Psychiatrische Erkrankungen - Ob bei Demenz oder Psychose – am ZI hat sich erfolgreich eine neue Behandlungsform etabliert

Heilende Kraft des Zuhauses: Hausbesuch statt Stationstherapie in Mannheim

Von 
Lea Seethaler
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Bereit zum nächsten Hausbesuch – das „StäB“-Team Philip Post und Annette Jöst im Einsatz. © Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Mannheim. Patienten behandeln per Hausbesuch, und zwar täglich: Das tun Teams des Mannheimer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI). Mit Erfolg: Das Konzept habe sich bewährt und soll jetzt ausgeweitet werden, heißt es vom ZI.

Was das Konzept so erfolgreich mache, sei die Kraft des eigenen Zuhauses. Deutlich wird das am Beispiel eines Patienten, von dem das ZI berichtet. Eine stationäre Behandlung war bei ihm dringend notwendig. Doch der Patient wollte nicht einfach nicht mehr. Er pendelte zwischen ambulanten und Behandlungen auf Station. Erfolglos. Er war weiterhin psychotisch. Das Krankheitsbild einer Psychose kann sehr unterschiedlich sein. Manche Betroffene haben Halluzinationen, andere schwere Denkstörungen. Viele leiden unter starken Ängsten, andere unter Antriebsstörungen.

Daheim aus dem Bett kommen

Dem Patienten wurde die neue stationsäquivalente Behandlung (StäB) angeboten. Das bedeutet, dass sich ZI-Experten als Team um ihn kümmern - bei ihm daheim. Das StäB-Team besuchte ihn nun täglich zu Hause. Und versuchte ihn dort wieder an den Alltag heranzuführen.

Das Zuhause nämlich ist einerseits der Ort, an dem Menschen sich wohlfühlen. Aber es ist auch der Ort, an dem sich psychiatrische Probleme zeigen oder manifestieren: Nicht mehr aus dem Bett kommen, nicht mehr aufräumen und so weiter. Bei der Therapie von vielen psychiatrischen Erkrankungen spielen Alltag und Tagesstruktur große eine Rolle. Gemeinsam schaffte es das StäB-Team im Beispielfall, den Mann dazu zu bewegen, ins Café und auch wieder ins Fitnessstudio zu gehen, so das ZI.

Selbstständigkeit bewahren und Hilfe erhalten

  • Ein bis zwei Prozent der Deutschen erleben mindestens einmal im Leben eine Psychose, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. In Deutschland leben zudem rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz, so die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.
  • Zwei Teams behandeln in Mannheim Personen ab 18 Jahren, die unter psychotischen oder affektiven Störungen, Psychosen im Alter sowie Demenzen leiden. Dies geschieht zu Hause statt auf Station. Im vertrauten häuslichen und sozialen Umfeld bleiben zu können, wirke sich in den meisten Fällen positiv auf die Behandlung aus, teilt das ZI mit. Auch „gewohnte Alltagsstrukturen und die Selbstständigkeit bleiben weitestgehend erhalten“, heißt es.
  • Patienten würden unmittelbar in ihrer Lebenswirklichkeit anwenden, was sie in den Therapien lernen. „Angehörige, Freunde und weitere Bezugspersonen können aktiviert werden und zum Behandlungserfolg beitragen“, so das ZI. Seit Ende 2019 ist die sogenannte stationsäquivalente Betreuung (StäB) Teil der psychiatrischen Versorgung am ZI.
  • Die beiden StäB-Teams verfügen über jeweils fünf Behandlungsplätze. Bis zum Jahresende 2020 sind 35 Patientinnen und Patienten betreut worden, manche von ihnen mehrfach.
  • Die stationsäquivalente Behandlung ist eine Einzeltherapie und ersetzt gänzlich die vollstationäre Behandlung. Patienten werden über die ZI-Ambulanz oder niedergelassene Ärzte zugewiesen. 

 

Nach einem Vierteljahr intensiver Betreuung konnte die Behandlung beendet werden. Er war nicht mehr psychotisch und weniger depressiv, sodass er sich schließlich für einen neuen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt bewerben konnte. „Das war ein schöner Erfolg, der viel Kraft gekostet hat“, sagt Annette Jöst, die eines von zwei StäB-Teams am ZI leitet. Eine Herausforderung sei jeder Einsatz für das Team. Bei dem 40-jährigen Mann mit Psychose war es etwa so, dass er zu Beginn Medikamente verweigerte. Zudem wollte er anfangs die Wohnung nicht verlassen. Er hatte außerdem kein Interesse an Sport mehr und wollte niemanden treffen, so das ZI.

