Interview

„Ich möchte die Zukunft ambitioniert gestalten“

Von 
Thorsten Langscheid
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„Ungewöhnliche Allianzen zu schmieden, das macht mir besonders Spaß“, sagt Diana Pretzell. © Thomas Tröster

Am 1. Januar löst die Grünen-Politikerin Diana Pretzell ihre Parteifreundin Felicitas Kubala als Bürgermeisterin für Klima-, Umwelt- und Naturschutz ab. Im Interview spricht die 49-Jährige über ihre Ziele im neuen Amt.

Am Tag nach ihrer Wahl zur neuen Mannheimer Dezernentin für Klima, Umwelt- und Naturschutz, Bürgerdienste, Tiefbau und Grünflächen kommt Diana Pretzell gut gelaunt in den Mediapark Dudenstraße. Im Interview spricht sie über die Leistungen ihrer Vorgängerin Felicitas Kubala, über die Verkehrswende, den klimagerechten Umbau der Stadt und wie sie vor allem auf die Bürger zugehen und gemeinsam ökologische Stadtentwicklung betreiben möchte.

Frau Pretzell, am Tag ihrer Wahl haben Aktivisten von Extinction Rebellion vor dem Rosengarten demonstriert. Wenn Sie auf diese Gruppen, auch auf Fridays for Future und andere Gruppierungen schauen – sehen die Grünen da nicht ziemlich alt aus? Haben die Grünen ein Generationenproblem?

Diana Pretzell: Ganz im Gegenteil: Ich sehe eine deutliche Verjüngung in der Partei, die ja gerade aus der guten Zusammenarbeit und der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der jungen Generation und ihren politischen Aktionsformen entstanden ist. Besonders auf den Austausch und die Arbeit mit den Umwelt- und Klimainitiativen freue ich mich. Und viele von ihnen haben ja den Weg zu den Grünen gefunden. Der hohe Anteil an jungen Mitgliedern bei uns Grünen ist für mich ein wichtiger Ansporn, die Zukunft ambitioniert zu gestalten.

Böse Zungen sagen: Klimaschützer gibt es bei den Grünen viele, aber nur wenige kennen sich in der Natur aus, wissen, wie die Tiere und Pflanzen eigentlich heißen und wie man mit ihnen umgehen muss. Sehen Sie das als Problem?

Pretzell: Fachwissen ist natürlich wichtig, und ich finde es sehr erfreulich, dass es von ganz vielen Menschen aus den unterschiedlichen Lebensbereichen auch mit zu uns gebracht wird . . .

. . . Sie bringen ja als Forstwissenschaftlerin selbst einiges Fachwissen mit.

Pretzell: Sicher, doch gibt es in Mannheim viele Akteure mit unterschiedlichem Fachwissen, bei den Umweltverbänden und natürlich den Grünen und anderen Parteien und in der Verwaltung, die ein breites Denken und Arbeiten im Querschnitt möglich machen.

Aus ihren bisherigen Wirkungsfeldern können sie zudem Erfahrungen einbringen.

Pretzell: Der Umweltschutz lag mir schon immer sehr am Herzen. Besonders wichtig ist mir dabei, mit den Bürgern gangbare Wege zu finden. Bei meiner Tätigkeit im Naturgarten Kaiserstuhl habe ich das mit und für die ganze Region angepackt und vom Gastronomen über die Bürgermeister bis zum Landwirt große Projekte umgesetzt und in der Verwaltung begleitet. Beim WWF habe ich auf Bundes- und Europaebene Umwelt- und Klimaschutz umgesetzt und politisch verhandelt. Besonders Spaß hat es mir dabei immer gemacht, ungewöhnliche Allianzen zu schmieden – wie zuletzt ein gemeinsames Umweltprojekt mit dem Fußball-Bundesligisten SC Freiburg.

Ein Wort zur Arbeit Ihrer Vorgängerin: Wie groß sind die von Felicitas Kubala hinter- lassenen Schuhe, in die sie schlüpfen werden?

Pretzell: Ich freue mich auf die Vielfältigkeit, die das Amt bietet. Das ist eine Herausforderung und zugleich eine spannende, große Chance, verschiedenste Themen miteinander zu verknüpfen und so die Stadt in Richtung Nachhaltigkeit, Innovation und Umweltschutz zu gestalten. Das Dezernat V ist hervorragend aufgestellt, und das ist ein klares Verdienst von Felicitas Kubala. Auf dieser Grundlage können wir Mannheimer zusammen weiter aufbauen. Beim Thema Klimaresilienz, also der Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit der gesamten Stadt beim Klimawandel, sowie bei einem ambitionierten Pfad hin zur Klimaneutralität. Mein Ziel ist es auch, den Mannheimern Zugang zu unverfälschter Natur weiter und noch besser zu ermöglichen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Pretzell: Unverfälschte Natur wird durch die Renaturierung etwa der Neckarufer entstehen, da liegen bereits umfangreiche Konzepte vor, die wir in der nahen Zukunft verwirklichen sollten. Zudem kann eine Stadt auch Lebensraum für viele seltene Tier- und Pflanzenarten sein. Dafür müssen wir deren Ansprüche an ihre Lebensräume kennen und berücksichtigen. Wichtig ist es mir auch, in Umweltbildung vor allem für junge Menschen zu investieren, und ihnen die Natur in der Stadt wieder zugänglich zu machen.

In der Feudenheimer Au haben die Grünen für den Bau eines Radschnellwegs gestimmt, obwohl damit eine seltene Orchideenart – der Bienenragwurz – zumindest eingeschränkt, wenn nicht verdrängt wird.

Pretzell: Wir müssen uns darum kümmern, Lebensräume für seltene Arten zu erhalten. Das ist mir sehr wichtig. Aber zugleich haben wir in einer Stadt wie Mannheim, nein: in jeder Stadt, immer auch andere wichtige Aufgaben, und daraus entstehen oft große Herausforderungen und schwierige Entscheidungen.

Die Grünen haben sich gegen die seltene Art entschieden…

Pretzell: An dieser Stelle haben sich die Mannheimer Grünen mehrheitlich dafür entschieden, dass Klimaschutz mit einem sehr, sehr guten Verkehrskonzept umgesetzt werden muss, und das war eine schwere Entscheidung und Abwägung. Aber vor solchen Entscheidungen werden wir auch in Zukunft immer wieder stehen. Deswegen ist es wichtig, alle Interessen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen – denn wir wollen die Stadt ja entwickeln und in Richtung CO2-Neutralität und Klimagerechtigkeit auch weiter voranbringen.

Apropos schwere Entscheidungen: Sehen Sie Chancen, mit den Anwohnern und Kritikern der Rheindamm-Sanierungspläne auf dem Lindenhof ins Gespräch zu kommen?

Pretzell: Unbedingt! Die Grünen-Fraktion ist schon sehr lang, von Anfang an, im Gespräch mit den Baumschützern und Anwohnern. Ich freue mich, sobald ich im Amt bin, mit der Bürgerinitiative auf dem Rheindamm eine Begehung zu machen. Hier muss ein guter Weg gefunden werden, dass einerseits der Hochwasserschutz langfristig gesichert ist, und auf der anderen Seite trotzdem dort der Schutz der Bäume und seltenen Arten vor Ort bestmöglich gewährleistet wird. Der formale Prozess ist allerdings bereits weit fortgeschritten. Die Planfeststellung ist ein Verfahren, das nach festgelegten Regeln abläuft. Wie groß mein Einfluss nach Amtsantritt darauf noch sein kann, vermag ich noch nicht zu sagen.

