Vor 50 Jahren - Nächtliche Zerstörungsaktion im Karl-Friedrich-Gymnasium / Drohungen und Schmähungen auf drei Stockwerken des Gebäudes

Empörungswelle nach „Schweinerei“

Von 
Susanne Räuchle
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Wände beschmiert, Schlösser zementiert: So berichtete der „MM“ 1970 über den Zwischenfall am KFG. © Getty Images/iStockphoto

Es geschah vor genau 50 Jahren in der Nacht zum 4. Juli im Karl-Friedrich-Gymnasium. In den Tempel humanistischer Bildung, die Brutstätte des freien Geistes, dringen Jugendliche unerkannt ein, und der radikale Zeitgeist jener Tage tobt sich zur Geisterstunde aus. An Flurwänden und Türen des altehrwürdigen Baus manifestiert sich die Weltrevolution in linken Parolen und Hammer-und-Sichel-Insignien. Agitation und Hetze schlagen sich auf drei Geschossen nieder, und wohl als Zeichen gegen die festbetonierten gesellschaftlichen Zustände speisen die Akteure auch noch alle Schlüssellöcher mit Zement zu. Die Empörung von Lehrern und Eltern am Morgen danach verschafft sich in einem knappen Kommentar Luft: „Eine große Schweinerei!“ Da sind sich Direktor Karl Albert Müller, seine Kollegen und Eltern einig.

Die Störung des Schulfriedens schlug hohe Wellen, am Samstagmorgen – damals noch nicht unterrichtsfrei – wurden die Schüler nach Hause geschickt, die Kripo untersuchte den Fall. Am Montag konnten sich Eltern, Schüler, ja alle bei einem Tag der offenen Tür ein Bild machen von den umstürzlerischen Hass-Botschaften und vom Ausmaß der Zerstörungswut. Der Schaden wurde auf 10 000 Mark beziffert, damals eine riesige Summe.

Die Graffiti-Guerilla hatte schon am Eingang zwei griechische Statuen mit Hammer und Sichel sowie Hakenkreuz entweiht. Die Kampffarbe Rot dominierte das ganze Haus, nicht nur die gängigen Sprüche der radikalen studentischen Bewegung waren zu lesen, sondern auch Beleidigungen und üble Schmähungen gegen Lehrer. Vor allem gegen Direktor Müller, im Schuljargon „Molli“ genannt. „Molli denk an Spreti“ stand am Konferenzzimmer, eine Hassbotschaft und Morddrohung, die sich auf eine damals aktuelle Gewalttat bezog. Graf Karl von Spreti, deutscher Botschafter in Guatemala, war wenige Monate zuvor, am 31. März 1970, von der linksterroristischen Guerilla FAR im Dienst entführt und am 5. April 1970 ermordet worden.

„Lakaien des Faschismus“

Das politische Klima im Sommer 1970 war also aufgeladen. Nach der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 aus der Gefängnisbibliothek in Berlin formierte sich die Baader-Meinhof-Gruppe zur Roten Armee Fraktion, die als RAF in zwei Generationen bis in die 90er Jahre eine Blutspur des Terrors legte, 33 Morde verübte.

Doch zurück zur kleinen KFG-Revolte im Juli 1970, als die nachtaktiven „Klassenkämpfer“ sich wohl in der modischen „Macht kaputt, was euch kaputt macht“-Attitüde gefielen, getreu dem angesagten Kultsong von Ton Steine Scherben. Man versuchte sich im Schutz der Dunkelheit in Anarchie, Sokrates bekam eine rote Nase, Cäsar einen roten Schnurrbart, Vergil Teufelshörner – alles noch die harmlosen Variationen. Doch dass man „Molli“ ein zynisches Zitat anhängte, traf den Direktor ins Mark, mehr noch als der Spreti-Fluch: „Der Abgang der Arbeiterkinder ist ein notwendiger humanistischer Verschleiß“, wurde dem Direktor in den Mund gelegt und an die Wand gemalt. Nie habe er sich so über die Bildungschancen von Arbeiterkindern geäußert. Im Gegenteil, er sei Mitinitiator eines Schulversuchs, der Kindern aus bildungsschwachen Familien den Übergang aufs Gymnasium erleichtern solle, sah er sich von diesem Frontal-Angriff in die Defensive gedrängt. Andere Lehrer bekamen als „Lakaien des Faschismus“ Saures, wurden als „Steißtrommler, Denunzianten und Kollaborateure“ beschimpft. „An Farbe wurde nicht gespart“, vermerkte „MM“-Redakteur Hermann Mac Barchet.

Doch die Parolen verfehlten ihre Wirkung. „Schüler aller Klassen vereinigt euch“ sollte in sattem Rot alle unterdrückten und geknechteten KFGler zur Geschlossenheit ermuntern. War dann aber nicht so. Die Schulsprecher meldeten sich rasch zu Wort, distanzierten sich von dem sinnlosen Störversuch, eine solche Aktion habe nichts mit einer progressiven Politik im Sinne der Schülerschaft zu tun. Auch der Elternbeirat verurteilte die Praktiken aufs Schärfste, Bedrohung und Beschädigungen seien keine Mittel zur ideologischen Auseinandersetzung, wollte sich aber „durch derartig primitive Handlungen“ nicht provozieren lassen.

Vermutet wurden die Täter in den Reihen der Unterprima. Sie meldeten sich später, es gab disziplinarische Maßnahmen. Doch den jugendlichen Bekennern wurde die Zukunft nicht verbaut. Es kam zu keinem Schulverweis.

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