Interview - Günter Bergmann vom Projekt „umBau Turley“ über Fehler der Politik, die Sozialquote und wirksamere Wege zu niedrigeren Mieten

Experte Günter Bergmann: "Mannheim schlecht aufgestellt bei bezahlbarem Wohnraum"

Von 
Timo Schmidhuber
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Günter Bergmann gehört zum gemeinwohlorientierten Wohnprojekt „umBau Turley“. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Günter Bergmann gehört zum gemeinwohlorientierten Wohnprojekt „umBau Turley“. Im Interview spricht er über bezahlbaren Wohnraum in Mannheim.

Herr Bergmann, was ist aus Ihrer Sicht bezahlbarer Wohnraum?

Günter Bergmann: Bezahlbar ist Wohnraum dann, wenn den Mieterinnen und Mietern genug Geld bleibt, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Mit Mieten, die mehr als 30 und manchmal sogar bis zu 50 Prozent des Einkommens auffressen, ist das bei geringen Einkommen nicht mehr möglich. Das ist dann ein soziales, vor allem aber auch ein uns alle betreffendes Demokratieproblem. Eine solidarische Gesellschaft muss deshalb zuerst für ausreichend bezahlbaren Wohnraum sorgen. Erst dann sollte auch anderes, zum Beispiel im Luxussegment, gebaut werden dürfen.

Kann man bezahlbares Wohnen bei einem konkreten Mietpreis festmachen?

Bergmann: Nein. Auch 7,50 Euro pro Quadratmeter sind nicht bezahlbar, wenn jemand fünf Nebenjobs braucht, um die Miete aufzubringen.

Wie ist Mannheim in Sachen bezahlbarer Wohnraum aufgestellt?

Bergmann: Schlecht. Die Angebotsmieten sind ja weitaus höher gestiegen als der Mietspiegel das abbildet. Am Wohnungsmarkt benachteiligte Gruppen finden schon lange keine Wohnung mehr. Aber auch Haushalte mit einfachen oder mittleren Einkommen sind von der Teuerung existenziell betroffen. Gleichzeitig wird zu wenig bezahlbarer Wohnraum gebaut.

Das ist aber kein Mannheimer Problem, sondern ein deutschlandweites.

Bergmann: Das stimmt.

Über Günter Bergmann

  • Günter Bergmann ist Teil des WohnprojektsumBAU Turley“. Die Gruppe hat nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats ein Gebäude mit zwölf Wohnungen gebaut.
  • Die Bewohner sind Mieter in ihrem eigenen Haus. Wegen des gemeinwohlorientierten Modells ist es unverkäuflich und steht auch künftigen Generationen als günstiger Mietwohnraum zur Verfügung.
  • Die Kaltmiete in dem Haus kostet seit fünf Jahren 8,50 Euro pro Quadratmeter. Für einen Neubau ist das vergleichsweise günstig.

Welche Versäumnisse sehen Sie bei Kommunalpolitik und Stadtverwaltung?

Bergmann: Die Stadt hat es zum Beispiel versäumt, auf den Konversionsflächen mehr für das bezahlbare Segment zu tun. Die städtische Projektentwicklungsgesellschaft MWSP verkauft die Grundstücke an Firmen wie Sahle Bau, die mittlerweile bundesweit mehr Marktmacht haben als die städtische Wohnungsbaugesellschaft GBG. Wenn man es ernst meint mit dem Vorhaben, die Erschießung der Konversionsflächen zu kontrollieren, hätte die Stadt stattdessen einen möglichst großen Anteil der Flächen selbst behalten und bebauen oder per Erbbaurecht weitergeben sollen. Dazu hätte die MWSP allerdings vom damaligen Gemeinderat von der Vorgabe befreit werden müssen, dass sich die Umwandlung der Militärflächen selbst tragen muss. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die GBG: Die hat erst 2020 auf Franklin die ersten Sozialwohnungen seit einer gefühlten Ewigkeit gebaut. Als Begründung gibt sie an, erst seit den neuen Förderungen habe sich das gerechnet. Die GBG muss sich meiner Ansicht nach fragen lassen, was für sie ,rentabel’ heißt. Welchen Ertrag erwartet sie zum Beispiel aus einer Investition in Sozialwohnungen? Als Problem für bezahlbares Wohnen sehe ich auch die Handhabung von Bauvorschriften. Die Stellplatzpflicht für Autos zum Beispiel führt dazu, dass fast zehn Prozent der Baukosten in Tiefgaragen verbuddelt werden muss – in einer Zeit, in der die Zahl der Autos in den nächsten zehn Jahren aus Gründen des Klimaschutzes halbiert oder gar gedrittelt werden muss.

Wie bewerten Sie die Mannheimer Quote für bezahlbares Wohnen, die besagt, dass in einem Haus ab zehn Wohneinheiten mindestens 30 Prozent eine Kaltmiete in der Größenordnung von acht Euro pro Quadratmeter haben muss?

Bergmann: Die Quote war ein erster Schritt – ihre Wirkung muss man aber noch sehen. Anderswo liegt die Quote höher – in Frankfurt bei 40 Prozent, in Freiburg bei 50. Nichts von der Unkerei, es würde dadurch nichts mehr gebaut, trifft dort zu. Bei der Quote besteht allerdings die Gefahr, dass die Investoren die Mindereinnahmen bei den 30 Prozent bezahlbaren Wohnungen einfach bei den 70 Prozent draufschlagen. Wichtig ist also, auch die 70 Prozent so zu kontrollieren, dass den Investoren die Lust an der Spekulation vergeht.

Was kann man da machen?

Bergmann: Zum Beispiel die Quote erhöhen und auch die Bindungsfristen für die bezahlbaren Wohnungen. Von 20 Jahren wie aktuell in Mannheim auf 40 oder sogar 50.

Wie könnte Ihrer Ansicht nach in Mannheim mehr bezahlbarer Wohnraum entstehen?

Bergmann: Zunächst gilt es, den Bestand an bezahlbarem Wohnraum zu schützen, zum Beispiel mit einem Mietendeckel. Für Neubauten gilt: Dauerhaft bezahlbarer Wohnraum entsteht dort, wo er ohne Gewinnerwartung nur im Interesse der späteren Bewohner geplant und nur schwach verzinst finanziert wird. Als in Freiburg der parteilose Oberbürgermeister Martin Horn sein Amt antrat, läutete er eine rigorose Änderung bei der Vergabepolitik in Richtung Gemeinwohlorientierung ein. In Neubaugebieten erhalten dort seitdem bevorzugt sozial orientierte Genossenschaften und Mietshäuser Syndikate den Zuschlag.

Redaktion Stellvertr. Leiter der Lokalredaktion Mannheim

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