? Ein Gedanke, der die angehende Juristin zum Lachen bringt. „Aber im Ernst. Ich finde es tatsächlich toll, wie sie ihre Karriere schafft, trotz sogenanntem Spielerfrauenimage und zwei Kindern. Eine echte Powerfrau.“ Nun, die jüngste SPD-Ortsvereinsvorsitzende in ganz Deutschland, ist für den Anfang doch auch schon ganz beachtlich. Oder? Da lacht die 18-Jährige: „Diesen Titel würde ich gerne sofort weitergeben. Damit sichtbar wird, dass ich gar keine so große Ausnahme bin. Es gibt so viele begabte Frauen, die müssen sich nur trauen.“
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