Mannheim. Insgesamt knapp 1300 Quadratmeter groß sind die beiden Grundstücke, die Erwin Woldrich in der Speckwegsiedlung auf dem Waldhof besitzt. Das sind ungefähr zwei Tennisplätze. Auf dem vorderen Grundstück in der Straße Kleiner Anfang steht das kleine Siedlungshaus, das die Großeltern des 84-jährigen Rentners einst gebaut haben. Umgeben von einem Garten, mit einem Schuppen, das Ganze hat Woldrich an eine Familie vermietet. Auf dem hinteren Grundstück, das früher zum damals riesigen Garten des Großeltern-Häuschens gehörte, hat Woldrich in den 70er Jahren einen Bungalow gebaut - auch dieser umgeben von einem Garten mit vielen Bäumen. Der 84-Jährige wohnt selbst darin.
Mit der seit diesem Jahr geltenden neuen Grundsteuer muss Woldrich - wie alle Eigentümer großer Grundstücke - deutlich mehr zahlen als bislang. Bei vielen Mannheimerinnen und Mannheimern liegen dieser Tage die neuen Bescheide im Briefkasten. Für Woldrichs 559 Quadratmeter großes Bungalow-Grundstück waren bislang 428,24 Euro pro Jahr fällig. Künftig werden es 983,82 Euro sein. Mehr als das Doppelte.
Grundsteuer
- Einnahmen aus der Grundsteuer stehen voll den Städten und Gemeinden zu. Sie ist nach der Gewerbesteuer ihre zweitwichtigste Einnahmequelle, deren Höhe sie durch den Hebesatz beeinflussen können.
- Bundesweit lagen die Einnahmen 2023 bei 15,1 Milliarden Euro. In Baden-Württemberg bringt die Grundsteuer etwa 1,8 Milliarden Euro – rund 12 Prozent der Einnahmen der Kommunen. Es gibt drei Hebesätze: A für Land- und Forstwirtschaft, B für bebaute und unbebaute Grundstücke und C für baureife Grundstücke.
Noch heftiger fällt die Erhöhung auf dem vorderen Grundstück mit seinen rund 700 Quadratmetern aus. Von bislang 210,92 Euro steigt die Steuer hier künftig auf 1244,58 Euro, wie der frühere Industriekaufmann berichtet. Eine Erhöhung fast um das Sechsfache. „Das ist Wucher“, schimpft der Rentner.
Höhere Grundsteuer in Mannheim: „Ich kann mir vorstellen, dass Leute ihre Häuser verkaufen müssen“
Weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Berechnung der Grundsteuer in Deutschland für verfassungswidrig erklärt hatte, mussten die Bundesländer sie neu regeln. Das neue Berechnungsverfahren ist überall in Baden-Württemberg dasselbe. Die Größe des Grundstücks und der Bodenrichtwert fallen jetzt stärker ins Gewicht, der Wert der Immobilie dagegen spielt keine Rolle. Deshalb muss Woldrich für das Grundstück mit dem Siedlungshaus seiner Großeltern jetzt auch mehr zahlen als für die Fläche mit dem deutlich jüngeren Bungalow - bislang war es umgekehrt. Pro Monat macht das jetzt für seine beiden Grundstücke rund 130 Euro mehr.
Seinem 80-jährigen Nachbarn Horst Hauer geht es ähnlich. Für sein knapp 600 Quadratmeter großes Grundstück zahlt er statt bislang 352 Euro künftig 1041,97 Euro - auf den Monat umgerechnet knapp 60 Euro mehr. Das seien keine kleinen Beträge in Zeiten, in denen ohnehin alles teurer werde, finden die beiden. Karin Parcel, die Vorsitzende der Siedlergemeinschaft Speckweg, geht sogar noch weiter. „Ich kann mir vorstellen, dass es Leute mit niedriger Rente gibt, die ihre Häuser verkaufen müssen.“
Lässt sich ein großer Garten nicht anders besteuern?
Woldrich und Hauer kritisieren besonders zwei Dinge. Zum einen, dass in ihrer Straße Kleiner Anfang ein Bodenrichtwert von 530 Euro pro Quadratmeter gelte. Das sei für diese Wohnlage - „zwischen Benz-Werk und Benz-Baracken“ - viel zu hoch. Zum anderen finden sie, dass für einen großen Gartenbereich eines Grundstücks ein niedrigerer Bodenrichtwert gelten sollte - was dann auch die Grundsteuer reduzieren würde. In Edingen-Neckarhausen zum Beispiel habe man eine solche Regelung für bestimmte Flächen möglich gemacht. Warum gehe sowas nicht in Mannheim?
