Mannheim. Ältere erinnern sich vielleicht an den „Knöllchen-Horst“. Den Spitznamen bekam der Frührentner Horst-Werner Nilges aus dem Harz von Boulevardmedien verpasst, weil er zwischen 2004 und 2017 ungefähr 56 000 Anzeigen wegen vermeintlicher Verkehrsverstöße erstattet haben soll. Jüngeren ist eher der selbst ernannte „Anzeigenhauptmeister“ Niclas Matthei bekannt. Der junge Mann reist in seiner Freizeit mit Fahrrad und Warnkleidung durch Deutschland, um möglichst viele Falschparker anzuzeigen. Allein voriges Jahr waren es nach eigenen Angaben 6000, Tendenz steigend.
Im März wurde er in Mannheim gesichtet. Dem „Mannheimer Morgen“ schrieb der 18-Jährige damals auf Anfrage, er sei nur zum Umsteigen hier gewesen und habe den Hauptbahnhof nicht verlassen. Wäre auch nicht nötig, offenkundig hat er hier bereits genügend Brüder im Geiste.
Anstieg im vergangenen Jahr um fast 56 Prozent
Wie eine kürzlich vom Evangelischen Pressedienst (epd) veröffentlichte Umfrage unter baden-württembergischen Großstädten zeigt (siehe Grafik), wurden im vergangenen Jahr in Mannheim die meisten Falschparker von Privatleuten angezeigt. Weil das nicht auf die Einwohnerzahl umgerechnet wurde, ist es bei der zweitgrößten Stadt des Landes zwar nicht total verwunderlich. Doch bedeuten die rund 12 000 Fälle einen Anstieg um fast 56 Prozent.
Die Stadtverwaltung hat dafür keine Erklärung, wie Sprecherin Désirée Leisner auf Anfrage mitteilt. Sie vermutet aber: „Möglicherweise ist die Hemmschwelle, jemanden über das Internet anzuzeigen, gesunken.“ Das könnte stimmen, doch dann müsste die Zunahme andernorts ähnlich hoch sein. In Heidelberg ist sie das mit fast 57 Prozent und in Freiburg mit 42 Prozent annähernd. In Stuttgart und Karlsruhe indes, ja ebenfalls mit dem Internet verbunden, ist der Anstieg mit 4,8 beziehungsweise 2,3 deutlich geringer.
Eine nahe liegende Möglichkeit, woran das Plus in der Quadratestadt liegen könnte, scheidet laut Leisner aus: „Das Verfahren zur Anzeige von Falschparken wurde in Mannheim nicht geändert oder vereinfacht. Auch wurde es nicht besonders durch die Verwaltung beworben.“
Generell gebe es unterschiedliche Wege, dem Ordnungsamt illegal abgestellte Fahrzeuge zu melden. Einer führe über ein Formular auf mannheim.de (direkter Link: www.is.gd/GUJeIN). Das stelle sicher, dass alle benötigten Informationen geliefert würden. Erfragt werden neben Personalien unter anderem Tatort, Tatzeit, Kennzeichen, Fahrzeugtyp, Farbe und Art des Verstoßes.
Aber auch Anzeigen über Apps oder per Mail nehme die Bußgeldbehörde entgegen, erklärt die Stadtsprecherin. „Dabei sind jedoch einige Dinge zu beachten.“ So müsse man sich als Zeuge zur Verfügung stellen und ebenfalls alle erforderlichen näheren Angaben machen. „Auch ein Bild ist sehr hilfreich.“
Rund 70 Prozent aller Falschparker-Anzeigen führten zu Verfahren, sagt Leisner. In Heidelberg ist die Quote der epd-Studie zufolge genauso hoch. In Stuttgart dagegen lag sie voriges Jahr nicht mal bei 15 Prozent. Obwohl in der Schwaben-Metropole sogar das dafür zuständige Personal aufgestockt wurde.
Die Bandbreite der von Privatleuten gemeldeten Delikte reiche in Mannheim von einer versperrten Einfahrt oder einem zugeparkten Schwerbehindertenparkplatz über Gehwegparker bis hin zum Abstellen auf Grünstreifen, so die Stadtsprecherin. Was davon welchen Anteil habe, werde nicht genau erfasst. „Eine Häufung einzelner Verstöße lässt sich aber nicht feststellen.“
Beim Meldeportal weg.li die viertmeisten Registrierten
Dass es in Mannheim fleißige „Knöllchen-Horsts“ gibt, zeigt noch eine andere Erhebung. Laut einer Analyse des bundesweiten Falschparker-Meldeportals weg.li liegt die Quadratestadt auch umgerechnet auf die Einwohnerzahl in der erweiterten Spitzengruppe, nämlich auf Platz sieben von insgesamt 33. Zudem sind von hier die viertmeisten Nutzer bei dem Portal registriert, nur aus Frankfurt (Spitzenreiter), Hamburg und Düsseldorf kommen mehr.
Weg.li wird auch vom „Anzeigenhauptmeister“ verwendet. Ihm schlägt nicht nur in sozialen Medien viel Hass entgegen, er wurde auch schon verprügelt. Auf den „Knöllchen-Horst“ sind keine körperlichen Attacken bekannt. Laut Wikipedia wurde er allerdings mal Opfer einer weit verbreiteten Falschmeldung, Nilges habe einen Rettungshubschrauber-Piloten angezeigt.
Wissenschaftler erstellte 2018 Mannheimer „Knöllchen-Atlas“
Für fälschliche Anzeigen musste er sich mehrfach vor der Justiz verantworten. Das niedersächsische Oberlandesgericht bescheinigte ihm 2013 eine „denunziatorischen Tätigkeit“. Und das Bundesverfassungsgericht verhängte 2014 eine Missbrauchsgebühr von 1000 Euro. Nilges hatte Beschwerde wegen der Prozessführung eines Richters eingereicht. Zudem verklagte er einige Prominente, von denen er sich beleidigt fühlte.
In Mannheim wollte der Politikwissenschaftler Christian Stecker 2018 ausdrücklich kein „Knöllchen-Horst“ sein. Aber er ärgerte sich sehr über zugeparkte Radwege vor Schulen. Sein Verdacht: Das Ordnungsamt kontrolliere bevorzugt Anwohnerparkzonen vor der eigenen Tür in der Oststadt. Das belegte dann ein von ihm erstellter „Knöllchen-Atlas“, an dem der damalige Fachbereitsleiter Klaus Eberle jedoch methodische Zweifel äußerte. Der Wissenschaftler wiederum widersprach nicht minder energisch.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Eine Hochburg der Denunzianten ist Mannheim eher nicht