Main-Neckar. Immer mehr Designerdrogen, offiziell „Neue psychoaktive Substanzen“ genannt, werden auf den Markt geschwemmt, ihre harmlosen Namen Lufterfrischer oder Badesalz führen die Konsumentinnen und Konsumenten in die Irre und nicht selten endet ein Rausch mit dem Tod. „Das ist ein beunruhigender Trend“, betont Eva Egartner, Geschäftsführerin des Fachverbands Drogen- und Suchthilfe, auf einer Pressekonferenz anlässlich des Bundesdrogenkongresses, der in diesem Jahr in Mannheim stattfindet. In dem Verein fdr+ sind 67 Träger mit mehr als 350 Einrichtungen Mitglied, der Mannheimer Drogenverein gehört dazu. Egartner verweist hier auf die Zahlen der drogeninduzierten Todesfälle, die sich seit 2013 verdoppelt hätten. Auch im vergangenen Jahr seien sie - erneut - gestiegen. Nicht in allen Bundesländern, aber in manchen besonders stark.
Baden-Württemberg zählt dazu. Die Zahl der Drogentoten lag dort im vergangenen Jahr bei 195, das sind fast 40 Prozent mehr als 2023. „Besonders erschreckend: Unter den Toten sind elf Heranwachsende und zwei Jugendliche“, benennt Egartner einen weiteren traurigen Trend, den die Fachkräfte in der Drogenberatung seit geraumer Zeit beobachten. Auch in Hamburg seien im vergangenen Jahr drei der Drogentoten jünger als 20 gewesen, in Bayern habe die Polizei im Jahr 2023 fünf Minderjährige unter den Drogentoten registriert, 20 seien zwischen 18 und 21 Jahre alt gewesen.
Einer der Gründe für die steigende Zahl junger Drogentote sind nach Ansicht von Fachleuten die neuen psychoaktiven Substanzen, die vornehmlich in China und Indien produziert oder vorproduziert werden, sich den gesetzlichen Kontrollen entziehen und deren Gefährlichkeit gerade von jungen Menschen häufig unterschätzt wird. „Die Konsumentinnen und Konsumenten wissen nicht, was sie einnehmen, es herrscht eine große Drogennaivität“, so Egartner. Laut dem Europäischen Drogenbericht 2024 stellten die EU-Mitgliedstaaten 2022 eine Rekordmenge von rund 31 Tonnen dieser Designerdrogen sicher, darunter synthetische Cannabinoide, das wie unverfälschter Cannabis aussieht, aber eine hochpotente Substanz ist, die zu schweren Vergiftungen führen kann.
Auch synthetische Opioide gelten als neue und wachsende Bedrohung, es reichen geringe Mengen aus, um eine große Menge typischer Straßendosen herzustellen, ihre Wirkung: potenziell lebensbedrohlich. „Die Befürchtung ist, dass mit dem Verbot der Opiumproduktion in Afghanistan durch die Taliban die Heroinlieferungen nach Europa zurückgehen und synthetische Opioide als Ersatzdrogen verwendet werden“, warnt Philip Gerber vom Mannheimer Drogenverein.
Strafverfahren im Zusammenhang mit Cannabis rückläufig
Immerhin, es gibt aus Sicht der Drogen- und Suchthilfe auch Positives zu berichten. Der erste Schritt zur Cannabis-Legalisierung, die vor einem Jahr beschlossen und auf den Weg gebracht wurde, habe zu einem starken Rückgang der Strafverfahren wegen des Besitzes und Konsums von Haschisch geführt. Was, so hoffen die Suchtexperten, Polizei und Gerichte entlaste - mithin ein Ziel der Legalisierung. Ferner kämen mehr Menschen in die Beratung und sprächen offen über ihren Konsum. „Die kommen nicht mehr zu uns, weil die Polizei sie schickt oder weil es Teil der Bewährungsauflage ist, sondern sie kommen freiwillig, weil sie erkannt haben, dass ihr Konsum problematisch ist“, macht Gerber immer häufiger die Erfahrung mit seinen Klienten. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Prävention – seitens der Schulen oder auch von Angehörigen.