Manchmal erst entrümpeln

Annette Jöst ist Fachkrankenpflegerin für Psychiatrie. Am ZI arbeitete sie 23 Jahre in der Allgemeinpsychiatrischen Tagesklinik, bevor sie in das erste StäB-Team wechselte und es mit aufbaute. Sie bringe das mit, was es für diese Aufgabe vor allem braucht, so das ZI: Erfahrung. Denn die Arbeit mit Patienten im häuslichen Umfeld ist anders. „Es ist herausfordernder, da ich mehr Verantwortung trage und vor Ort selbstständig Entscheidungen treffen muss. Außerdem ist Fingerspitzengefühl gefragt, um zunächst Vertrauen aufzubauen“, sagt Jöst. Die „intensive Beziehung“, die durch diese Betreuungsart entstehe, erfordere, belastbar zu sein. Und sich abgrenzen zu können. Nur erfahrenes Personal wisse, was im Fall einer Krise zu tun ist, so Jöst. Jeder Tag sei anders. Jöst müsse sich gut überlegen, wie sie die Zeit zusammen mit den Patientinnen und Patienten nutze. „Das kann Einkaufen, Kochen, Aufräumen sein oder Sport, Entspannungs- und Konzentrationsübungen. Es gab auch Fälle, in denen eine Wohnung zunächst entrümpelt und neue Möbel besorgt werden mussten“, erklärt Jöst.

„In dieser Therapieform lernen wir die Menschen ganzheitlicher im häuslichen Umfeld kennen“, erklärt Dusan Hirjak, geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am ZI. „Für Patientinnen und Patienten ist es von Vorteil, dass sie in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben. So können wir ihre Probleme im sozialen Umfeld und Alltag gezielter bearbeiten.“

Das ZI in K 3 bietet nicht nur stationäre Behandlung an. © Thomas Tröster

Ein vielseitiges Team packt an

Das ZI bietet die Daheim-Behandlung aktuell für zwei Bereiche an. Zum einen für die Therapie von Psychosen und Schizophrenien. Zum anderen in der Gerontopsychiatrie. Diese beschäftigt sich mit psychiatrischen Störungen im Alter ab 65. Hier steht die Therapie von Angst, Depression und Psychosen im Alter sowie Demenzen im Vordergrund.

Neben Ärztinnen und Ärzten und psychiatrischen Fachgesundheits- und Krankenpflegern sind auch Psychologinnen, Ergotherapeuten oder Sozialarbeiter an der Behandlung beteiligt. Denn es geht um Analyse und Miteinbeziehen des sozialen Umfelds. Und um Lösungen, etwa bei geringer Mobilität, zu suchen. Für Suchtpatienten, suizidale sowie fremd- und eigengefährdende Patienten ist das Angebot allerdings nicht geeignet.

In wechselnder Besetzung besuchen jeweils zwei Teamkollegen die Patienten täglich von Montag bis Sonntag in ihrem Zuhause. Eine Pflegekraft ist bei jedem Besuch dabei. Auf Basis eines Dienstplans kommt eines der weiteren Teammitglieder hinzu, um die psychiatrischen Probleme zu besprechen, physische Untersuchungen durchzuführen, die Medikamentenversorgung zu regeln oder die Patienten therapeutisch zu betreuen.

Darüber hinaus ist die 24-Stunden Rufbereitschaft immer telefonisch erreichbar. Im Notfall können die Patienten jederzeit auf Station aufgenommen werden, betont das ZI. In der Regel dauert die Behandlung sechs bis acht Wochen, sie kann aber auch länger oder kürzer sein, abhängig vom individuellen Bedarf und den Fortschritten, die in der Therapie erzielt werden. Die stationsäquivalente Behandlung wird erst nach Abstimmung mit den Patienten und deren Umfeld beendet. Voraussetzungen dafür sind, dass die medikamentöse Einstellung abgeschlossen ist, ein Helfernetz bereitsteht und der Alltag eigenständig bewältigt werden kann.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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