Drei Mannheimer berichten über Vorbehalte: Was sie sich für ein besseres Miteinander wünschen – egal, ob lesbisch, schwul, bisexuell oder transgeschlechtlich (kurz queer)
Sich zu schminken – das gehört für Jonas Kutzschbach einfach dazu. Die nachgezogenen Augenbrauen und das Puder fallen auf den ersten Blick kaum auf. Trotzdem: Noch lebhaft erinnert sich der 21-Jährige, wie Jugendliche auf der Straße an ihm vorbeigehen, die Blicke der Männer sich auf ihn richten. „Bist du schwul oder was?“, rufen sie ihm hinterher.
Dass sich nicht jeder schwule Mann schminkt oder das Make-up für den schmalen BWL-Studenten im grauen Pulli ein wichtiger Teil seiner Identität ist, daran verschwenden die Jugendlichen keinen Gedanken. „Das bin eben ich. Viele achten nicht drauf, was solche Rufe anrichten“, erklärt Kutzschbach. Damit ist er nicht allein: Wie ihm geht es vielen jungen Mannheimern, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergeschlechtlich (LSBTI) sind und sich selbst als „queer“ bezeichnen. Der Begriff wird oft als Sammelbegriff für die Vielfalt von sexuellen und geschlechtlichen Identitäten verwendet.
Das Problem: Ihre Stimme, Wünsche und Anliegen gehen oft unter in einer Welt, in der die Liebe zwischen Mann und Frau als „normal“, alle anderen Formen der Liebe aber noch immer in den meisten Köpfen eine Ausnahme sind. Wie viele queere Mannheimer in der Stadt leben, darüber gibt es keine Zahlen. Klar ist aber: „In der Jugendarbeit und in der Stadt ist die queere Sichtweise bisher noch nicht ausreichend berücksichtigt“, weiß Sören Landmann, LSBTI-Beauftragter der Stadt Mannheim. Um das zu ändern, hat Landmann zum ersten Mal überhaupt einen Beteiligungsprozess für junge queere Menschen ins Leben gerufen, der am Freitag in der Alten Feuerwache zu Ende gegangen ist. Dabei hat Landmann die Anliegen der Betroffenen gesammelt. Die Ergebnisse sollen später der Politik präsentiert werden, mit der Hoffnung, dass so die Anliegen in der künftigen Jugendarbeit berücksichtigt werden. „Es darf nicht Glückssache sein, dass queere Jugendliche hier diskriminierungsfrei leben können. Wir als Stadt müssen hier Verantwortung übernehmen“, sagt Landmann.
Selbst mitzugestalten, gehört zu werden – das wollen neben Kutzschbach auch die 26-jährige Studentin Julia, die lieber anonym bleiben will, und der Notfallsanitäter Dominik Wickert. Sie waren beim Beteiligungsprozess dabei und willigen ein, öffentlich von ihren Erfahrungen zu berichten – was nicht selbstverständlich ist. Besonders im Netz beobachten die drei aufflammende Homophobie (die Feindseligkeit gegen Lesben und Schwule). Hasskommentare und kotzende Smileys sind bei Themen wie dem Christopher-Street-Day, die jährliche Demo für LSBTI-Rechte, oder die Ehe für alle keine Seltenheit. Wer den Dreien beim Gespräch im Café zuhört, spürt: Sie wollen gehört werden, aber haben sich gleichzeitig eine Überlebensstrategie zurechtgelegt, um nicht mehr ausgelacht, beschimpft oder angegriffen zu werden. Nicht nur auf offener Straße treffen junge LSBTI auf Unverständnis. Sondern auch Zuhause, in der eigenen Familie. „Das hat mich am härtesten getroffen“, sagt die 26-jährige Julia, die heute offen zu ihrer Liebe zu Frauen steht. „Mit 17 war das ganz anders. Mein Bruder hat mir zwei Jahre lang die Hölle heißgemacht“, erinnert sie sich. Rat sucht sie damals in der Schule vergeblich, hier wird die gleichgeschlechtliche Liebe oder sexuelle Identität überhaupt nicht behandelt. In ihrer Verzweiflung entdeckt die gebürtige Mannheimerin das Gap, ein Jugendtreff für queere Jugendliche. Der ist allerdings im weit entfernten Bonn. Trotzdem fährt sie bis heute einmal im Monat 230 Kilometer weit, denn hier findet sie Wärme, Austausch mit Gleichgesinnten und Verständnis. „Jeder von uns hat sich schon einmal als Außenseiter gefühlt“, weiß auch der 22-jährige Dominik Wickert, der sich in Mannheim ziemlich wohl fühlt.
Händchen haltend mit seinem Freund durch die Stadt laufen – das will der Notfallsanitäter dann doch nicht. Zu groß ist die Angst, beleidigt oder angegriffen zu werden. „Ich ermahne auch befreundete Pärchen, das hier nicht zu tun“, sagt Wickert. Seine Vorsicht ist begründet: Er hat erlebt, wie ein befreundetes Paar in den H-Quadraten massiv beleidigt und beschimpft wurde. Deshalb hat er dauernd seine Umgebung im Blick, ist auf der Hut. „Ich weiß immer, wer da gerade hinter mir läuft.“ Das kann Studentin Julia bestätigen: Sie hat sich angepasst, weiß, wie man sich verhalten muss, um nicht aufzufallen. „Ich geh’ auf keine Heteroparty mehr. Das fängt schon mit der Sprache an und geht unter die Haut.“
„Strategien der Unsichtbarkeit“ nennt Margret Göth, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche, dieses Verhalten. Sie arbeitet ehrenamtlich bei Plus, der psychologischen Lesben- und Schwulenberatung in der Neckarstadt-West. Das Verhalten sei psychologisch gesehen einleuchtend: Wer sich an die Umgebung anpasst, hat eher das Gefühl, die Situation steuern zu können – fühle sich sicher. Göth bedauert, dass das Jugendangebot in ihrer Stelle begrenzt ist und verweist auf Städte wie Frankfurt und Darmstadt, wo es queere Jugendzentren gibt.
Auch Mannheim hat queere Glücksorte: etwa die Alte Feuerwache mit ihrer Himbeerparty. „Hier habe ich meine ersten Erfahrungen gemacht, viele schöne Abende verbracht“, erinnert sich Wickert. Was sich die drei beim Beteiligungsprozess gewünscht haben? Ein queeres Jugendzentrum, Aufklärungskampagnen in Schulen, um Verständnis zu schaffen – und angstfrei Händchen haltend durch die Stadt zu laufen. „Queere Menschen sollten für alle nicht exotisch, sondern normal sein“, wünscht sich der BWL-Student.
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