Interview

Eine attraktive Innenstadt in Mannheim - auch eine Frage der Psychologie

Die Konsumenten-Psychologin Michaela Wänke erklärt, welche Faktoren die Mannheimer City beleben und zu mehr Sauberkeit führen könnten. Die autofreie Innenstadt ist für sie dabei nur einer davon

Von 
Valerie Gerards
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Die Planken könnten laut der Expertin mehr Individualität vertragen. © Michael Ruffler

Mannheim. Wo würden Sie lieber einen Schaufensterbummel machen? Auf den Planken, in der Fressgasse oder der Kunststraße? Es ist schon recht eindeutig, was attraktiver wäre.“ Das sagt die Konsumenten-Psychologin Michaela Wänke auf die Frage, ob Mannheim zu autofreundlich ist. Sie forscht seit zehn Jahren an der Universität Mannheim und befasst sich mit den Bereichen Nachhaltigkeit, Mobilität, Ernährung, soziale Gerechtigkeit und Gesundheit. Der „MM“ hat mit der Professorin über Antworten auf Mannheimer Probleme gesprochen.

Frau Wänke, wie bringt man Menschen dazu, auf Fahrrad oder Nahverkehr umzusteigen?

Michaela Wänke: Mobilität ist im Wesentlichen eine Frage der Gewohnheit. Viele Leute denken überhaupt nicht darüber nach und benutzen dafür eben immer das Auto, das Fahrrad oder den Bus. Nur wenn sich die Umstände drastisch ändern, gibt es einen Grund, ein anderes Verkehrsmittel zu nutzen – zum Beispiel, wenn ein Verkehrsmittel nicht mehr so angenehm und attraktiv ist.

Was bedeutet das in der Praxis?

Wänke: Wenn man als Kommune vom Autoverkehr wegwill, kann man ihn, etwa durch höhere Parkgebühren, weniger attraktiv machen. Das macht aber den Nahverkehr nicht automatisch besser, und die Zufriedenheit ist dann nicht wirklich groß. Wenn man will, dass die Leute auf das Fahrrad oder den Nahverkehr umsteigen, muss man die Alternativen viel, viel attraktiver machen.

Zur Person: Michaela Wänke



  • Michaela Wänke ist seit 2011 Professorin für Konsumenten- Psychologie und ökonomische Psychologie.
  • Zuvor war sie neun Jahre lang Ordinaria für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Basel.
  • Mit ihrem Team forscht sie zu verschiedenen Prozessen innerhalb der Sozial-, Sprach- und Kognitionspsychologie. Dabei fokussiert sie sich besonders auf die Prozesse, die im Kontext von Werbung und politischer Psychologie menschliches Denken, Urteilen und Entscheiden beeinflussen.
  • Des Weiteren ist Wänke Vorsitzende des Prüfungsausschusses Psychologie und Mitglied der Ethikkommission der Universität Mannheim

Was wäre dafür nötig?

Wänke: Schnell-Radwege, so dass man etwa mit dem Fahrrad schneller als mit dem Auto am Ziel ist, und sichere Radwege anstatt einer Schmalspur am Rande einer vielbefahrenen Autostraße. Den öffentlichen Nahverkehr nutzt man, wenn es bequem ist. Umsteigen und auch Wartezeiten sind schon mal schlecht. Da hat Mannheim noch einiges zu tun, um die Taktung von Bus und Straßenbahn zu verbessern. Ich habe lange in der Schweiz gelebt, da fahren die Trams alle fünf Minuten. Davon sind wir in Mannheim weit entfernt. Ich muss hier manchmal 20 Minuten auf den Bus warten. Eine häufigere Taktung würde auch dazu führen, dass die Bahnen nicht so voll wären und man leichter einen Sitzplatz findet. Der Nahverkehr hat aber in einer Sache aufgeholt …

Welche wäre das?

Wänke: Das liegt allerdings gar nicht am Nahverkehr, sondern an anderen Dingen. Wenn ich von der Arbeit nach Hause fahre, fängt der Feierabend eigentlich schon bei der Rückfahrt an: Ins Auto steigen, die Tür schließen, damit ist man privat. Mit den Smartphones und anderen Technologien hat sich das Verhalten der Menschen aber geändert. Ich kann dann im Bus etwa schon mit Freunden chatten, Zeitung lesen, Musik hören oder Filme gucken. Da hat der Nahverkehr aufgeholt, ohne etwas dafür getan zu haben. Aber auch dabei ist es ein Unterschied, ob ich in der Straßenbahn stehe oder einen bequemen Sitzplatz habe. Die schnellere Taktung wäre unerlässlich, wenn der ÖPNV seinen Vorteil ausspielen will.

Wie groß ist die Bedeutung des Autos in den Köpfen der Menschen?

Wänke: Da gibt es verschiedene Ansichten. Es gilt generell die Annahme, dass den Deutschen ihr Auto heilig ist. Ich denke aber, dass sich bei der jüngeren Generation sehr viel geändert hat. Für sie ist das Auto weder ein Statussymbol noch etwas, was ich im Alltag brauche. Aber das hängt natürlich auch sehr stark davon ab, wo man wohnt. Wenn man auf dem Land wohnt, dann ist man in Deutschland ohne Auto tatsächlich verloren.

