Ein Sammelsurium an Spraydosen, daneben eine Gruppe Jugendliche, die sich gut gelaunt an den vormals tristen grauen Wänden verewigt: Unter der Haltestelle Rheinstraße ist am Tag der Deutschen Einheit viel los. Die zehn Mädchen und Jungen nehmen an einem Graffiti-Workshop von Aerosolkünstlerin Steffi Peichal vom Studio 68 teil. „Versuche es mal mit einem kleineren Cap“, rät sie einem Jungen, der gekonnt einen anderen Aufsatz auf seine Farbdose setzt. „So tropft es weniger.“ Peichal schaut sich die bunten Malereien der jungen Leute genau an. Sie lobt, gibt Tipps und freut sich, wie aus den Betonflächen, die einst mit wenig ansehnlichen Schriftzügen versehen waren, ein farbenprächtiges Gesamtkunstwerk entsteht.
Rote Rosen und weiße Tauben
Normalerweise ist der Ort unter der Kurt-Schumacher-Brücke ein Angstraum, den viele Fußgänger und Radfahrer mit mulmigem Gefühl passieren. Denn dort wurde am 3. Oktober 2013 die litauische Austauschstudentin Gabriele Z. vergewaltigt und ermordet. Im Sommer verwandelte die Künstlerin Steffi Peichal aus dem Tatort eine Gedenkstätte für die junge Frau. Rote Rosen, weiße Tauben und grüne Pflanzen. Viel positive Energie statt Trauerflor. Da Peichal auch die Schirmherrschaft für legale Graffitikunst an diesem Platz innehat, bekam sie vom Bereich Sicherheit und Ordnung der Stadt Mannheim den Auftrag, dort die Wände mit Spraykunst zu verschönern.
Areal soll Zuversicht ausdrücken
Mit Graffiti hat die heute 44-Jährige 1994 angefangen. Damals sei es noch illegal gewesen und galten als Vandalismus, erzählt die zierliche Mannheimerin mit der dunklen Lockenpracht. Sie selbst hatte deshalb auch schon Probleme mit der Polizei bekommen. Doch dadurch wendet sich das Blatt. „Sie haben mir legale Flächen gegeben“, erzählt sie lächelnd. Inzwischen bekommt sie nicht nur deutschlandweit Aufträge, sondern auch im Ausland. Die Aerosolkünstlerin veranstaltet häufig Workshops für Kinder und Jugendliche. Auch unter der Kurt-Schumacher-Brücke sind junge Leute im Einsatz.
„Heute ist es genau sieben Jahre her“, sagt Peichal und spielt auf den Todestag der damals 20-jährigen Studentin an. Mit ihrer Erinnerungsstätte möchte die Künstlerin vor allem eines ausdrücken: Dass Gabriele Z. auch nach dieser Zeit nicht vergessen bleibt. Zudem war Peichal wichtig, dass die Gedenkstätte nicht düster wirkt, sondern Zuversicht ausdrückt. Den gleichen Ansatz hat sie auch bei ihrem Workshop gewählt. Bevor die Gruppe zur Dose greift, besprechen die Teilnehmer mit Peichal, was sie gern auf die Wand bringen möchten. In ihrer Gestaltung seien sie frei gewesen, betont Peichal. Lediglich, dass die Werke positive Energie verbreitet, sei Voraussetzung gewesen.
Bevor es losgeht, erhält die Wand eine saubere Grundfläche. Mit schwarzer Farbe besprühen die Jugendlichen das verschmutzte Grau, um eine Grundierung zu erhalten. Schließlich dürfen sie sich mit ihren Dosen austoben. An einer Wand blickt eine Armada von Pacmen vorbei laufende Menschen an. Aaron zögert nicht lange und sprüht die Comicfigur Spongebob - allerdings mit Maschinengewehr. „Ich habe einen Kumpel, der die Serie geschaut hat“, erzählt der 13-Jährige während er mit gelber Farbe die kastige Silhouette aussprüht. Der Mannheimer habe früher immer gedacht, dass die Figur Sponge Boss heißt, verrät er schmunzelnd. Daraus habe er einen Mafia-Boss gemacht. Dieser solle die Passanten beschützen, verrät Aaron.
Selina malt ein prächtiges Einhorn. Der zwölfjährige Ole verewigt sich mit grünen Pflanzen. Der 13-jährige Anton hat sich über die Umweltverschmutzung Gedanken gemacht - und ärgert sich, dass die Menschen Raubbau mit ihr betreiben. Über einer Weltkugel prangen die Worte: „Alles ist gut.“ Und darunter mahnt er: „Aber du entscheidest, wie lange noch.“
Mensch Angst nehmen
Aaron hat an der Graffitikunst viel Spaß. „Ich könnte mir sogar vorstellen, das irgendwann beruflich zu machen.“ Die gleichaltrige Martina hat nicht nur ihre eigenen Farbdosen mitgebracht, sondern sprüht voller Ideen und Fantasie. Sie kreiert einen Drachen. In diesem Jahr hat das junge Mädchen zum ersten Mal zur Dose gegriffen und findet es toll, die Gelegenheit zu haben, legal zu malen. „Und die Chance, etwas Großes zu machen.“ Die Vorstellung, dass künftig Leute an ihrem Kunstwerk vorbeilaufen und es ihnen die Angst nimmt, mag Martina. „Das gibt ein gutes Gefühl.“
Gesamtkunstwerk
- Aerosolkünstlerin Steffi Peichal hat mit Jugendlichen die Mauern unter der Kurt-Schumacher-Brücke mit Street Art verschönert. Die Werke wird sie zu einem Gesamtkunstwerk verbinden. Der Kurs fand in Kooperation mit Jugendarbeit Mobil statt.
- Die Autodidaktin aus Mannheim hat mit Graffiti 1994 begonnen. Ihre Kunst hat die 44-Jährige in Syrien und im Libanon vertieft. Ihr ist vor allem wichtig, dass ihre Werke eine Botschaft transportieren. 2003 gründete sie mit Jascha Held „Studio 68“.
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