Podiumsdiskussion

IHK-Präsident Schnabel: „Politik geht Kernprobleme der Unternehmen nicht an“

Politik und Wirtschaft diskutieren in Mannheim über „Herausforderungen für die neue Bundesregierung“. Dabei ging es um die Milliarden-Sondervermögen und die Stimmung im Land.

Von 
Christian Gerards
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Podiumsdiskussion bei der IHK: MM-Chefredakteur Karsten Kammholz moderierte die Runde mit Isabel Cademartori (SPD-Bundestagsabgeordnete), IHK-Präsident Manfred Schnabel und Andrea Römmele, Professorin für Kommunikation in Politik und Zivilgesellschaft an der privaten Hertie Business School in Berlin. © Rittelmann Fotografie

Mannheim. Weniger Regulatorik und weniger Bürokratie für die Unternehmen. Das ist eine der wesentlichen Forderungen von IHK-Präsident Manfred Schnabel an die Bundespolitik. Unter dem Thema „Herausforderungen für die neue Bundesregierung – Perspektiven aus Wirtschaft und Politik“ diskutierte er am Mittwoch unter der Moderation von Karsten Kammholz, Chefredakteur des MM, mit der SPD-Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Isabel Cademartori, sowie Andrea Römmele, Professorin für Kommunikation in Politik und Zivilgesellschaft an der privaten Hertie Business School in Berlin.

Schnabel forderte mehrfach einen bedeutenden Bürokratieabbau. So würden etwa Steuern, Regulatorik und Arbeitskosten die Unternehmen stark belasten. „Die Politik geht aber an die Kernprobleme der Unternehmen nicht ran“, sagte er. Diese Themen würden mehr drücken als die marode Infrastruktur, die durch das Sondervermögen der Bundesregierung in den Fokus rückt: „Das heißt nicht, dass nicht in die Infrastruktur investiert werden sollte“, betonte er.

Manfred Schnabel prognostiziert versteinerten Haushalt“

Die Tilgung der einen Billion Euro, die die Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren investieren möchte, beginne im Jahr 2044: „Welches Unternehmen würde so ein ,Gambling‘ betreiben. Dann ist Bundeskanzler Merz 89 Jahre alt“, kritisierte er. Angesichts der großen Ausgaben auch für die Verteidigung und Zuschüsse für die Sozialversicherungssysteme prognostizierte Schnabel ab dem Jahr 2037 einen „versteinerten Haushalt“.

Die eine Billion Euro helfen dem Land, zeigte sich Cademartori überzeugt: „Sie werden aber nicht alle Probleme lösen. Es werden auch nicht alle Projekte, die in der Schublade liegen, umgesetzt“, verdeutlichte sie. Für Mannheim hoffe sie, dass in vier Jahren die erste der beiden maroden Brücken saniert und die zweite bereits in Angriff genommen worden sei.

„Ich bin froh, dass wir investieren können“, betonte die Bundespolitikerin. Für die vielen Infrastruktur-Projekte, die in der Region angedacht seien, etwa der weitere Ausbau der Bahnstrecke Mannheim-Frankfurt oder der Wunsch nach einem Tunnel in Mannheim, würden vier Jahre nicht reichen: „Aber vielleicht sind wir dann genervt von den vielen Baustellen.“ Sie sprach von einem Konjunkturimpuls für die Unternehmen. Das sei eine große Chance.

Für Römmele ist ein Teil des Problems, dass die Politik viel zu wenig langfristig, sondern vor allem im Krisenmodus agiere. Als Beispiel nannte sie das leidige Thema Brücken: „Dass sie kaputtgehen, weiß man, wenn man sie baut. Sie arbeiten immer gegen sich selber, und ab einem gewissen Punkt kippt es eben. Die Frage ist, warum Politik daher nicht vorausschauend arbeitet“, sagte sie.

Andrea Römmele über die Schuldenbremse und die Stimmung in der Bevölkerung

Wenn die Schuldenbremse nicht aufgehoben worden wäre, wäre die Talfahrt in Deutschland laut Römmele weitergegangen: „Dann würde auch das Vertrauen in die Institutionen weiter nach unten gehen“, meinte sie. Es gehe um Investitionen und um Wachstumszahlen, aber es gehe genauso auch um die Stimmung im Land: „Meine Beobachtung bei der öffentlichen Meinung ist, dass wir uns es wieder eher zutrauen, es zu schaffen. Das ist ein großer Erfolg.“ Die Bevölkerung sei aber nicht im Stimmungshoch: „Das ist alles noch labil.“

Schnabel sah den Zeitplan für das Ende der Schuldenbremse, wie es im März beschlossen worden war, als kritisch an: „Die Position der IHK ist, dass wir zunächst Reformen brauchen und dann erst das Investitionsprogramm.“ Die Verschuldung bedeute pro Bürger 18.000 Euro mehr an Schulden. „Das geht zulasten der kommenden Generationen“, sagte der IHK-Präsident.

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Ein Aufreger für Römmele war das Bild von dem Treffen von Bundeskanzler Friedrich Merz mit Vertretern der Wirtschaft vor wenigen Tagen, auf dem mit der Vorstandsvorsitzenden der Commerzbank, Bettina Orlopp, und Wirtschaftsministerin Katharina Reiche nur zwei Frauen zu sehen sind: „Wann ist Wirtschaft und Wissenschaft, egal in welchem System wir sind, am besten? Wenn wir divers aufgestellt sind. Das ist etwas, was das Bild so gar nicht vermittelt.“ Sie fühle sich an Diskussionen aus den 1980er-Jahren erinnert.

Derweil hat Schnabel ein anderes Problem mit der Symbolik des Bildes – und er sei froh, dass die IHK an diesem Abend ein anderes Bild abgebe mit zwei Frauen, die gemeinsam mit ihm diskutieren würden. Die IHK Rhein-Neckar vertrete etwa 70.000 Unternehmen. Von den auf dem Bild vertretenen Firmen sehe er an diesem Abend nur eine anwesend. Die nicht vorhandene Diversität der Unternehmensstrukturen auf dem Bild treibe ihn um: „Das wirtschaftliche Alleinstellungsmerkmal Deutschlands besteht aus der Mischung aus den Herren der grüßen Unternehmen, die dort vertreten waren, aber vor allem aus den vielen Mittelständlern, den Hidden Champions. Von ihnen ist niemand in der Runde vertreten. Diese Leute sprechen überhaupt nicht für uns“, kritisierte Schnabel.

Er gehe davon aus, dass bei den auf dem Treffen mit Merz angekündigten Investitionen der Unternehmen in Höhe von etwas mehr als 600 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren lediglich hundert zusätzlich seien: „Wenn man das ins Verhältnis setzt, dass in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich 80 Milliarden Euro pro Jahr ins Ausland abgewandert sind, dann sind die 25 Milliarden mehr eine Lachplatte.“

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