Stadt.Wand.Kunst in Mannheim (mit Fotostrecke)

Farbe zieht in die Neckarstadt-West

Von 
Anne-Kathrin Jeschke und Sarah Weik
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Schüchtern und schweigsam ist der Mann, der in diesen Tagen Farbe in die Neckarstadt-West bringt. Einer, der lieber seine Kunst sprechen lässt, als sich selbst reden zu hören. Ganz im Westen, in der Itzsteinstraße nahe der Jungbuschbrücke, bekommt die Galerie Stadt.Wand.Kunst (SWK) ein neues fassadenhohes Wandbild, ein Mural. Abseits vom innerstädtischen Trubel arbeitet dort der ukrainische Künstler Waone Interesni Kazki – hochkonzentriert, mit strengem Zeitplan.

Tag für Tag gewinnt sein Werk an Farbe, an Form, an Konturen: der Hintergrund, der sich an die Bäume ringsherum anschmiegt. Lange Beine, die eilen. Ein Gefäß, ganz vorsichtig getragen, dessen Inhalt gefährlich brodelt. Die Erde.

„Ich rede eigentlich nicht über meine Murals, bevor sie fertig sind“, erklärt der 36-Jährige. „Ich mag es nicht, ihnen schon vorher eine Botschaft zuzusprechen.“ Ihr Entstehen sei ein kreativer Prozess, die Idee entwickele sich währenddessen weiter. „Manchmal ist es ohnehin besser, den Betrachtern die Freiheit zu lassen, ein Werk zu interpretieren.“ Wenn es fertig ist, verspricht er aber, wird er etwas dazu schreiben.

Unübersehbare Begrüßung

In wenigen Wochen hat die Neckarstadt-West nun gleich zwei neue Wandbilder erhalten – 15 davon sind im Stadtgebiet verteilt. Das Kulturzentrum Alte Feuerwache in Mannheim, die Wohnungsbaugesellschaft GBG und der Heidelberger Sprühdosen- und Spraylackhersteller Montana-Cans haben die SWK-Galerie initiiert. Sie arbeiten dabei mit dem Kulturamt der Stadt zusammen, das Land fördert das Projekt finanziell.

Auch Künstler Nummer zwei, ein Hamburger, der sich 1010 nennt, will nicht im Rampenlicht stehen. Er reißt mit seinen Arbeiten abstrakte Löcher in Fassaden. Für alle diejenigen, die ihn nicht beim Sprühen und Malen gesehen haben, bleibt er anonym. Sein Werk aber steht eindeutig im Rampenlicht: Knallbunt begrüßt es alle, die über die Mittelstraße in die Neckarstadt-West kommen. Das Mural zieht doppelt hinein: in den Stadtteil mit all seiner Vielfalt und seinen Herausforderungen – und in das dreidimensional wirkende Motiv. Auch das Hoftor hat 1010 in sein Werk integriert.

Doch Freunde der Wandkunst müssen dieser Tage auch Abschied nehmen: Mittwoch war schon ein banger Tag für Christina Laube und Mehrdad Zaeri: Die beiden Mannheimer Künstler sind in die Innenstadt spaziert, in die B-Quadrate, hin zu ihrer „Freiheitstesterin“. Das Kunstwerk der Fotografin und des Illustrators zeigt die Rückansicht einer Frau, umgeben von unzähligen Vögeln. Sie hat die Arme ausgebreitet, beugt sich vorsichtig nach vorn – bereit, um die Freiheit zu testen? Das Bild ziert das ehemalige Polizeigebäude, das nun abgerissen werden soll. Geplant war dafür zunächst der Mittwoch. Ein bisschen erleichtert sind sie abends dann doch, dass die Freiheitstesterin „ihren Hintern noch in die Luft gehalten hat“ (Laube), der Abrisstermin noch einmal verschoben wurde.

Die beiden geben sich zwar gelassen: „Wir wussten ja, dass sie wieder gehen wird. Wir konnten uns darauf vorbereiten“, sagt Christina Laube. Aber wehmütig sind sie doch, räumt Mehrdad Zaeri ein: „Jetzt tun wir so cool. Aber wenn wir dort stehen und die Wand abgerissen wird, dann werden wir schon sehen, wie weh das tut.“ Sie habe lange überlegt, ob sie überhaupt zuschauen möchte, sagt Christina Laube. Dass sie sich verabschieden müssen, sei jedoch ihre eigene „Schuld“. Das war von Anfang an der Wunsch der beiden, die sich Duo Sourati nennen, Persisch für die Farbe Altrosa: eine Wand „zum Üben“. Eine, die nicht stehen bleibt. Weil es ihr erstes Mural war, die Technik neu für sie, genau wie die Dimension des Ganzen.

