Handelsgeschichte, Teil zwei - Vom Wirtschaftswunder über die "wilden 60er" bis zur Entdeckung neuer Quadrate und Handelsformen

"Engelhorn & Ansturm" - die Jahre des Wachstums

Von 
Roger Scholl
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Modenschauen im Schaufenster sind in den Nachkriegstagen eine Sensation.

© Engelhorn & Sturm

Ein Bild steht für diese Zeit: Menschentrauben vor Engelhorn & Sturm, für die die ersten Modenschauen in den Schaufenstern am Gockelsmarkt nichts Geringeres sind als - eine Sensation. Nach den dunklen Jahren geht es aufwärts, mit schnellen Schritten eilt die junge Republik Richtung Wirtschaftswunder.

Models heißen damals, 1950, Mannequins, und die sind am Gockelsmarkt keine hoch bezahlten Profis, sondern Verkäuferinnen aus dem eigenen Haus. Eine recht modern anmutende Auffassung von "Marketing", das man in den 50ern noch "Werbung" nennt. Rudolf und Gerhard Engelhorn junior, die beiden Chefs, legen viel Wert auf solche Aktionen - eine Haltung, die ihre Nachfolger bis heute teilen sollen.

Modisch bewegt man sich rasch weit weg von der Not der frühen Nachkriegsjahre, Paris und New York bestimmen, was in den 60ern "in" ist. Die Damen orientieren sich an Jacky Kennedy, für die Herren sind zum Anzug "Hochwasserhosen", wie sie Cary Grant und Rock Hudson tragen, der letzte Schrei. 1965 feiert das Unternehmen seinen 75. Geburtstag, das Geschäft floriert. Drei Jahre später verjüngt sich die Geschäftsleitung, mit Richard, Peter und Hans Engelhorn steigt die dritte Generation ein. Mit ihr kommen frische Ideen, man setzt auf Teamarbeit und Fortbildung.

Modern wird auch das Haus, 1972 geht es auf zentralen Rolltreppen nach oben, die Torte, die die Engelhörner zur Wiedereröffnung spendieren, ist mannshoch. Modisch ist die "Flower-Power"-Zeit angebrochen, im Unternehmen selbst blüht der Service-Gedanke auf: Engelhorn & Sturm hat nun eine Tennis-Schule, wenig später folgen die Ski- und die Gymnastikschule. Man will mehr sein als ein "Hosenverkäufer", bietet der Kundschaft schon früh das, was später "Erlebnis-Einkauf" genannt werden wird. Wir sind in den 80ern, in der Zeit der überbreiten "Schupos", der Schulterpolster, der engen Karotten-Hosen und der sackweiten Jacketts. Auch das Unternehmen entdeckt die Weite und die Breite für sich, man expandiert auf andere Grundstücke. Den Anfang macht "Engelhorn Sports", wirtschaftlich ein Volltreffer, der Mut macht, das Konzept der Spezialgeschäfte - "Tausendfüßler", "Les Dessous" oder "Konfetti" (mit Modeschmuck) - voranzutreiben. 1987 eröffnet der "Stadtgarten" auf N 5, Vorläufer späterer Shop-in-Shop-Konzepte.

1990 wird das Unternehmen 100 Jahre alt - "Engelhorn & Ansturm" titelt der "MM" über den Jubiläumsverkauf, der alle Maßstäbe sprengt: Man muss zeitweise wegen Überfüllung das Haus schließen. Plateau-Schuhe sind angesagt, die Damen tragen Tank-Tops, die Herren Holzfäller-Hemden. Zeit für einen erneuten Umbau des Haupthauses, mehr Licht und mehr Raum heißt 1993 die Devise. Zwei Jahre später dann ein Ortswechsel, aus dem "Stadtgarten" wird das Sporthaus, an dessen Stelle das jugendliche "trendhouse" tritt.

Mal Military-Look, mal knallbunt - in den 2000er Jahren weiß die Mode nicht recht, wohin sie will. Engelhorn dagegen schon, man baut das Logistik-Center in Neckarau, wagt sich auf die "grüne Wiese" ins Rhein-Neckar-Zentrum - und holt mit Andreas Hilgenstock und Fabian Engelhorn die nächste Generation ins Führungsteam. Im Haus setzt man auf Luxus- und Designer-Shops, auf große Marken, die Engelhorn in entsprechender Prägnanz präsentiert. Mit "Le Corange" wagt sich das Unternehmen auf neues Terrain, ein edles Restaurant, das zum Gesamt-Konzept "Erlebnis-Haus" passt.

Der Kurs ist gesetzt, ab 2008 handelt Engelhorn im weltweiten Datennetz - der E-Shop eröffnet. Mit Simon Engelhorn verstärkt ab 2012 ein weiteres Familienmitglied die Chef-Etage, ein Jahr später stehen die Modernisierung des "trendhouse" und die Eröffnung eines weiteren Restaurants, Opus IV, an. Nach dem Verzicht, auch im neuen Stadtquartier Q 6/Q 7 Flagge zu zeigen, braucht man für die Expansion im eigenen Haus mehr Platz. Engelhorn setzt "eins drauf", Design-Sortimente wachsen, das Modehaus wird aufwendig renoviert, ein weiteres Restaurant, der "Dachgarten", lädt sich Premierengäste ein.

125 Jahre Engelhorn im Zeitraffer - und die Geschichte scheint noch lange nicht zu Ende zu sein.

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