Die Feudenheimer Au haben wir schon angesprochen. Auch dort gibt es Betroffene, Anwohner und Feudenheimer Bürger, die sich vehement gegen den Bau des Radschnellwegs wenden. Haben Sie auch ein Rezept, wie sie mit diesen „Protestanten“ zusammenkommen können?

Pretzell: Ich finde es bemerkenswert, dass sich Menschen aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen für den Umwelt- und Naturschutz engagieren. Ich möchte für dieses Engagement auch mit den Bürgern gemeinsam ein Format entwickeln, damit wir gut ins Gespräch kommen können. Dabei setze ich auf gute Zusammenarbeit mit den Bürgern und Spezialisten im Sinne der Natur.

Auseinandersetzungen um den richtigen Weg gibt’s auch beim klimagerechten Umbau der Stadtwälder. Wie gehen Sie mit den Plänen der Evangelischen Stiftung Pflege Schönau im Kollekturwald um?

Pretzell: Die Zusammenarbeit mit den privaten Waldbesitzern und der klimagerechte Umbau der Wälder ist ein aktuelles, zukunftsweisendes Thema. Für mich ist klar: Wir müssen unseren Wald hüten und schützen, so gut es geht. Wir können nicht genug daran arbeiten, die Klimaresilienz des Waldes als eigenen Wert zu benennen und umzusetzen. Dass private Waldbesitzer hier bereit sind, diesen Weg, so gut es eben geht, mitzugehen, begrüße ich sehr.

Stichwort Klimaschutz noch einmal aus einer anderen Perspektive. Was versteht man eigentlich unter Nahverkehrsplanung, und wie ist sie bei Ihnen im Dezernat verankert?

Pretzell: Mein Dezernat ist wohl an dem Thema und wichtigen Entscheidungsfindungen beteiligt, allerdings ohne Personalressourcen. Für den Weg zu einer CO2-neutralen Stadt ist die Nahverkehrsplanung wichtig, und ich freue mich, gemeinsam mit meinen Kollegen voranzugehen. Denn wie bei vielen Themen kann die Stadt besonders im Querschnitt gute Entscheidungen treffen.

Beim Thema Verkehr schließt sich die Frage nach der autofreien Innenstadt an. Wie werden sie mit den Akteuren – dem Einzelhandel und den Innenstadtbewohnern – umgehen? Muss sich da im Miteinander etwas ändern?

Pretzell: Es ist ein großer Erfolg, dass der Gemeinderat den Stufenplan für weniger Autoverkehr in der Stadt soeben auf den Weg gebracht hat. Für die Innenstadt ist das eine große Chance und ein wichtiger Standortvorteil für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung. Insbesondere den Einzelhandel möchte ich dabei fragen: Wie bekommen wir gemeinsam eine innovative, nachhaltige und zukunftsorientierte Stadt hin? Denn Antworten auf diese Fragen können wir nur gemeinsam finden. Diesen Standortvorteil für den Einzelhandel müssen wir gemeinsam weiterentwickeln. Die Bundesgartenschau 2023, die ein Tor für Mannheim in die Welt sein wird, muss dazu unser Ansporn sein.

Andere Aufgabengebiete im Dezernat V sind – kann man das sagen? – ökologisch nicht so furchtbar aufregend: Friedhöfe, Bürgerdienste, Abwasserbeseitigung zum Beispiel.

Pretzell (lacht): Das sehe ich ganz anders. Die Friedhöfe sind als Orte der Trauer wichtig. Sie müssen zudem verwaltet werden, das ist eine sehr wichtige Aufgabe. Sie sind aber auch grüne Lungen in der Stadt, Freiflächen, die bis zu einem gewissen Grad der Erholung dienen können und als Trittsteine für seltene Arten und deren Lebensräume dienen können. Hier bieten sie ein enormes Potenzial. Ähnlich sieht’s bei den Themen Migration, Einbürgerung und Bürgerdiensten aus. Gerade bei den Bürgerdiensten hat Mannheim überregional einen sehr guten Ruf und wurde bereits für seinen hohen Digitalisierungsgrad ausgezeichnet. Das will ich weiter vorantreiben und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Dienstleistungen der Bürgerämter auch künftig für alle Generationen zugänglich bleiben, auch für weniger Computerbegeisterte.

