Gesellschaft

Erdogans Machtspiel: Sorge unter Deutsch-Türken in Mannheim

Er galt als Erdogans gefährlichster Rivale. Nun wurde Istanbuls Oberbürgermeister festgenommen. Mannheimerinnen mit türkischen Wurzeln fürchten um die Zukunft des Landes.

Von 
Ilgin Seren Evisen
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In Istanbul haben sich am Mittwoch Tausende Menschen vor dem Rathaus versammelt, um gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu zu protestieren. © Francisco Seco/AP/dpa

Mannheim. Er galt als Erdogans gefährlichster Rivale. Nun wurde Ekrem Imamoglu, Oberbürgermeister von Istanbul, festgenommen. Nur wenige Tage, bevor die sozialdemokratische CHP ihren Präsidentschaftskandidaten für die 2028 anstehenden Wahlen bekanntgeben wollte, schlug der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu. Schon zuvor wurde Imamoglus Universitätszeugnis aberkannt. Wer in der Türkei Präsident werden will, muss ein Universitätszeugnis nachweisen. Was steckt dahinter?

„Die Unterdrückung der größten verbliebenen Oppositionspartei und die Inhaftierung von Ekrem Imamoglu bedeuten ganz klar die vollständige Abschaffung der Meinungsfreiheit“, beginnt die Mannheimer Deutsch-Türkin Nihal Sariyildiz. Sie ist ein bekanntes Gesicht der Mannheimer AfD und im Bezirksbeirat Rheinau.

Die Türkei steht vor der Gefahr eines autoritären Regimes
Nihal Sariyildiz Deutsch-Türkin aus Mannheim

Ihre Eltern, sogenannte Gastarbeiter, hätten sie mit kemalistischen Idealen wie der Gleichheit der Geschlechter, der Trennung von Staat und Religion und der immensen Bedeutung von Demokratie erzogen. Noch heute sei sie stolz darauf, diese politischen Werte als Kind erlernt und verinnerlicht zu haben.

Warnung vor autoritärem Regime und Wahlbeeinflussung

Gerade als Tochter einer kemalistischen Familie berühre es sie sehr, wie die von Atatürk gegründete CHP nun systematisch mundtot gemacht werde und das, obwohl sie in der Vergangenheit schon öfter Regierungsverantwortung hatte. „Die Türkei steht vor der Gefahr eines autoritären Regimes“, setzt sie fort. Die Verhaftung des beliebten Istanbuler Oberbürgermeisters, so Sariyildiz, führe dazu, dass Millionen türkischer Wähler ihrer Stimmen beraubt würden.

Mit einem westlichen Demokratieverständnis oder Respekt vor dem Willen der eigenen Bevölkerung habe das wenig zu tun. Das, so Sariyildiz, müssten auch die in Mannheim lebenden Deutsch-Türken erkennen. An sie richtet Sariyildiz einen Appell: „Mischt euch nicht in die Wahlen in der Türkei ein. Ihr beeinflusst dort das Leben der Bürger, obwohl ihr die Konsequenzen nicht selbst tragen müsst.“

Besorgt über die Ereignisse in der Türkei zeigt sich auch der Atatürk-Verein in Mannheim. Gleich zwei Mitglieder verurteilen aufs Schärfste die Inhaftierung Imamoglus. „Das Land ist nun viele Schritte weiter weg von Demokratie und Gerechtigkeit“, beginnt die 49-jährige Nil Cikik-Merz. Die Mannheimerin und Tochter sogenannter Gastarbeiter ist seit vielen Jahren aktives Mitglied im Atatürk-Verein, in regionalen Theatergruppen aktiv und zudem Grundschullehrerin an einer Schule der Region.

Wie sie denken viele Mitglieder des Vereins, so Cikik-Merz. „Wovon wollen sie ablenken und wovor haben sie Angst?“, fragen sie sich. Für Cikik-Merz und andere im Verein ist klar, die Demokratie in der Türkei steht vor dem Abgrund. Es gehe darum, kritische Bürger einzuschüchtern und darum, ihr politisches Engagement zu verhindern. Von den Mannheimer Deutsch-Türken wünscht sie sich ein klares Bekenntnis für die Demokratie – sowohl in der Türkei als auch in Deutschland.

Kritik an Erdogan: Bedrohung für die Demokratie

Ein anderes aktives Mitglied des Vereins ist Esra Kunt Derikesen. Die studierte Chemie-Ingenieurin arbeitet und wohnt seit 2012 in Deutschland. „Das ist nicht nur ein Angriff auf Imamoglu, das ist ein Angriff auf alle Liberalen, Frauen und Demokraten des Landes“, so Kunt Derikesen. „Es kann ab sofort jeden von uns treffen. Jeden, der es wagt, Erdogan oder die Regierung zu kritisieren“, glaubt sie.

Sowohl an die Deutsch-Türken in Mannheim als auch an die Bevölkerung der Türkei richtet sie den Appell: „Jeder, der sich für die Türkei Demokratie wünscht, muss jetzt aufstehen und sich für Imamoglu einsetzen – für die Zukunft des Landes, aber auch für seine eigene Zukunft und die seiner Kinder.“

Eine weitere türkischstämmige Frau, die sich wegen der Verhaftung Imamoglus sorgt, ist Sengül Engelhorn. Die bekannte Unternehmergattin und Mannheimer CDU-Stadträtin hat als Tochter ostanatolischer und liberal geprägter Gastarbeiter in den vergangenen Jahrzehnten die Entwicklungen in der Türkei kritisch beobachtet und sieht die Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters als Ausdruck zunehmender despotischer Züge des Regierungspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Während in Europa Wahlen als Ausdruck des Volkswillens gelten, werden sie in der Türkei zunehmend durch Justiz und staatliche Repression manipuliert“, so Engelhorn.

Sengül Engelhorn warnt vor Druck auf Frauenrechte

Ihr zufolge leiden vor allem auch Frauenrechte unter dieser Entwicklung. Die Türkei verzeichnet unter der Regierung Erdogans eine Zunahme von Femiziden. Fast täglich werde in türkischen Medien von bestialischen Ermordungen von Frauen berichtet. „Europa darf nicht schweigen, wenn ein Land auf dem Weg in die Autokratie grundlegende Menschenrechte mit Füßen tritt“, setzt sie fort. Engelhorn vertritt seit 2024 die CDU im Gemeinderat und kandidiert bei den Landtagswahlen 2026 für Mannheim-Süd.

Die 49-jährige Kommunalpolitikerin macht sich zudem Sorgen um den verlängerten Arm Erdogans in Mannheim. Auch hier, so Engelhorn, nimmt der Druck auf türkischstämmige Frauen zu, sich „religionskonform“ zu kleiden und zu verhalten. „Mannheim ist eine Stadt der Vielfalt und Freiheit“, so Engelhorn. Diese Werte, glaubt sie, müssten nicht nur in der Türkei, sondern auch von den Deutsch-Türken Mannheims verteidigt werden.

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