Ukraine-Krieg

Geflüchtete Wissenschaftlerin aus Russland forscht in Mannheim

Der ganz große Ansturm ukrainischer Studentinnen und Studenten ist an den Hochschulen ausgeblieben. Nun arbeitet aber auch eine russische Professorin an der Universität Mannheim

Von 
Julia Giertz
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Die Universität in Mannheim. © Markus Prosswitz

Mannheim. 31 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine studieren von diesem Herbst-/Wintersemester an an der Universität Mannheim - doppelt so viele wie im Vorjahr. Eine Handvoll lehrt gar als Juniorprofessoren. Nun teilt die Universität mit, dass auch eine geflüchtete russische Wissenschaftlerin zukünftig in Mannheim forscht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft habe die Integration der Russin in die Forschungsgruppe „Rekonfiguration und Internalisierung von Sozialstruktur“ für drei Jahre bewilligt.

Sie sei nie „eine Person des öffentlichen Lebens“ gewesen und habe „auch keine politischen Erklärungen abgegeben“, zitiert die Universität die Wissenschaftlerin, die anonym bleiben möchte. „Aber ich bin eine Universitätsprofessorin.“ Als der Krieg ausgebrochen sei, habe sie nicht anders gekonnt, „als meine Haltung zu dem, was geschah, gegenüber den Studierenden auszudrücken, von denen einige auch Anhängerinnen und Anhänger der offiziellen Sichtweise waren“, erklärt sie. Laut Universität habe die Wissenschaftlerin deshalb mehrere Protestbriefe unterzeichnet. „Da sie sich mit der Logik der Entwicklung politischer Regime auskennt, entschied sie sich, anschließend das Land gemeinsam mit ihrem Mann zu verlassen“, teilt die Universität mit.

Seit der Flucht seien ihre Befürchtungen sogar übertroffen worden; „Seriöse akademische Forschung in meinem Fachgebiet sowie die Lehre, die ich seit mehr als 30 Jahren betreibe und die ich sehr liebe, sind unmöglich geworden.“ In Mannheim kann sie ihrer Forschung als Mitglied der Forschungsgruppe „RISS“ weiter nachgehen. Das Projekt beschäftigt sich mit potenziellen Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels.

Digitale Angebote in der Heimat

Der große Ansturm ukrainischer Studentinnen und Studenten auf die Hochschulen ist laut Landesrektorenkonferenz in Deutschland und Baden-Württemberg bislang indes ausgeblieben. „Das liegt zum einen daran, dass junge Männer eingezogen wurden, zum anderen an digitalen Angeboten von Heimat-Universitäten, die von geflüchteten Studierenden angenommen werden“, erklärte Thomas Puhl der Deutschen Presse-Agentur. Der Rektor der Universität Mannheim ist seit 1. April Chef der Landesrektorenkonferenz.

Puhl hatte nach Daten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zunächst eine Zahl von bundesweit bis zu 100 000 Studentinnen und Studenten prognostiziert. Derzeit liege die Zahl bei mehr als 30 000 - davon sind fast ein Drittel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Drittstaaten, die vor Kriegsbeginn in der Ukraine eingeschrieben waren.

Auch das baden-württembergische Wissenschaftsministerium beobachtet nur eine „sehr moderate“ Entwicklung bei den Bewerbungen: Für den Zeitraum März 2022 bis Mitte September 2022 meldeten die Hochschulen 362 immatrikulierte Studenten und Studentinnen mit ukrainischer Nationalität. Hinzu kommen 17 Geflüchtete anderer Herkunft. Gebühren von 1500 Euro pro Semester müssen nur Studierende aus sicheren Drittstaaten zahlen.

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Studiengebühren ausgesetzt

Gründe für das recht geringe Interesse an einem Studium in Deutschland sind vor allem Sprachbarrieren, aufgrund derer Polen, die Slowakei, Tschechien und Rumänien bevorzugt würden. In Deutschland sind laut Ministerium die eher norddeutschen Großstädte, insbesondere Berlin, die wichtigsten Ziele.

Unter den Fachbereichen ist indes das Musikstudium sehr beliebt: Im Südwesten hat sich jeder Fünfte an einer der fünf Musikhochschulen um einen Platz beworben. „Da sind halbe Orchester nach Deutschland gekommen, zumal die vollständige Sprachkompetenz für Musiker nicht erforderlich ist“, sagt Puhl.

Die Zahl der ukrainischen Studentinnen und Studenten werde sich erhöhen, wenn sich die ersten Abiturienten aus der Ukraine an Hochschulen einschrieben, prognostiziert der Mannheimer Rektor. Puhl nimmt an, dass viele Schulabgänger in Deutschland bleiben, um ein Studium aufzunehmen. Dieses sei attraktiv, weil für die Ukrainerinnen und Ukrainer die Studiengebühren ausgesetzt werden, obwohl sie nicht aus der EU kommen. In der Ukraine könnten Puhl zufolge nur die Besten kostenlos studieren.

Alle institutionellen Kooperationen mit russischen Universitäten sind laut Puhl von Rektoren deutscher Universitäten auf Eis gelegt worden. „Da musste ein klares Zeichen gesetzt werden.“ An den Hochschulen im Land diskutieren russische und ukrainische Studenten und Studentinnen auf akademischem Level über die Lage. „Über Auseinandersetzungen ist mir nichts bekannt - der Umgang ist zivilisiert.“ Aus einem Fonds des Landes können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine für ein halbes Jahr mit monatlich 1200 Euro unterstützt werden. (dpa mit seko)

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