Krypto-Handys

Geheime Chats belasten mutmaßliche Drogendealer aus der Region

Von 
Lisa Uhlmann
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Ecstasy-Pillen, Cannabis und kiloweise Kokain: Per Verschlüsselungsdienst Encrochat sollen zehn Tatverdächtige große Drogendeals unter anderem in Mannheim, Weinheim und Heidelberg abgewickelt haben. Ihnen droht nun der Prozess. © dpa

Mannheim/Rhein-Neckar. Wer kümmert sich um welche Lieferung, wie viel Kokain oder Cannabis liegt noch im Lager, welcher Partner verkauft was an welche Kunden? Es sind Chatnachrichten auf Krypto-Telefonen, in denen es um Drogendeals und Waffenschmuggel geht, die lange Zeit als abhörsicher galten und den Augen der Strafverfolgung verborgen blieben. Bis französische Ermittler 2020 die Server des Krypto-Anbieters Encrochat hackten, 20 Millionen Chatnachrichten abschöpften und entschlüsselten.

Übermittelt an deutsche Strafverfolgungsbehörden belasten diese Nachrichten nun diejenigen, die den Handy-Dienst für ihre kriminellen Geschäfte nutzten – dazu sollen auch Tatverdächtige aus Heidelberg, Weinheim, Ladenburg und Karlsruhe zählen. Gegen insgesamt zehn Männer hat die Mannheimer Staatsanwaltschaft laut Pressemitteilung am Donnerstag in drei sogenannten Encrochat-Verfahren Anklage am Landgericht Mannheim erhoben.

Kryptohandys fürs Organisierte Verbrechen

Die Firma Encrochat hatte sich auf den Verkauf verschlüsselter Handys an kriminelle Organisationen spezialisiert. Die Ausrüstung konnte laut ZDF für tausend Euro gekauft werden. Encrochat „modifizierte“ Blackberrys und Android-Telefone, wobei Mikrofone, Kameras, GPS-Systeme und USB-Anschlüsse entfernt wurden. Eine verschlüsselte Nachrichten-Software ermöglichte auch den Austausch auf anderen Geräten.

Im ersten Fall sollen sich fünf der sechs Tatverdächtigen zu einer Bande zusammengeschlossen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern im Alter von 25 bis 50 Jahren vor, in Mannheim und Heidelberg mit mehr als einer Tonne Marihuana und Haschisch, 40 Kilogramm Kokain und 50 Kilogramm Amphetamin gehandelt zu haben. Beim Durchsuchen von Lagern stießen die Beamtinnen und Beamten Ende Mai 2021 auf 270 Kilogramm Cannabis, mehrere Kilo Haschisch und Kokain sowie zwei Pistolen und eine Pumpgun. Den zwei mutmaßlichen Haupttätern, einem 38-Jährigen und einem 30-Jährigen, wird bandenmäßiger Drogenhandel in nicht geringen Mengen in mehr als 42 Fällen vorgeworfen.

120 000 Chatnachrichten ausgewertet

Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf 120 000 Encrochat-Nachrichten, die die Tatdverdächtigen von März bis Juni 2020 über Krypto-Handys ausgetauscht hatten. Eine 18-köpfige Ermittlungsgruppe des Polizeipräsidiums Mannheim hatte die Daten ausgewertet, die Ermittlungen laufen weiter.

Die Chatverläufe dienen der Staatsanwaltschaft nun als Hauptbeweismittel. „Die Beweislage ist sehr günstig“, erklärt Pressesprecher und Erster Staatsanwalt Marc Schreiner. Das dürfte auch daran liegen, dass die meisten Nutzer den verschlüsselten Handys samt Software vom Krypto-Anbieter Encrochat völlig vertrauten – und sich offen über alles austauschten. Das Versprechen der Firma von absoluter Anonymität lockte vor allem Schwerkriminelle an, was dem Dienst den Ruf als „Whatsapp für Gangster“ eingebracht hat.

Wie wertvoll die Chatläufe für Ermittler und Staatsanwältinnen sind, zeigt eine erste Bilanz vom Deutschen Richterbund und dem Bundeskriminalamt (BKA) Mitte November 2021: Bundesweit wurden Konten eingefroren, Bargeld in Millionenhöhe sichergestellt, fast 1000 Haftbefehle erlassen. Bislang wurden mehr als 2700 Ermittlungsverfahren ins Rollen gebracht. Allein in Baden-Württemberg beschlagnahmten Polizisten laut Landeskriminalamt Tonnen von Cannabis, Hunderte Kilogramm Kokain sowie Schusswaffen und Bargeld. In Heidelberg läuft aktuell noch ein Drogenprozess am Landgericht, bei dem solche Chat-Auswertungen Gegenstand sind,  ein Urteil wird Mitte Dezember erwartet. Ein weiterer Prozess startet laut Heidelberger Staatsanwaltschaft am 20. Dezember, drei weitere Klagen waren bis Oktober bereits eingegangen.

Kritik an Ermittlungsmethoden zurückgewiesen

Kritiker und Datenschützer hatten aber auch bemängelt, dass die französischen Ermittler beim Sammeln und Abhören der Daten nicht alle notwendigen Rechtsvorschriften beachtet hätten. Anfang November hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe aber entschieden, dass das Abhören dieser Dateien zu vor Gericht verwertbaren Beweisen führen kann und damit die Rechtssprüche anderer OLG bestätigt – eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht aber noch aus. Die Encrochats haben die Ermittler auch auf die Spur von zwei jungen Männern aus Weinheim gebracht, die bereits in Untersuchungshaft sitzen: Im zweiten Fall der Encrochat-Anklagen wirft die Staatsanwaltschaft den 26 und 27 Jahre alten Tatverdächtigen vor, gemeinsam in 16 Fällen mit mehr als 2300 Ecstasy-Pillen, 45 Kilogramm Amphetamin und 180 Kilo Marihuana gedealt zu haben. Die Polizei hatte bei Durchsuchungen neben Cannabis auch 24 Kilo Streckmittel zum Zubereiten für die synthetische Droge Amphetamin sichergestellt.

Im dritten Fall sollen zwei junge Heidelberger in ihrer eigenen Stadt und in Manheim eine Tonne Marihuana sowie Haschisch und 42 Kilogramm Kokain vertrieben haben, auch sie sitzen in U-Haft.

Und der Anbieter Enchrochat? Den gibt es längst nicht mehr, viele sind zum Verschlüsselungsdienst Sky ECC gewechselt – der ebenfalls von den Behörden geknackt wurde. Ende 2020 soll die europäische Polizei Europol viele Millionen Chats von Nutzern weltweit gesichert haben. In einigen Ländern gab es bereits Razzien. Der Datenbestand des Verschlüsselungsdienstes Sky ECC soll bis zu vier Mal so groß sein wie der Encrochat-Fund.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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