Fast 16 Jahre ist es her, dass der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Agenda 2010 vorstellte. Seit dem Wochenende nun löst sich die Partei schnell und ganz offiziell von diesem Erbe – und auch bei Mannheimer Sozialdemokraten ist die Zustimmung sofort groß. Die Reaktionen reichen von „überfällig“ bis „dringend nötig“. Es scheint so, als ob alle in der SPD nur auf dieses Signal gewartet haben.
Stefan Fulst-Blei (erstes kleines Bild) sitzt am Montagmorgen am Schreibtisch und arbeitet an bildungspolitischen Themen. Doch der SPD-Kreisvorsitzende ist am Telefon im Nu bei der Sozialpolitik. Es gehe jetzt nicht darum, die ganze Agenda von Gerhard Schröder zu verteufeln, „da waren auch gute Dinge dabei“. Aber Hartz IV, das solle man jetzt „in die Tonne treten“, sagt der Landtagsabgeordnete. Die „Angst- und Druck-Maßnahmen“ müssten weg, besonders Ältere, die womöglich durch Krankheit ihre Jobs verloren hätten, träfe das zu hart.
„Hätte früher passieren müssen“
Fulst-Blei findet es selbst bemerkenswert, dass derzeit alle SPD-Politiker im Bund hinter dem neuen Kurs stehen. „Es gab einen innerparteilichen Diskussionsprozess, der jetzt zu konkreten sozialpolitischen Ergebnissen geführt hat.“ Dazu zähle auch die Grundrente, die Arbeitsminister Hubertus Heil in der vergangenen Woche vorgelegt hatte. Die Debatte über die Finanzierung, sagt Fulst-Blei, die werde er gerne führen. „Wollen wir sieben Milliarden für die Menschenwürde investieren oder über elf Milliarden für Steuerentlastungen für Spitzenverdiener, darum geht es doch.“
Nötiger Respekt
Was das neue Konzept für die Wahl-Chancen seiner Partei bedeutet? „Das ist Rückenwind für uns“, sagt der Kreisvorsitzende. Deswegen müsse nun aber nicht die große Koalition in Berlin gekündigt werden, „das wäre doch bescheuert“. Die Groko solle weiter ihre Arbeit machen, für die sie gewählt worden sei. Und die SPD werde sich dabei auf die nächste Bundestagswahl vorbereiten. „Dann muss es Gründe geben, uns zu wählen.“
Bei den Mannheimer Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD, ist die Stimmungslage gestern ebenfalls positiv. „Ich finde das gut, dass wir das grundsätzlich reformieren, das hätte schon viel früher passieren müssen“, sagt Katharina Vasilaki (zweites kleines Bild), Kreisvorsitzende der Mannheimer Jusos. Hartz IV und die Bedürftigkeitsprüfung stigmatisiere Menschen, jetzt müsse es darum gehen, dass alle mit dem nötigen Respekt behandelt werden.
Auch Vasilaki will an der Idee vom Fordern und Fördern, die Kern der Agenda 2010 war, festhalten – „aber wir müssen das Fördern mehr betonen“. Zur Finanzierung müsse die Politik eben andere Prioritäten setzen, zudem verrechne sich durch die steigende Nachfrage ein Teil der staatlichen Mehrausgaben wieder. Jedenfalls glaubt die Studentin, dass die SPD mit dem neuen Konzept „Vertrauen in die Partei zurückgewinnen kann“. Sie habe in den vergangenen Tagen bereits viele positive Reaktionen gehört – auch innerhalb der Jusos, die traditionell zu einem linkeren Kurs tendieren – „wir sind ein Korrektiv für die SPD“, sagt Vasilaki.
Überrascht ist Andrea Safferling (drittes kleines Bild), Stadträtin und dabei auch zuständig für den Mannheimer Norden, nicht. „Das war dringend nötig, weil zu viele Menschen auf der Strecke geblieben sind“, sagt sie. „Ich rede oft mit Betroffenen, mit Hartz IV-Empfängern zum Beispiel. Viele leben mit einer Menge Ängste“, sagt Safferling, nun müsse es darum gehen, wieder mehr Sicherheit zu geben. Eine Taktik im neuen Linkskurs ihrer Partei will die Stadträtin nicht sehen. „Darum geht es hier nicht, hier geht es darum, endlich den Kurs zu korrigieren. Denn der, den die SPD eingeschlagen hatte, war nicht der richtige.“
Sicherheit statt Ängste
Als Spitzenkandidat führt Ralf Eisenhauer (viertes kleines Bild) die SPD in den Kommunalwahlkampf im Mai. „Es hilft uns immer, wenn über Politik geredet wird und unterschiedliche Vorschläge vorliegen.“ Schon darum sei der Vorstoß seiner Partei wichtig. Die Vorschläge von Andrea Nahles und Hubertus Heil setzten zudem da an, „wo es bei uns den größten Bedarf gab. Das große Thema ist Gerechtigkeit.“
Die Neuerungen
- Die SPD hat in mehreren sozialpolitischen Themen in den vergangenen Tagen einen neuen Kurs eingeschlagen.
- Am Wochenende stellte Parteichefin Andrea Nahles die Abkehr von Hartz IV vor – das Arbeitslosengeld II war im Zuge der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder eingeführt worden.
- In Zukunft soll es laut SPD statt Hartz IV ein „Bürgergeld“ mit weniger Sanktionen und Druck für die Empfänger geben.
- Zudem hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Grundrente vorgeschlagen, die Arbeitnehmern, die lange mit niedrigen Einkommen gearbeitet haben, zugute kommen soll.
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