Gleichberechtigung - Stadtverwaltungen in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen nutzen gendergerechtere Sprache

Gendergerechte Sprache im Mannheimer Rathaus: „Wegweiser für Wahrnehmung“

Von 
Anne-Kathrin Jeschke
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Lösungen wie das Gendersternchen sollen alle Menschen in der Sprache sichtbar machen. Eine Entwicklung, die nicht jedem gefällt. © Creative Commons, Coyote III (CC BY-SA 4.0)

Die Stadt Mannheim bietet ihren Bürger*innen einen virtuellen Ansprechpartner in Corona-Fragen – oder sie sucht Kräfte zur Unterstützung in Kindergärten, die kein(e) Erzieher*in sein müssen: Während ein neuer Leitfaden für gendergerechte Sprache in der Stuttgarter Verwaltung gerade für Aufsehen sorgte (wir berichteten), nutzt das Mannheimer Rathaus sie bereits. „Die Mitarbeitenden sind angehalten, in sämtlichen Schreiben darauf zu achten“, betont eine Stadt-Sprecherin auf Nachfrage. Aktuell werde auch eine Richtlinie dazu erarbeitet, die nach der Sommerpause in Kraft treten soll. Die „verbindlichen Empfehlungen“ gelten der Sprecherin zufolge für den gesamten Schriftverkehr sowie für sämtliche Schriftstücke. Die Stadt Mannheim bemühe sich, möglichst neutrale und geschlechtsumfassende Formulierungen zu nutzen. Also solche, in denen kein Geschlecht benannt wird, um so alle Menschen einzuschließen und Diskriminierungen zu vermeiden. Der Genderstern werde nur in Ausnahmefällen verwendet.

Während Formulierungen wie „Bürgerinnen und Bürger“ zwar Frauen und Männer einbinden, schließen sie Menschen, die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen, aus. Für geschlechtliche Vielfalt bietet das Deutsche keine sprachliche Form. Deswegen gibt es Ideen wie das Sternchen oder etwa einen Doppelpunkt an selber Stelle. Ein weiterer Ansatz ist es – wie in Mannheim bevorzugt – genderneutrale Formen wie Lehrende oder Teilnehmende zu nutzen. Der Begriff Studierende etwa wird bereits in Schrift und Sprache häufig genutzt.

Auch in Heidelbergs Stadtverwaltung ist eine „bestmöglich diskriminierungsfreie Sprache“ nach eigenen Angaben selbstverständlich. „Sprache prägt Denken“, heißt es von dort. Die Stadt achte auf eine Sprache, Symbol- und Bildauswahl, die Geschlechterstereotype vermeidet. Eine Arbeitsgruppe beschäftige sich derzeit mit den Auswirkungen der dritten Geschlechtsoption auf städtische Dienstleistungen und Einrichtungen. Seit Dezember 2018 gibt es in Deutschland offiziell drei Geschlechter: männlich, weiblich und divers. Diese Arbeitsgruppe soll auch eine einheitliche Linie für die gendergerechte Sprache erarbeiten – „bislang wird das in der Verwaltung uneinheitlich gehandhabt“.

Erfahrungen sammeln

In Ludwigshafen soll Sprache ebenfalls „jeden Menschen positiv ansprechen“ – auch „alle, die sich nicht als Frau oder Mann beschreiben“, teilt die Stadtverwaltung mit. Im Frühjahr 2019 habe man einen Leitfaden an die Mitarbeitenden herausgegeben. Man sammle Erfahrungen und überarbeite diese Empfehlungen kontinuierlich. Auch die Stadt Ludwigshafen nutzt neben genderneutralen Begriffen das Sternchen, um alle Identitäten sichtbar zu machen. Statt des Mädchennamens fragt sie zum Beispiel den Geburtsnamen ab.

„Durch Sprache ändert man nicht die Wirklichkeit“, sagt Henning Lobin, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. Dafür brauche es andere Hebel wie Initiativen und Gesetze. Aber: „Man muss sich vergegenwärtigen, dass Sprache wie ein Wegweiser für unser Wahrnehmen und Denken über die Welt wahrgenommen wird.“ Und da sich die Gesellschaft beim Thema Gleichberechtigung wandle, sollte der entsprechende sprachliche Wegweiser nicht fehlen.

Verwaltungen kommt dabei seines Erachtens eine besondere Rolle zu, weil sie die Menschen in der Stadt in vielfacher Form direkt ansprechen – als konkrete Personen. Und genau darum gehe es: um geeignete sprachliche Formen für die Adressierten. „Wenn ich Bürgerinnen und Bürger als ,liebe Bürger’ anspreche, dann verstoße ich gegen die Erwartungen vieler Frauen“, gibt Lobin zu bedenken.

Emotionale Debatten

Gendergerechte Sprache ist ein viel – und oft auch emotional – diskutiertes Thema. Das zeigte sich auch in Stuttgart, wo Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) in Bezug auf den neuen Leitfaden etwa fragte, ob man keine größeren Sorgen habe. Gerade die AfD startet Initiativen gegen gendergerechte Sprache. In Mannheim werde die Sichtbarkeit aller Geschlechter in der Schriftsprache verwaltungsübergreifend begrüßt, sagt die Stadtsprecherin.

Aus Lobins Sicht geht es in den Debatten oft um mehr als Sprache: Der Genderstern werde von vielen wahrgenommen als etwas, das für eine bestimmte Weltanschauung stehe, eine Haltung, etwas Politisches. „Eine eigentlich konkrete Sprach-Debatte wird hier in einem anderen Kontext instrumentalisiert.“ Von Vorwürfen einer „Sprachpolizei“ – wie Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann (Grüne) sie kürzlich geäußert hatte – hält der IDS-Direktor nichts: „In Deutschland wird niemandem vorgeschrieben, wie er sprechen soll.“

akj

  • Gender bezeichnet das soziale Geschlecht – in Abgrenzung zum biologischen.
  • In der deutschen Sprache nutzen wir die männliche Bezeichnung weitgehend, um sowohl männliche als auch weibliche und Menschen anderer geschlechtlicher Identitäten zu bezeichnen: das generische Maskulinum.
  • Studien zeigen, dass die Verwendung der männlichen Form zur Benachteiligung von Frauen und non-binären Menschen führt. Ein Beispiel: Werden Experten gesucht, werden automatisch weniger Frauen genannt, als wenn nach Expertinnen und Experten gefragt wird.
  • Verwaltungsvorschriften und Erlasse raten Behörden vielerorts zu gendergerechter Sprache.

Freie Autorin Seit 2014 freie Journalistin in Mannheim. Davor: Journalistik-Studium in Leipzig, Volontariat beim "Mannheimer Morgen", Redakteurin beim "MM" und beim "Öko-Test-Verlag" in Frankfurt.

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