Auch die anderen Stadt.Wand.Kunst-Werke werden nicht gepflegt. Sie sind sich selbst überlassen – und damit den äußeren Einflüssen wie Witterung oder Abgasen ausgeliefert. Schlimmstenfalls mutwilligen Beschädigungen. Vergänglichkeit sei ein Merkmal dieser Kunstform, sagt Katharina Tremmel von der Alten Feuerwache.

„Wohnorte langfristig aufwerten“

In der Regel aber wählten die Organisatoren Fassaden so aus, dass die Kunstwerke möglichst lange erhalten bleiben können. „Sie sollen ja langfristig das Stadtbild und die Wohnorte aufwerten.“

Auch Harald Thiele, Sachgebietsleiter für Stadtgestaltung beim Fachbereich Stadtplanung im Rathaus, hält generell wenig davon, Werke im öffentlichen Raum, die übermalt wurden, überwuchert oder abgerissen werden, zu restaurieren oder zu ersetzen. „Das ist doch gerade die Dynamik, die Street Art ausmacht – eine Stadt ist ja auch dynamisch und ändert sich permanent.“ Dass sie äußeren Einflüssen ausgesetzt seien, mache die Werke „echt“. Die Frage sei zudem: Wer sollte den Erhalt im Einzelfall leisten und finanzieren?

Stadt.Wand.Kunst ist in Thieles Augen aber eher ein „Zwischenfall“ – zwischen Straßenkunst und Kunstmuseum: Dafür würden Wände ausgesucht, die sich illegale Graffiti-Sprayer noch nicht angeeignet haben. Allein, weil sie in der Höhe kaum erreichbar sind. „So kommen die Werke nicht ernsthaft in Konflikt mit der illegalen Szene.“

Die beste Antwort auf den nun nahenden – und jetzt schon schmerzenden – Abschied von der „Freiheitstesterin“ sei der Titel ihres neuen Werks, findet Mehrdad Zaeri: „Abschied und Neubeginn“. Er und seine Frau Christina werden es im August gemeinsam an eine Hauswand in H 5 malen und sprühen. Eine Wand, die diesmal bleiben soll. Es wird ums Reisen gehen, ums Verlassen und Ankommen. Ein Thema, das die beiden begleitet. „In Mannheim leben so viele Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um hier zu leben“, sagt Mehrdad Zaeri, der selbst vor Jahrzehnten mit seiner Familie aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist. „Unser neues Bild werden wir all diesen Menschen widmen.“

Info: Fotostrecken unter morgenweb.de/mannheim

Kultur

Neue Murals für Stadt.Wand.Kunst

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Die Werke

  • Herakut: My Superhero Power is Forgiveness (2013) – F6, 1-5
  • Dmitri Aske: The Modern Thinker (2014) – F 6, 8
  • Sobekcis: Motion (2015) – Zeppelinstraße 20-24
  • Satone: Insomnia (2015) – Kleestraße 6
  • Stohead: Rhythm (2015) – S5, 12-17
  • Sainer / Etam:  Baseball Sketch (2016) – Waldhofstraße 56
  • Christina Laube und Mehrdad Zaeri (Duo Sourati): Die Freiheitstesterin (2016) – B 6, 4
  • Bezt / Etam: Europe (2016) – E7, 22
  • Hendrik Beikirch (ECB): Véra (2016) – Brandenburger Straße 44
  • Alexey Luka: Untitled (2017) – Neckarpromenade 46
  • Yazan Halwani: The Inevitability Of Leaving Things Behind (2017) – F6, 12
  • Nevercrew: Propagating Machine (2017) – Ulmenweg 40
  • Low Bros: New Wave (2017) – F5, 12
  • 1010 (2018) – Mittelstraße 9
  • Waone Interesni Kazki (2018) – Itzsteinstraße 1-3
  • Folgende Gebäude sollen in diesem Jahr noch mit Murals versehen werden: Turnhalle der Johannes-Kepler-Schule – K6, 1 (The London Police aus Amsterdam und London) vom 16. bis zum 22. Juli; H5, 3 (Duo Sourati aus Mannheim) vom 17. bis 26. August und 29. August bis 2. September. Cheliusstraße 1-3 (Frau Isa aus Wien) vom 27. August bis zum 2. September; Einraumhaus, Alter Meßplatz, (EGS aus Helsinki) vom 29. Oktober bis zum 4. November.

Freie Autorin Seit 2014 freie Journalistin in Mannheim. Davor: Journalistik-Studium in Leipzig, Volontariat beim "Mannheimer Morgen", Redakteurin beim "MM" und beim "Öko-Test-Verlag" in Frankfurt.

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