Sie sollen im Notfall helfen - und schlagen jetzt selbst Alarm: Viele ehrenamtliche Helfer von Rettungsorganisationen sind durch die ständigen Flüchtlingseinsätze "mindestens an der Grenze der Belastbarkeit, bei vielen ist sie auch längst überschritten", so der Kreisbereitschaftsleiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Michael Höhne. "Wir schaffen das" habe "nicht mehr den besten Klang in THW'ler Ohren", ergänzt Nicole Dudziak, Ortsbeauftragte des Technischen Hilfswerks, unter Hinweis auf das bekannte Zitat von Kanzlerin Angela Merkel.
Alarm immer abends
Seit dem 13. September sind zumindest Rotes Kreuz und THW in Mannheim im Dauereinsatz, um Flüchtlinge zu betreuen und Unterkünfte zu richten. Verlegung von Wasserleitungen, Anschluss von Duschcontainern und Behelfstoiletten, Aufbau von Feldbetten, Notstrom, Beleuchtung und Bauzäunen - stets kam abends der Alarm vom Karlsruher Regierungspräsidium, musste über Nacht ganz schnell gearbeitet werden. Das Mannheimer THW erhielt dabei Unterstützung der Ortsverbände Eberbach, Heidelberg, Ladenburg, Neckargemünd, Lampertheim und Viernheim. Das habe auch positive Seiten: "Ein junger Mann hat sich letzte Woche aufgrund unseres Engagements für die Flüchtlinge als Helferanwärter gemeldet, schon Probedienst absolviert", berichtet Dudziak. Aber viele ihrer 44 Aktiven seien "jetzt wirklich an oder über der Grenze", mahnt sie. Seit dem 13. September hätten sie über 1200 ehrenamtliche Arbeitsstunden geleistet.
"Viele Aktive arbeiten bis 17.30 Uhr, dann kommt der Alarm, dann schleppen sie bis nachts um 1 Uhr Feldbetten, um morgens wieder in ihrer Firma auf der Matte zu stehen", schildert sie die Situation. "Ja, es ist unser gesetzlicher Auftrag und wir stehen bereit, aber es muss aufgrund von Arbeitsplatz/Schule oder Familie möglich sein, dass sich Helfer Auszeiten nehmen", so Dudziak. Sie habe auch "allen gesagt, dass sie Arbeitsplatz oder Familie nicht aufs Spiel setzen sollen, es hält sich nur kaum einer dran, alle kämpfen!"
Bislang hätten alle Arbeitgeber Verständnis, "zum Glück - noch", wie Dudziak betont. Den von der Stadt eigens verfassten Formbrief, mit dem sich Hilfsorganisationen an den jeweiligen Arbeitgeber mit der Bitte um Freistellung des entsprechenden Mitarbeiters wenden können, habe sie "angeboten, aber keiner hat ihn gebraucht".
"Bei uns hat der Brief die Leute eher verärgert. Der kam viel zu spät, ist völlig verpufft", schimpft Höhne. 400 Ehrenamtliche hätten seit Mitte September über 4500 Stunden erbracht, "meist abends und nachts, um dann am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu gehen".
Hoffnung auf Gesetzesänderung
Viele der Helfer hätten das Gefühl, "dass das von der Politik weder wahrgenommen noch geschätzt wird", beklagt Höhne. Im Gegensatz zu THW und Freiwilligen Feuerwehren sieht das Gesetz nämlich bei Sanitätskräften keine verpflichtende Freistellung von der Arbeit und Zahlung von Lohnersatz durch den Staat an den Arbeitgeber vor. Man brauche "dringend eine Aufwertung durch den Gesetzgeber, um auch weiter schlagkräftig agieren zu können", fordert Höhne: "Wir wollen das seit Jahren, aber die Politik lässt uns im Regen stehen!"
Mit der Klage steht er nicht allein. "Klar wäre das nötig", so André Kühner, Beauftragter Ehrenamt der Johanniter. Die leisten mit den Maltesern die Betreuung am Flüchtlings-Drehkreuz auf dem alten Postgelände. "Viele von uns gehen auf dem Zahnfleisch", erzählt einer, der fünf Nächte hintereinander Dienst gemacht und am nächsten Tag doch gearbeitet hat. Kühner beschreibt die Lage als "sehr belastet, sehr angespannt, aber noch machbar".
Von einer "spürbaren Mehrbelastung" spricht ebenso Sven Schlachta, Vizekommandant der Freiwilligen Feuerwehr, Abteilung Nord. "Wir sind noch nicht am Limit, weil alle acht Abteilungen reihum alarmiert werden", ist er sich mit Marcus Widder, Kommandant der Abteilung Innenstadt, einig. Aber beide sagen auch: Auf Dauer sei das, parallel zu den normalen Einsätzen, nicht mehr durchzuhalten.
Flüchtlinge in Mannheim
In der Neckarstadt-West in der Pyramidenstraße gibt es eine voll ausgelastete Landeserstaufnahmeeinrichtung mit 750 Plätzen.
In der bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung (BEA) im Benjamin Franklin Village einschließlich dem früheren PX-Supermarkt, die das Rote Kreuz betreibt, und dazu der Funari-Kaserne lebten bisher knapp 6000 Flüchtlinge.
Weitere 400 kommunale Flüchtlinge sind dezentral in Wohnungen im Stadtgebiet verteilt. pwr
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