Interview - Der Vorsitzende der Heinrich-Vetter-Stiftung, Prof. Dr. Peter Frankenberg, zur Arisierungs-Studie und zur aktuellen Diskussion um Heinrich Vetter

"Er muss sehr einsam gewesen sein"

Von 
Susanne Räuchle
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Heinrich Vetter bei einer der zahlreichen Ehrungen im Jahr 2000.

© Stephan

In der Studie "Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim" geht es auch um den Fall Vetter. Der Befund der Recherche ist eindeutig: Drei Grundstücke und fünf Betriebe aus jüdischem Besitz gehen auf das Konto der Familie Vetter.

Herr Professor Frankenberg, waren sie von den nunmehr wissenschaftlich belegten Fakten zur NS-Vergangenheit der Familie Vetter überrascht?

Prof Dr. Frankenberg: Nein, die Vetter-Stiftung hat sich ja mit 30 000 Euro an dem Forschungsprojekt der Universität Mannheim beteiligt, wollte Aufklärung, nachdem der Arbeitskreis Justiz erste Verflechtungen von Heinrich Vetter öffentlich gemacht hatte. Wir waren mit der Autorin der unabhängigen Studie, Christiane Fritsche, und dem Projektleiter Professor Johannes Paulmann immer wieder im Gespräch. Der genaue Umfang der "Arisierungen" und gewisse Details, die dann aktenkundig wurden, waren uns neu. So wussten wir nicht von der Mitgliedschaft von Vetter senior in der Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Arischer Fabrikanten in der Bekleidungsindustrie (Adefa), der die Wissenschaft heute bescheinigt, eine treibende Kraft in der Judenverfolgung der Branche gewesen zu sein. Unbekannt war uns auch die frühe Mitgliedschaft von Heinrich Vetter in der NSDAP und seine kurzzeitige SA-Mitgliedschaft.

Die Autorin teilt "Ariseure" in drei Gruppen ein. Die wenigen Gutwilligen, die jüdischen Bürgern halfen, dann die Skrupellosen, die sich hemmungslos bereicherten, und noch die vielen Opportunisten, die Schnäppchenjäger wie die Vetters, die aber keinen Druck auf jüdische Verkäufer ausübten.

Frankenberg: Dass der geschäftliche Erfolg, der Aufstieg zum großen Unternehmen der streng katholischen Familie Vetter über alles ging, lässt sich nicht wegdiskutieren. Sie gehörte zu den Opportunisten, die jede Gelegenheit nutzten. Dennoch belegen Feldpostbriefe von Heinrich Vetter, dass er kein überzeugter Nazi und kein Antisemit war. Die Familie hat auch noch Geschäfte mit jüdischen Handelspartnern gemacht, als diese längst verboten waren, aber eben auch diese Geschäfte waren profitabel.

Historiker Paulmann hält es für nicht sinnvoll, im Nachgang nun Vetter die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen, wie im Fall des Konstanzer Oberbürgermeisters Bruno Helmle. Was erscheint Ihnen angemessen?

Frankenberg: Der Konstanzer Fall ist nicht vergleichbar. Ehrungen und Würdigungen nun abzuerkennen, den Namen Vetter verschwinden zu lassen, wäre unangemessen, das sehen wir wie Professor Paulmann. Aber natürlich müssen das Bild und die Biografie von Heinrich Vetter um die jetzt bekannten Fakten aus der NS-Vergangenheit und der Nachkriegszeit ergänzt werden. Immerhin - auch das belegt die Studie - hat Vetter im Wiedergutmachungsverfahren alle Forderungen bezahlt, ohne sich streitig zu stellen, wie so viele andere.

Wie wird die Stiftung nun vorgehen?

Frankenberg: Wir werden die Autorin Fritsche bitten, die blinden Flecken in der Vetter-Geschichte - in angemessener Kürze - zu ergänzen. Auf jeden Fall wird auch der Internet-Auftritt dieses dunkle Kapitel nicht weiter ausblenden. Die Stiftungsarbeit bekommt ebenfalls eine neue Qualität, wird nicht mehr nur Geld geben an Nationaltheater, Museen, Universität, sondern zusätzlich Projekte anstoßen. Zum Beispiel die Aufarbeitung der Ilvesheimer NS-Vergangenheit finanziell unterstützen oder mit dem "Community Art Center" in der Neckarstadt die Integration von Migranten fördern. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet, soll ebenfalls von uns gesponsert werden. Und es wird keine weiteren Vetter-Benennungen geben. Unser neues Altenwohnheim wird Regina-Kaufmann-Haus heißen, nach einer jüdischen Ilversheimerin, die im KZ starb.

Glauben Sie, das Mäzenatentum Heinrich Vetters war Ausfluss schlechten Gewissens?

Frankenberg: Sicherlich. Wie so viele seiner Generation konnte er sich nicht bekennen zu seinen NS-Verstrickungen, wäre ohne Verdrängung zerbrochen an der seelischen Last und hat den Kokon bis zum Lebensende beibehalten, niemand ins Vertrauen gezogen, ohne Familie gelebt. Er muss sehr einsam gewesen sein. Ich glaube, er war sich seiner Schuld bewusst und hat auch deshalb sein gesamtes Vermögen in die Stiftung zum Wohle der Allgemeinheit eingebracht. Er hätte es ja auch verbrauchen können. Wir haben nun als Stiftung die Aufgabe vorwärts zu denken, und das Vermögen so zu lenken, dass es für die Allgemeinheit, für die Wohltätigkeit Gewinn abwirft.

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