Mannheim. Ein schweres Erdbeben hat die Bergregion 75 Kilometer südlich von Marrakesch in Marokko getroffen. Mehr als 2800 Menschen sind bisher ums Leben gekommen. Die Mannheimerin Sabina BenChaira, die in Marrakesch ein Hotel betreibt, schildert im Gespräch mit dem „MM“, wie sie das Beben erlebt hat, und erzählt über die aktuelle Lage vor Ort.
Frau BenChaira, wo waren Sie, als das Beben losging, und was passierte in den ersten Minuten?
Sabina BenChaira: Es war 23 Uhr, ich war zu Hause auf unserer Farm nördlich von Marrakesch und gerade auf dem Weg ins Bett. Dann war da plötzlich ein Geräusch. Erst dachte ich an ein Flugzeug, dann fürchtete ich, ein Flugzeug stürzt gerade ab. Das war das Schlimmste. Ich konnte das Geräusch nicht einordnen. Dann wackelte alles. Mein Mann kam mir entgegengerast, wir waren in Panik. Wir sind unter einen Tisch geflüchtet, dieses Bild hatten wir im Kopf, dass man das so macht. Das Beben hat bestimmt fünf Minuten gedauert.
Konnten Sie eine Verbindung in die Stadt herstellen?
BenChaira: Als das Beben nachließ, sind wir sofort nach draußen gestürzt. Da kam auch schon der Anruf von einem unserer Mitarbeiter aus Marrakesch, das Hotel sei eingestürzt. Auch er war völlig panisch. Das Wasser im Pool sei übergeschwappt. Der Strom sei weg.
Waren zu diesem Zeitpunkt Gäste im Hotel?
BenChaira: Ja. Er selbst und die Gäste sind nach draußen zum großen Platz, dem Jemaa El-Fnaa, gerannt. Denn in der Altstadt von Marrakesch gibt es viele sehr alte Gebäude, die sehr nah aneinander stehen. Dann kam das erste Bild. Man sah darauf nur Trümmer.
Bebenstärken-Vergleich
- Das Erdbeben in Marokko war auf einer Fläche von rund 150 000 Quadratkilometern zu spüren.
- Die stärksten Erschütterungen erreichten eine Stärke von 6,8.
- Das Beben im Februar in der Türkei und Syrien erreichte eine Stärke von 7,8.
- Das Beben, das in Japan im Jahr 2011 eine atomare Katastrophe auslöste, hatte eine Stärke von 9,1.
Haben Sie in der Nacht noch versucht, zum Hotel zu gelangen?
BenChaira: Nein, denn wir wussten gar nicht, wie befahrbar die Straßen waren. Telefonieren war auch schwierig, denn das Mobilnetz ist ständig zusammengebrochen, weil natürlich jeder von jedem wissen wollte, ob er noch lebt. Wir konnten unseren Mitarbeiter dann mehrfach erreichen und haben versucht, eine klare Aussage zu bekommen. Die Rezeption stand noch, und er ist reingegangen, um nach den Gästen zu schauen. Es waren tatsächlich noch Gäste drinnen, zum Glück unversehrt. Eine Familie mit Kind und ein älterer Mann, der das Beben allen Ernstes verschlafen hat. Alle Gäste und Mitarbeiter haben sich Decken geschnappt und auf dem Jemaa El-Fnaa gecampt, der Platz war voller Menschen.
Wie kam es, dass Ihr Hotel doch nicht eingestürzt war?
BenChaira: Das war die Panik im ersten Moment, die uns alle ergriffen hat. Unser Mitarbeiter dachte, dass Gebäude sei eingestürzt, aber es war nur die Außenmauer. Zum Glück hatten wir an dieser Stelle zur Isolation eine Zweitmauer errichtet. Ich denke, das hat das ganze Gebäude gestützt, so dass nur ein Teil eingestürzt ist.
Zu welchem Zeitpunkt haben Sie sich dann in Sicherheit gefühlt?
BenChaira: Erst sehr viel später in der Nacht. Man erschrickt bei jedem Geräusch fürchterlich. Unsere Mitarbeiter, die in Richtung Atlasgebirge wohnen, haben Angehörige verloren und teilweise ihre Häuser. Jeder hat versucht, jeden zu erreichen, lebst du? Es war sehr emotional die ganze Nacht hindurch. Wir haben uns um morgensum 6 Uhr ins Bett gelegt und dann vor Erschöpfung nicht mal mehr die kleineren Nachbeben mitbekommen.
Wie ist aktuell die Lage in Marrakesch?
BenChaira: Sie normalisiert sich. Im nördlichen Teil der Stadt ist nicht so viel kaputt gegangen, es sind angeblich 15 bis 20 Menschen ums Leben gekommen. Ein Großteil der Stadt ist aufgeräumt. Aber man muss sagen, dass es nicht der Staat ist, der aufräumt, sondern die Eigeninitiative der Bewohner. Wir sollten eigentlich alles liegen lassen, bis die Versicherung kommt und den Schaden anschaut. Aber das ist unmöglich. Unser Hotel ist das erste Haus der Straße, und die Trümmer versperren den Weg für alle nach uns. Wenn es Nachbeben gibt, könnte alles zusammenbrechen. Wir mussten sofort anfangen zu reparieren, um die Sicherheit des Gebäudes zu gewährleisten. Bei so einem großen Schaden kann man nicht darauf warten, dass noch etwas passiert.
Wer hilft Ihnen denn aktuell?
BenChaira: Ich mache mir um die Stadt weniger Sorgen. Es gibt im Oktober einen großen Kongress in Marrakesch. Das ist eine Prestigesache, bis dahin wird alles repariert sein. Ich mache mir mehr Sorgen um die Bergregionen. Da ist es ganz schlimm. Viele Menschen, die in Marrakesch leben, bringen Decken, Medikamente, Trinkwasser und Brot in die Bergregionen. Die haben immer noch keinen Strom, und der Winter kommt in den Bergen schon im Oktober. Wenn die Häuser dann nicht wieder aufgebaut sind, haben die Menschen dort ein Problem.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-eine-mannheimerin-erlebt-die-katastrophe-in-marrakesch-hautnah-_arid,2124799.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/vermischtes_artikel,-vermischtes-ueberlebenskampf-in-marokkos-erdbebengebieten-_arid,2124500.html