Naturschutz - Nach einer unheilvollen Saison brüten wieder Greife im Turm von Konkordien

Emanzipation bei den Falken

Von 
Susanne Räuchle
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Hier brütet Falkenweibchen auf seinem Gelege im Nest hoch über der Innenstadt. © Rietschel

Mannheim. Das Wanderfalken-Männchen rührt sich nicht, hat die Augen geschlossen, liegt flach in seinem Horst hoch oben im Turm der Konkordien-Kirche. Den Naturschutzbeauftragten Gerhard Rietschel durchzuckt schon ein heiliger Schreck. Um Gottes Willen – nicht schon wieder ein Todesfall. Und dann bewegt sich der Vogel doch, hat nur gepennt, beim Brutgeschäft geschlafen. Kräfte tanken, ehe er zu seinem nächsten Jagdausflug startet.

Gute Nachrichten also von hoch oben, die Falkengeneration 2018 scheint gesichert. Nach dem Totalausfall 2017 brütet nun ein neues junges Paar vier Eier aus. Woher die beiden kommen, wie alt sie sind, lässt sich nicht erkennen, beide sind unberingt, aber nicht mehr ledig. Zwischen dem Paar herrscht Treue und blindes Verstehen. Er, so Rietschel, bricht sogar mit alten Rollenklischees, hockt ganz gegen seine Art ausdauernd auf dem Gelege, während sie unterwegs Beute schlägt.

Durch seine Gucklöcher kann Falkenfreund Rietschel nun wieder das Treiben in luftiger Höhe beobachten, nachdem im vergangenen Jahr Sendepause war. Vier Jahre lang hatte sich unterm Dach der christlichen Kirche eine sensationelle Dreiecksbeziehung abgespielt, zwei Weibchen teilten sich einträchtig einen Terzel – den Falkenmann. Eine Nistgemeinschaft, wie sie in dieser Art weltweit noch nie beobachtet worden war. Eine Sensation in der Vogelkunde. Doch dann endete das einmalige Mannheimer Miteinander giftig. Ein krankes Weibchen ließ sich aufgreifen, verendete trotz bester Pflege.

Durchbrüche Ende April

Die Untersuchung beim Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe und dem Idexx Vet Med Labor Ludwigsburg ergab: Tod vermutlich durch Bleivergiftung. Die Leber enthielt das 18-fache der toxischen Konzentration. Vielleicht trug ein Beutevogel die tödliche Fracht in Form von Schrot- oder Luftgewehrkugeln in sich, war angeschossen worden, ehe der Falke zuschlug? Möglich auch, dass die beiden anderen Konkordiengreife aus der Dreierbeziehung ebenfalls an dem Blei starben – das Nest auf Konkordien blieb jedenfalls verwaist, die Brutsaison verlief erfolglos.

Doch nun sind in R 2 wieder dramatische Szenen mit Rupfen und Reißen zu erwarten. Und Rietschel steigt mit 77 Jahren (und neuem Hüftgelenk) locker wie immer die Treppen hoch, um das Schauspiel zu beobachten. So um den 25. April ist mit den ersten Durchbrüchen zu rechnen. Und wenn die Jungen dann geschlüpft sind, lässt der Naturschützer ihnen etwa 15 bis 22 Tage Zeit, ehe er ihnen die Ringe anlegt. Eine Aktion übrigens, die von den Alten nicht gern gesehen und von den Nestlingen nur recht widerwillg erduldet wird.

Auch die Wanderfalken vom Großkraftwerk zeigen sich übrigens rege und munter. Beide „Kaminzimmer“ sind belegt, in einem Horst liegen drei Eier, im anderen ist die Kamera ausgefallen. Und der Nistplatz bei Wetlog auf der Friesenheimer Insel wird ebenfalls fleißig vom Falco peregrinus – wie er in Fachkreisen genannt wird – umringt. Doch dieser Abluftschacht ist heiß umkämpft, Nilgänse machen den stolzen Jagdvögeln den Sitz streitig, und gegen diese aggressiven plumpen Vögel ist der elegante Greif machtlos.

Live auf Sendung

Auf Konkordien genießen die Falken seit 1996 uneingeschränkte Lufthoheit, seit 2010 werden die Familiengeschichten live auf einen Bildschirm in der Aula der Mozartschule übertragen, und ab nächstem Jahr wird eine neue Kameratechnik das Schauspiel noch schärfer übertragen, naturnah von blutig bis zärtlich und kämpferisch. Einstweilen spielen sich aber noch die Szenen vom geduldigen Ausbrüten der Eier ab und vom zierlichen Konkordien-Terzel, der sein viel größeres Weibchen so emanzipiert und ganz ohne Macho-Allüren beim Brutgeschäft unterstützt.

Wanderfalken

  • Der Vogel war Anfang der 1970er Jahre bundesweit vom Aussterben bedroht, das Insektengift DDT ließ die Schalen seiner Eier dünn und brüchig werden.
  • Nach dem Verbot des Umweltgiftes erlebte der Falco peregrinus dank der engagierten Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz ein Comeback.
  • Seit genau 30 Jahren nisten nun wieder Wanderfalken in Mannheim, 1988 brütete erstmals ein Paar am Kirchturm von St. Peter.
  • Es folgten Horste am Fernmeldeturm, auf Konkordien, am Großkraftwerk und im Industriegebiet auf der Friesenheimer Insel. Mehr als 180 Mannheimer Wanderfalken-Junge schlüpften seither. 

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