Mit der Kritik der beiden Waldhöfer Bürger konfrontiert, stellt das zuständige Dezernat von Finanzbürgermeister Volker Proffen (CDU) noch einmal ganz generell klar, dass das neue Berechnungsverfahren aus Bodenrichtwert und Fläche vom Land vorgegeben sei.
Für die Ermittlung der Bodenrichtwerte wiederum sei der sogenannte Gutachterausschuss zuständig, erklärt Dezernatssprecherin Anja Kobbe. Der ist laut Baugesetzbuch unabhängig von der Verwaltung, seine Mitglieder werden vom Gemeinderat bestellt, die Sitzungen des Ausschusses sind nicht-öffentlich. Zur Frage, ob der Bodenrichtwert angemessen sei, gebe es demnach „keine öffentliche Stellungnahme“, so die Sprecherin.
Stadt Mannheim verweist auf Öffnungsklausel im Grundsteuer-Gesetz
Sie weist allerdings auf eine gesetzliche Möglichkeit für diejenigen hin, die mit der Bewertung ihres Grundstücks nicht einverstanden sind. Demnach sehe das Landesgrundsteuergesetz in Paragraf 38, Absatz 4 eine Öffnungsklausel vor. Darin heißt es, dass „auf Antrag“ ein anderer Grundsteuerwert angesetzt werden „kann“. Voraussetzung dafür sei ein qualifiziertes Gutachten.
Dieses müsse nachweisen, dass der tatsächliche Grundsteuerwert mehr als 30 Prozent von dem abweicht, den das Finanzamt ermittelt hat. Ein solches Gutachten könne der Gutachterausschuss oder ein vereidigter Sachverständiger erstellen. Das Problem dabei: Der Eigentümer trägt die Kosten des Gutachtens, das möglicherweise nicht das gewünschte Ergebnis bringt. Die endgültige Entscheidung liegt beim Finanzamt (mehr zum Verfahren im Internet unter rb.gy/nxxkk5).
Auch bei der Forderung, Gartenanteile von Grundstücken anders zu bewerten, verweist die Sprecherin auf Öffnungsklausel und Gutachten. Entscheidend sei, ob ein Bebauungsplan eine Bebauung im hinteren Teil eines Grundstücks zulasse - dann handle es sich nämlich nicht um einen großen Garten, sondern um voll steuerpflichtige Baufläche.
Und was passiert, wenn Bürger die Steuer nicht bezahlen können, wie die Siedlergemeinschaft-Vorsitzende befürchtet? Um die grundsätzliche Steuerlast zu reduzieren, gebe es nur die Möglichkeit des Gutachtens, so Sprecherin Kobbe. Die Stadt selbst habe da keinen Entscheidungsspielraum. Wer in Schwierigkeiten sei, könne sich an den Rathaus-Fachbereich Finanzen und Steuern wenden, um „eine Lösung zu erarbeiten“. Unter mannheim.de/grundsteuerreform gebe es zudem einen Antrag auf Stundung.
Laut Stadtverwaltung zahlt die Mehrheit in Mannheim jetzt weniger Grundsteuer
Wie Woldrich und Hauer haben sich auch andere „MM“-Leser gemeldet, die jetzt eine höhere Grundsteuer zahlen müssen. Ein Eigentümer aus der Neckarstadt-Ost zum Beispiel zahlt statt bislang 275 nun 943,63 Euro und ärgert sich. Bei einem Hausbesitzer in Neckarau sind es statt rund 300 Euro nun 651. „Es ist unverschämt, dass kleine Einfamilienhäuser mehr als das Doppelte zahlen sollen als bisher“, sagt er. Das finden auch die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei und Boris Weirauch. In einer Mitteilung kritisieren sie die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart für das neue Berechnungsmodell. Sie fordern, dass nicht nur die Fläche eine Rolle spielen dürfe, sondern auch „Wert, Alter und Zustand des Gebäudes“.
Laut Stadtsprecherin Kobbe allerdings zahlen jetzt 55 Prozent der Eigentümer weniger Grundsteuer als bislang. Vor allem die von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern in Stadtteilen mit einem niedrigen Bodenrichtwert. Gleichzeitig steigt in Mannheim der Anteil des Aufkommens aus Wohngrundstücken an der Grundsteuer. Der von Gewerbegrundstücken dagegen sinkt (siehe Grafik). Und das obwohl beide Flächenarten mit jeweils knapp 15 Prozent einen etwa gleich großen Anteil am Gesamtstadtgebiet haben. Das heißt: Auch Unternehmen werden durch die Reform entlastet.
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