Studie - Das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung untersucht politische Unterhaltungen im Alltag / Bürger-Befragungen beginnen Mitte des Monats

Eine Stadt im Gespräch - und die Uni hört hin

Von 
Anne-Kathrin Jeschke
Lesedauer: 

Wissenschaftler im Gespräch - diesmal über der Stadt: Christiane Grill, die das Forschungsprojekt koordiniert, und Studienleiter Rüdiger Schmitt-Beck.

© Jeschke

Die Wahl in Frankreich, Xavier Naidoos Songtexte, der Ärger mit der Gelben Tonne: Über welche politischen Themen sprechen die Mannheimer? Und mit wem? Welchen Ton schlagen sie dabei an? Das sind Fragen, denen Wissenschaftler des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) gerade nachgehen: Mit der Studie "Mannheimer Stadtgespräch" wollen sie die demokratische Gesprächskultur im Alltag der Stadtbewohner erforschen.

Dafür befragen ab Mitte Mai mehr als 60 Mitarbeiter eines Umfrageinstituts im Auftrag der Uni rund 1400 zufällig ausgewählte wahlberechtigte Bürger. Und zwar nicht am Telefon und nicht online, sondern persönlich. "Die Qualität der Daten wird dadurch wesentlich besser", sagt Rüdiger Schmitt-Beck, Professor am MZES und Leiter der Studie. Sein Team will wissen, ob die Mannheimer diese Zeitung lesen, ob sie online das Morgenweb ansteuern oder über welche anderen lokalen Medien sie ihre Informationen bekommen. Sie fragen sich, ob die Berichterstattung das Gespräch über politische Themen beeinflusst - und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt. "Wir möchten wissen, wie sich Fake News und Hass-Kommentare in sozialen Netzwerken auf die Kommunikation auswirken", sagt Christiane Grill, die das Forschungsprojekt koordiniert: Kann man heute überhaupt noch "normal" über Politik diskutieren? Und fühlen sich die Mannheimer frei, ihre Meinung zu äußern?

Bislang vernachlässigtes Thema

Es handelt sich um "eine Studie, die am Zeitgeist ansetzt", betont Rüdiger Schmitt-Beck. Sie sei für Deutschland und den europäischen Raum "einzigartig und wegweisend". Denn die Politikwissenschaft habe der Alltagskommunikation bislang zu wenig Beachtung geschenkt. Eine Einschätzung, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) teilt. Die von Bund und Ländern geförderte Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft finanziert das 750 000 Euro teure Projekt: "Es könnte dazu beitragen, eine Lücke in der empirischen Forschung zu schließen", teilt DFG-Sprecher Marco Finetti mit.

Mannheim eigne sich ausgezeichnet für diese "Selbstaufklärung der demokratischen Gesellschaft", finden Schmitt-Beck und Grill: Weil es die komplexe Sozialstruktur einer typischen deutschen Großstadt aufweise. "Die Stadt ist gesellschaftlich und alltagskulturell vielfältiger aufgestellt als beispielsweise Heidelberg", sagt der Politikwissenschaftler. Nun hoffen beide darauf, dass die Mannheimer ihr Projekt unterstützen, indem sie den Interviewern Rede und Antwort stehen. Dabei ist ihnen besonders wichtig, dass nicht nur politisch interessierte und engagierte Bürger an der Befragung teilnehmen. "Wir bitten auch diejenigen ausdrücklich, mitzumachen, die normalerweise nicht über Politik sprechen", betont Schmitt-Beck - nur so können die Wissenschaftler die "Stadtgespräche" realistisch abbilden und auswerten. Für die Politikverdrossenen unter den Mannheimern gibt es sogar spezielle Fragen. Denn die Forscher wollen wissen, warum sie sich nicht dafür interessieren - oder warum sie nicht mit anderen darüber reden.

Die Befragungen für die Studie sollen maximal bis zur Bundestagswahl im September laufen. Mit Spannung erwartet Christiane Grill, ob sich die "Stadtgespräche" mit dem näherrückenden Wahltermin verändern werden. Doch in der Studie geht es um mehr als nur die "großen" Themen: "Wir wollen nicht nur wissen, was die Mannheimer über Angela Merkel denken oder wie sie die Bundesparteien bewerten. Sondern welche kommunalen Entscheidungen sie bewegen", erklärt Christiane Grill. Und auch Gesprächsthemen außerhalb der Politik, die etwa das Arbeits- oder Familienleben betreffen, interessieren die Politik- und Sozialwissenschaftler.

Rüdiger Schmitt-Beck hat vor einigen Jahren bereits das Demokratie-Audit Mannheim (DAMA) mitgeleitet, eine Studie zu politischen Einstellungen der Mannheimer, zu ihrer Beteiligungsbereitschaft und darüber, wie Demokratie in der Stadt aus ihrer Sicht funktioniert. "Die neue Untersuchung knüpft daran an - aber mit erheblich größerem Aufwand", sagt der Professor.

Peter Kurz animiert zur Teilnahme

Die Schirmherrschaft für das "Mannheimer Stadtgespräch" hat Oberbürgermeister Peter Kurz übernommen. In einem Anschreiben richtet auch er das Wort an diejenigen, die zur Teilnahme an der Studie ausgewählt worden sind und darüber zunächst per Post informiert werden: "Die Studie will die Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern in unserer Gesellschaft stärken", betont er. "Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich an dem Projekt beteiligen." Die Unterstützung der Stadt bedeute aber nicht, dass die Verwaltung die Studie in Auftrag gegeben hat, betont Professor Schmitt-Beck. "Es handelt sich um ein rein wissenschaftliches Projekt. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit online zugänglich gemacht." Mit ersten Erkenntnissen rechnet Schmitt-Beck Anfang 2018.

Aufwendige Studie mit persönlichen Befragungen

  • Ausgewählte Mannheimer bekommen in den kommenden Wochen ein Schreiben des Projekts, in dem sie auf die Studie hingewiesen und eingeladen werden, teilzunehmen.
  • Sie sind nach einem zufälligen Verfahren aus dem Einwohnerregister der Stadt ausgesucht worden.
  • Die Interviews führen Mitarbeiter des Bochumer Umfrageinstituts Foerster & Thelen Marktforschung Feldservice im Auftrag der Uni.
  • Sie besuchen die Gesprächspartner spontan zu Hause - die Befragung dauert rund 60 Minuten.
  • Die Teilnahme ist natürlich freiwillig. Wer mitmacht, bekommt eine Aufwandsentschädigung in Höhe von zehn Euro.
  • Die Daten werden anonymisiert, Rückschlüsse auf Einzelpersonen sind nach Angaben der Forscher nicht möglich. Personenbezogene Informationen werden nach Projekt-ende gelöscht.
  • Das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität ist nach eigenen Angaben die größte sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtung einer deutschen Uni.
  • Weitere Informationen finden Interessierte im Internet: www.mannheimer-stadt-gespraech.de.

Freie Autorin Seit 2014 freie Journalistin in Mannheim. Davor: Journalistik-Studium in Leipzig, Volontariat beim "Mannheimer Morgen", Redakteurin beim "MM" und beim "Öko-Test-Verlag" in Frankfurt.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen