Arisierungsstudie - Jüdische Gemeinde will nach wissenschaftlicher Buchveröffentlichung dem Mäzen die hohe Auszeichnung aberkennen

Heinrich Vetter verliert posthum Ehrenmedaille

Von 
Susanne Räuchle
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Denkwürdiger Tag: Heinrich Vetter erhielt 1998 von Orna Marhöfer und Manfred Erlich, Vorstände der Jüdischen Gemeinde, die erste Ehrenmedaille.

© Tröster

"Die Jüdische Gemeinde Mannheim erkennt posthum Herrn Heinrich Vetter die Ehrenmedaille ab." Eine lapidare Erklärung in aller Sachlichkeit, eine Entscheidung auch, für die man sich mehr als fünf Wochen Zeit ließ. Aber nach allem, was die wissenschaftliche Studie "Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim" von Christiane Fritsche zutage förderte, schien dieser Schnitt der jüdischen Gemeinde (JGM) nun unausweichlich. "Im Jahre 1998 ist an Herrn Heinrich Vetter die Ehrenmedaille der Jüdischen Gemeinde Mannheim (JGM) verliehen worden. Nach dem jetzigen Kenntnisstand distanzieren wir uns von der Entscheidung des damaligen Vorstands," begründen die erste und zweite Vorsitzende Schoschoana Maitek-Drzevitzky und Sophia Engelhardt, den Schritt, der noch weitere Folgen nach sich ziehen wird. Auf der nächsten Gemeindeversammlung soll über die Verwendung der gespendeten Vetter-Gelder sowie den Umgang mit der Vetter-Stiftung ein Beschluss herbeigeführt werden. Soviel steht fest: Hätte die Gemeinde vor 15 Jahren schon geahnt, dass die Familie Vetter mit acht Arisierungen (drei Grundstücke und fünf Betriebe) Mannheims zahlenmäßig größter Ariseur war, wäre es in keinem Fall zur Verleihung der Ehrenmedaille an einen Mann gekommen, "dessen Vermögen zumindest zu großen Teilen auf arisiertem jüdischem Kapital basiert", so der Vorstand.

Orna Marhöfer, 1998 als Zweite Vorsitzende hinter Manfred Erlich mitbeteiligt an der Entscheidung, dem Mäzen Vetter die neu geschaffene Ehrenmedaille der Jüdischen Gemeinde zu verleihen, ist erleichtert, dass nun ein klärendes Wort gesprochen ist, die Gemeinde eine eindeutige Position bezieht. Sie selbst erlebte Heinrich Vetter stets als Gönner und Förderer, zu allen Festlichkeiten sei er als Freund erschienen: "Er war der jüdischen Gemeinde total zugewandt." Von seinen Verstrickungen habe man in jenen Tagen keine Ahnung gehabt. Der damals 88-jährige Vetter unterstrich bei der Verleihung der Ehrenmedaille im Jahr 1998 denn auch die aufrechte Haltung seiner Familie. In der Pogromnacht 1938, so erzählte er bei dem Festakt, habe sein Vater einen jüdischen Nachbarn vor der Verhaftung bewahrt, indem er ihn einen Tag lang mit seinem Auto durch die Stadt fuhr. Er selber habe in Berlin als junger Mann jüdische Freunde gefunden und in einem jüdischen Verein gerudert. Die Mitgliedschaft im NS-Studentenbund, in der NSDAP, in der SA (1933- 1935), die verschwieg der Kaufmann, den wohl die Schuld, das schlechte Gewissen lebenslänglich begleitete. Die Historikerin Fritsche hat Vetter in ihrer Studie in das Heer der Opportunisten eingeordnet, die günstige Gelegenheiten witterten, aber keinen aktiven Druck auf die jüdischen Verkäufer ausübten, er sei kein ausgewiesener Antisemit gewesen. Das ändert nichts an den Fakten, und die liegen für ganz Mannheim gebündelt auf fast 1000 Seiten auf dem Tisch. Eine Aufarbeitung, die mit Befriedigung erfüllt. Sie sei stolz auf Mannheim, das mit dem Buch beispielgebend für andere Gemeinden sein könnte, so Maitek-Drzevitzky.

Von Oberbürgermeister Peter Kurz war gestern keine Stellungnahme zu erhalten.

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