Mannheim. Eine Elfe öffnet die Tür. Mit zartrosa Flügeln und einer silbernen Krone. Gleich darauf tapst ihr kleiner Bruder um die Ecken, und hinter ihm rutscht die einjährige Frida auf einem kleinen Laufrad an. Der Vater der Elfe führt in das 70 Quadratmeter große Wohnzimmer, vorbei an Fahrradanhängern und Regalen, vollgestellt mit Büchern und Spielen. Dort, in der „Kneipe“, sitzen Fridas Eltern noch beim Essen und winken kurz herüber. Innerhalb von Minuten fühlt man sich heimisch, eine Begrüßung wie für einen Freund der Familie. Oder besser gesagt: der Familien.
18 Erwachsene und fünf Kinder leben im Solidarischen Wohn- und Kulturraum (SWK) auf dem Turley Areal. Familien wie Singles. Die Bewohner sind zwischen einem und 40 Jahren alt und teilen sich außer dem privaten Schlafzimmer fast alles: Küche, Bad, Keller und Dachterrasse, Essen, Spielzeug und auch mal das Auto. Eine riesige WG – inklusive Putzplan und Einkaufsdienst.
Seit zwei Jahren leben sie in ihrem Neubau in der Fritz-Salm-Straße und sind noch immer überzeugt von ihrer Idee des Zusammenlebens. „Es gab da keine Realität, die mich eingeholt hat – es ist tatsächlich so, wie ich mir das vorgestellt habe“, erzählt Matthias Schulz. Und Nicole, die hier mit ihrer elfjährigen Tochter Alina lebt, nickt zustimmend.
Die meisten SWK-Bewohner kennen sich seit vielen Jahren, viele lebten zuvor in der Neckarstadt-West, sie waren Nachbarn, Freunde. „Die Idee eines gemeinsamen Projekts kam so vor acht Jahren auf“, erzählt Nicole, die nur mit ihrem Vornamen in der Zeitung erscheinen möchte. „Wir wollten miteinander wohnen und nicht so anonym nebeneinander her, wie das in einer Stadt eben oft der Fall ist.“ Und mit dem gemeinsamen Wohnraum auch Ressourcen teilen, sei es die Bohrmaschine oder der Einsatz als Babysitter.
„Ziemlich cool“
„Ich habe seit dem Studium immer in WGs gelebt und das auch immer gerne“, erzählt Matthias Schulz (33). Seinen Mitstreitern ging es ähnlich, SWK war von Anfang an als große WG angelegt. „Wir haben aber so geplant, dass es recht unkompliziert möglich ist, ganze Einheiten abzutrennen“, sagt Nicole. „Aber bisher war das für niemanden ein Thema.“
Dass die Stadt das Wohnungsangebot auf den Konversionsflächen „größer, bunter und breiter“ als bisher aufstellen wollte, war für die Gruppe nach der erfolglosen Suche nach einer geeigneten Immobilie die große Chance. Mit einem Architekten, der Erfahrung mit alternativen Projekten hat, planten sie ihr Haus. „Wir haben uns beim ersten Treffen in vier Kleingruppen aufgeteilt und festgestellt, dass sich unsere Vorstellungen fast decken“, sagt Nicole.
Heraus kam ein Neubau mit 850 Quadratmetern Wohnfläche und großzügigen Räumen mit viel Fensterfläche und Holzboden. Jedes Stockwerk hat einen Gemeinschaftsraum, eine Küche, Bäder und Toiletten. Im ersten Stock gibt es ein gemütliches Wohnzimmer – „für gemeinsame Filmabende“ –, im zweiten eine 80 Quadratmeter große Dachterrasse, im Erdgeschoss eine Terrasse mit kleinem Garten, der irgendwann direkt in den geplanten Quartierspark übergehen wird, und die „Kneipe“, außerdem eine Küche mit Industrieherd – „für gemeinsame Abendessen“. Im Keller gibt es eine Waschküche, eine Werkstatt sowie einen großen Raum für öffentliche Veranstaltungen, Vorträge, Partys oder Sport.
Die Privaträume sind zwischen 16,5 und 22 Quadratmeter groß, Familien haben oft mehrere Zimmer nebeneinander. Alina allerdings, Nicoles Tochter, wohnt einige Zimmer von ihrer Mutter entfernt. Sie wollte ihr Reich lieber bei den anderen Kindern und „näher am Bad“ haben, wie sie sagt. Nach einer Eingewöhnungszeit findet sie es mittlerweile „ziemlich cool“, hier zu wohnen. Auch ihre Freunde sind gerne zu Besuch. „Ein so großes Haus bietet für eine Übernachtungsparty eben ganz andere Möglichkeiten als eine Stadtwohnung“, sagt Mutter Nicole.
„Natürlich ist das Zusammenleben manchmal fordernd und anstrengend“, sagt Schulz. Aber in welcher WG oder Familie sei es das nicht. So gibt es Aufgaben in der Verwaltung des Hauses, um die sich die Bewohner nicht gerade gerissen haben, oder Dienste, die auch mal nicht erledigt werden. „Aber bisher haben wir für alles eine Lösung gefunden.“ Man müsse eben miteinander reden. Wie in jeder Familie.
Alternative Projekte in Mannheim
- Wohnraumangebote schaffen, die bisher in Mannheim fehlen: Das wollte die MWS Projektentwicklungsgesellschaft in der Stadt erreichen. Auf den Konversionsflächen sollten deshalb auch alternative Wohnprojekte eine Chance bekommen, die bei üblichen Immobilienmarktpreisen wohl nicht zustande gekommen wären.
- Auf Turley entstanden so neben SWK die ebenfalls gemeinschaftlichen und selbstverwalteten Projekte „13haFreiheit“ und „UmBAU²-Turley“. „13haFreiheit“ hat das denkmalgeschützte Gebäude Nr. 472 der Kaiser-Wilhelm-Kaserne gekauft und saniert. Heute leben hier in 29 Wohneinheiten Singles, Paare, Familien und Wohngemeinschaften. Im Neubau von „UmBAU²“-Turley leben in einzelnen Wohnungen rund 30 Menschen im Alter von einem Monat bis Ende 50. Zudem haben zwei Wohnungen eine soziale Widmung und sind derzeit an syrische Familien vermietet. Beide Häuser bieten viel Platz zur gemeinschaftlichen Nutzung.
- Gemeinsam ist allen Projekten die Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser Syndikat. Der Verbund berät selbstorganisierte Hausprojekte und beteiligt sich an ihnen. Das Syndikat will es so auch Menschen ohne dicken Geldbeutel ermöglichen, geeignete Immobilien zu kaufen. Die Häuser gehören einer Hausbesitz-GmbH, deren Gesellschafter zum einen der Hausverein – also die Bewohner – und zum anderen das Mietshäuser Syndikat sind. So soll verhindert werden, dass das Haus bei Streitigkeiten oder anderen Problemen von den Bewohnern wieder verkauft wird. Es ist dem Immobilienmarkt dauerhaft entzogen.
- Zur Finanzierung zahlen die Bewohner, wie in einem normalen Mietverhältnis, Miete. Der Quadratmeterpreis (Kaltmiete) liegt bei SWK zum Beispiel bei 7,60 Euro. Ein Teil davon, der sogenannte „Soli“, ermöglicht innerhalb der Mieterschaft Spielräume, um in schwierigen finanziellen Lagen Einzelnen Unterstützung bieten zu können.
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