Sie sind auch für Migration und Einbürgerung zuständig. Die Integration liegt im Aufgaben- bereich des Oberbürgermeisters. Wie geht’s ihnen damit?

Pretzell: Die Stadt Mannheim ist ja ein Beispiel für an vielen Stellen sehr gut gelungene Integration – und das Thema ist ebenfalls eine aktuelle Querschnittsaufgabe, an der viele Stellen mitwirken. Mein Dezernat leistet dazu bereits jetzt einen wichtigen Beitrag. Das werden wir weiter ambitioniert verfolgen.

Müsste der Zuschnitt des Dezernats verändert werden?

Pretzell: Ich bin ja soeben erst gewählt worden. Aktuell ist es viel zu früh, hier eine Einschätzung abzugeben. Zudem sollten solche Entscheidungen gemeinsam in der Runde der Bürgermeister und mit dem Gemeinderat getroffen werden. Ziel muss es immer wieder sein, dass die Stadtverwaltung bestmöglich für die sich immer wieder verändernden Herausforderungen aufgestellt ist.

Wie stellen Sie sich Ihre Zusammenarbeit mit Oberbürgermeister Peter Kurz und Ihrem neu ins Amt gewählten Kollegen Ralf Eisenhauer vor?

Pretzell: Die vertrauensvolle Arbeit wird mit beiden und auch den anderen Bürgermeistern essenziell sein, um große Ziele langfristig im Blick zu haben und umzusetzen. Ich freue mich besonders auf das Querschnittsthema Nachhaltigkeit, das der Oberbürgermeister bereits geprägt hat. Hier können wir weiter ein Profil für die Stadt entwickeln, das Unternehmen und Bürger gleichermaßen anzieht. Mit Ralf Eisenhauer stehen große Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung der Stadt an den Klimawandel an, insbesondere im Gebäudebestand gibt es hier wichtige Hebel. Natürlich müssen diese Veränderungen sozialverträglich, aber dennoch ambitioniert umgesetzt werden. Sofern wir das gemeinsam anpacken und die großen Ziele und die Bürger im Blick haben, bringen wir Mannheim weiter nach vorne.

Haben Sie sich schon einen Stadtteil ausgesucht, wo Sie hinziehen wollen?

Pretzell: Ich bin ab sofort auf Wohnungssuche. Meistens bin ich mit dem Fahrrad unterwegs, deswegen suchen mein Mann und ich ein möglichst zentrales neues Zuhause. Ruhig gelegen und mit schöner Natur in der Nähe – da hat Mannheim viel zu bieten. Ich bin sicher, wir werden etwas Schönes finden.

Diana Pretzell

  • Diana Pretzell, Jahrgang 1971, aufgewachsen im Rheinland, ist seit vergangenem Jahr Direktorin für Biodiversitätspolitik beim Umweltverband WWF Deutschland in Berlin.
  • Zuvor leitete sie seit 2012 die Naturschutz-Abteilung des WWF, in der sie auf EU-Ebene sowie im Bund und den Ländern tätig und für die Umsetzung von Arten- und Naturschutzprojekten zuständig war.
  • Pretzell studierte in Freiburg Forstwissenschaften und in Hohenheim Journalismus. In ihrer Promotion 2003 befasste sie sich mit „Öffentlichkeitsarbeit im Naturschutz“.
  • Anschließend arbeitete sie bis 2012 im Regionalbüro „Naturgarten Kaiserstuhl des baden-württembergischen Umweltministeriums.
  • Pretzell absolvierte Weiterbildungen zum systemischen Coach sowie an der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin, wo sie derzeit mit ihrem Ehemann lebt. lang

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