Das Problem: Es gebe kaum Ressourcen, es fehle an Fachkräften, es fehle an Geld. „Suchthilfe und Suchtprävention sind keine regelhaften Leistungen, sondern Goodies, eine Zugabe, die sich die eine Kommune leistet, die andere nicht“, übt Egartner deutliche Kritik an der Drogenpolitik von Ländern und dem Bund. Ob die neue Bundesregierung hier Abhilfe schaffen werde, bleibe offen, der Koalitionsvertrag von Union und SPD sei bei der Drogenpolitik recht „schwammig“, lautete die Einschätzung der Experten der Fachtagung. Dabei gebe es viele, auch wissenschaftlich evaluierte Lösungen, doch diese fänden, wenn überhaupt, nur vereinzelt Anwendung. Auch Gerber kritisiert, dass Mannheim vor Jahren die Leistungen in der Drogenprävention gestrichen habe, seitdem gebe es nur noch punktuell Programme und Projekte.
Noch kein Drug-Checking in Baden-Württemberg
Eine der Lösungen, die Suchtexperten seit langem fordern, sind Drogenkonsumräume, über die jede größere Stadt verfügen sollte, um einen sicheren und sterilen Konsum zu ermöglichen, Überdosierungen erkennen zu können und niedrigschwellig die Menschen zu erreichen und im besten Fall zu beraten. Auch Notschlafstellen, die Schutz vor Gewalt und Übergriffen auf der Straße sowie sanitäre Anlagen und Konsumutensilien böten, seien eine der dringend benötigten Maßnahmen. Das Notfallmedikament Naloxon, das bei lebensbedrohlichen Überdosierungen angewendet wird, sollte auch Laien, Familienangehörigen und Freunden von Opioid-Konsumenten, zugänglich gemacht werden, damit diese schnell eingreifen könnten, sowie in jedem Rettungs- und Polizeiwagen vorhanden sein.
Drogentod in Zahlen
Die Anzahl der Drogentoten lag in Baden-Württemberg 2024 bei 195. Im Jahr davor waren es 141. Das entspricht einem Anstieg von fast 40 Prozent.
Unter den Drogentoten waren 171 Männer und 24 Frauen . Elf Tote waren Heranwachsende, zwei noch Jugendliche.
Stuttgart ist die Stadt mit den meisten Drogentoten (20), gefolgt vom Rhein-Neckar-Kreis (15).
Keine Todesfälle im Zusammenhang mit Rauschgift hat die Polizei unter anderem in Heidelberg sowie dem Neckar-Odenwald-Kreis registriert.
Zwei Personen starben durch die Einnahme von Lachgas , im Jahr davor waren es fünf.
Auffällig ist der häufige Mischkonsum – Betäubungsmittel, Medikamente und Alkohol werden zusammen eingenommen. Das führte 2024 in 126 Fällen zum Tode, 2023 waren es „nur“ 77.
Daneben sei Drug Checking, die kostenlose und straffreie Untersuchung von illegalen Drogen, eine wirksame Methode, um dem Konsum gefährlicher Substanzen entgegenzuwirken. „Hier gibt es eine Hängepartie auf Landesebene“, bedauert Gerber. 2023 hatte der Bundestag eine bundesweite Regelung zu Drug-Checking-Modellen beschlossen. Nun liegt es an den Bundesländern, entsprechende Verordnungen zu erlassen. In Baden-Württemberg ist das noch nicht passiert. „So sind den Suchtberatungsstellen die Hände gebunden“, betont Gerber, „wir brauchen die gesetzliche Grundlage, um Angebote zur Drogenkontrolle machen zu können.“ Und so zu verhindern, dass die Zahl der Drogentoten weiter steigt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-experten-schlagen-alarm-immer-mehr-junge-menschen-unter-drogentoten-_arid,2304159.html