Wenn packende Akrobatik, skurrile Gestalten und das Surren Hunderter Tintennadeln über drei Tage weg die Szenerie bestimmen, ist der „Tattoo Circus Rhein-Neckar“ wieder in der Maimarkthalle zu Gast. Mehr als 260 Tätowier-Künstler aus Nah und Fern machen mit ihren Werken auf sich aufmerksam. Der „MM“ hat vier Besucher nach den Geschichten befragt, die ihre Haut erzählen.
Ingmar Scheller aus Ludwigshafen: Den Widder trägt der 55-Jährige aus der Pfalz mit Stolz auf Schulter und Arm – und das aus Überzeugung. Für Scheller war es keine Frage, ob er sich tätowieren lassen würde, sondern nur wann. „Wenn du einmal angefangen hast, willst du gar nicht mehr aufhören“, schwärmt der Ludwigshafener, der die Tinte auf großen Teilen seiner beiden Arme trägt und das Ende der Fahnenstange noch lange nicht kommen sieht. „Meinen ganzen Körper würde ich mir nicht tätowieren lassen, aber das richtige Motiv am richtigen Fleck macht einen Körper zur Schönheit.“ Bereut hat Scheller seinen Widder, den er sich 2012 im Mannheimer Studio West Side Tattoo verewigen ließ, niemals: „Der ist einfach perfekt geworden!“
Alex Eckebrecht aus Nordheim: Wenn Tattoos zu einem „Stück Seele“ werden, hat die Frau aus Nordheim ein Stück Vergangenheit in sichtbare Bilder verwandelt. Heute zieren Tätowierungen einen großen Teil von Eckebrechts Körper, doch ihr wichtigstes Stück sind die Engelsflügel, die sie sich bereits mit Ende 20 auf den Rücken stechen ließ. „Das war ein tiefer Lebensschmerz, den ich damit überwunden habe“, erzählt Eckebrecht. Sie sieht in ihrer „persönlichen Körperkunst“ vor allem die Möglichkeit, „Halt, Kraft und Erinnerung“ für das ganze Leben auf die Haut zu bannen. Jedes einzelne Motiv hat sie dafür persönlich vorgezeichnet, mit einem ihrer drei Tätowierer besprochen und in die Tat umgesetzt. „Am Ende ist jedes einzelne von ihnen ein Zeichen, das das Leben hinterlassen hat – als Unikat, ein Leben lang.“
Leo Atramento aus Alsbach: Der junge Mann war acht Jahre alt, als er mit seiner Tante vor einem Einkaufszentrum über ein Geburtstagsgeschenk diskutierte. Da trat ein volltätowierter Mann heraus – und Leo Atramento war hin und weg. „Ich konnte die Motive zwar nicht erkennen, aber war vollkommen fasziniert.“ Dass sein Körper zahllose Motive auf sich vereint, bezeugt vor allem, dass der gebürtige Italiener bisweilen auch den Willen zum verrückten Experiment mit sich brachte. „Ich weiß, dass ich diese Bilder für immer mit mir trage, aber jedes Tattoo steht auch für eine bestimmte Zeit, die mich und meine Gedanken bestimmt hat“, wie der junge Mann klarstellt, dessen wichtigstes Stück auf dem eigenen Nacken prangt: Der Name seiner Tochter Amelia.
Janine Parth aus Langen: „Das Tätowieren ist wie eine Sucht“, erzählt die hochgewachsene Frau, die ihr erstes Tattoo mit 14 Jahren stechen ließ – und nun in Mannheim ihr jüngstes und bedeutendstes Stück bekam. Während sie sich als Fan der „Game of Thrones“ die weibliche Protagonistin Khaleesi bereits vor geraumer Zeit auf den kompletten linken Arm tätowieren ließ, folgte am Stand von Crime Ink aus Frankfurt jetzt auf dem rechten Arm Khal Drogo. Insgesamt 14 Stunden ertrug sie an zwei Tagen für ihr Gesamtkunstwerk die Schmerzen – und entschied sich bewusst, ihre Motive nur in Schwarz-Weiß stechen zu lassen. „Ein Tattoo muss einen Effekt haben“, sagt Janine Parth. Denn auch, wenn die junge Frau für sich klarstellt, dass sie noch weitere Teile ihrer Haut mit Tintenwerken verzieren will: „Po, Beine und Bauch würde ich immer freilassen – denn auch und gerade beim Tätowieren ist das Maß die hohe Kunst.“
Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/mannheim
Zwischen Körperkunst und Artistik
- „Der „Tattoo Circus“ gastiert seit 2017 in der Mannheimer Maimarkthalle und wird von der Agentur DSI Events ausgerichtet.
- Am Wochenende besuchten mehrere Tausend Freunde der Tätowierkunst die Messe.
- Bei der dritten Auflage waren nun mehr als 260 Tattoo-Künstler aus aller Welt in Mannheim zu Gast.
- Die Messe verschränkt die regionale Tätowierszene mit internationalen Spitzenkünstlern, die eigens eingeflogen werden.
- Das klassische Tätowier-Programm wird von einer Händlermeile mit Kleidung, Piercings, Spirituosen und Gothic-Utensilien angereichert.
- Neben Walking Acts, Food Trucks für die kulinarische Versorgung und Wettbewerben für die besten Tattoos präsentiert die Messe auch ein Bühnenprogramm.
- Neben klassischen Formen wie Messerwerfen oder Ring-Akrobatik spielen dabei auch obskure und gefährliche Künste eine große Rolle.
- Weitere Informationen und den Termin für das Kalenderjahr 2020 gibt es zeitnah im Internet auf www.tattoo-circus.de zu lesen. mer
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