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Und was ist in diesem Zusammenhang mit den Begriffen Freiheit und Unabhängigkeit?

Wänke: Von dieser individuellen Bedeutung kommen wir gerade langsam weg. Es gibt aber den Unterschied zwischen Auto besitzen und Auto nutzen. Wir haben viele Car-Sharing-Angebote, mit denen man Dinge erledigen kann, etwa einen Weihnachtsbaum holen oder Möbel transportieren, die nicht mit dem Nahverkehr funktionieren. Car-Sharing wird zunehmend beliebter, wobei Mannheim im Vergleich zu anderen Städten, beispielsweise Karlsruhe oder Heidelberg, noch aufholen könnte.

Stichwort Verkehr: Befürchtet der Einzelhandel eigentlich zu Recht, dass die Kaufkraft in der Innenstadt mit verdrängten Autos wegbleiben würde? So manche Händler meinen ja, dass der Weg von den Parkhäusern zum Geschäft zu weit wäre.

Wänke: In Mannheim ist es mir ehrlich gesagt noch nie gelungen, irgendwo direkt vor der Tür eines Geschäfts zu parken. Das kann vielleicht für manche Geschäfte ein Problem sein, zum Beispiel für Weinhandlungen, wo man wirklich etwas tragen muss. Für die große Mehrheit der Geschäfte gilt das, glaube ich, nicht. Ansonsten kann man ein bisschen auf die Vergangenheit verweisen, als in den 1970er- und 1980er-Jahren überall in Deutschland Fußgängerzonen entstanden sind. Das war damals ein Riesenthema. Heute würde niemand mehr ernsthaft behaupten, dass es den Planken schlecht geht, weil dort keine Autos durchfahren dürfen.

Das Internet ist eine Tatsache, die kriegt man nicht mehr weg.

Ist Mannheims Innenstadt also sogar zu autofreundlich, so dass die Kunden lieber im Internet bestellen?

Wänke: Mal ein kleines Gedankenspiel: Früher gab es das Wort „Schaufensterbummel“. Meistens hat man dabei doch etwas gekauft oder es sich für später vorgenommen. Wo würden Sie lieber einen Schaufensterbummel machen? Auf den Planken, in der Fressgasse oder der Kunstgasse? Es ist schon recht eindeutig, was attraktiver wäre. Ich finde es sehr viel angenehmer, auf den Planken zu bummeln als in einer dieser zwei großen Verkehrsadern. Man kann nicht richtig gucken, man kann nicht über die Straße gehen, weil dort Autos fahren. Wenn dann zwischendrin noch ein Straßencafé wäre, ein Brunnen und ein Klettergerüst oder Karussell für Kinder... Okay, die Planken sind jetzt nicht so wahnsinnig attraktiv, weil wir dort sehr viele Ketten haben. Da könnte man etwas unternehmen, indem man versucht, andere anzulocken und ihnen vielleicht mit der Miete entgegenkommen.

Wie könnte es dem Einzelhandel gelingen, das Konsumverhalten vom Internet zurück in die Geschäfte zu bringen?

Wänke: Das Internet ist eine Tatsache, die kriegt man nicht mehr weg. Das Internet hat Vorteile, die der Einzelhandel nicht bieten kann: Wenn ich genau weiß, was ich will, habe ich eine bessere Chance, das bequemer im Internet zu bekommen. Der Einzelhandel kann attraktiver sein, wenn Shoppen ein Erlebnis ist und kleine Geschäfte etwas anbieten, das man im Internet nicht findet. Bei den großen Ketten macht es aber nicht viel aus, ob ich im Geschäft kaufe oder im Internet bestelle.

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Was könnte so eine Innenstadt für Konsumenten konkret bieten?

Wänke: Dieses Gefühl, wie man es aus dem Urlaub kennt, dass man einfach mal bummeln geht und dabei nette Sachen entdeckt, die man so gar nicht vorhatte, zu kaufen. Oder ein individuelles Café. Ich glaube, das macht es aus. Ich kann mir da sehr viel vorstellen. Oder ich denke mal an ein großes schwedisches Möbelhaus mit seinem Kinderparadies. Da gehen Kinder halt einfach gern hin. Für so einen Indoor-Spielplatz, wo die Eltern ihre Kinder abgeben können und ein bisschen bummeln gehen, könnten sich Einzelhändler zusammentun. Engelhorn hatte mal eine Kletterwand und eine Berglandschaft aufgebaut, wo man Schuhe im Gelände ausprobieren konnte. Das sind alles Dinge, die einem das Internet nicht bietet. Da könnte noch viel mehr getan werden.

Die Innenstadt autofrei zu machen, würde viele Chancen bieten.

Aber ausgerechnet das gibt es ja nicht mehr …

Wänke: Woanders gibt es das. Ich habe das gerade in Paris gesehen. Man könnte viel mehr machen, indem man die großen Kaufhäuser so ausstattet, dass es dort mehr Spaß macht, als dass man nur zwischen Kleiderständern herumläuft. Die Einzelhändler könnten sich zusammenschließen und einen Straßenkünstler engagieren, der mal eine Stunde jongliert, oder kleine Konzerte auf öffentlichen Plätzen organisieren. Dazu braucht man eben auch den Raum, und das geht zwischen parkenden Autos schlecht. Die Innenstadt autofrei zu machen, würde viele Chancen bieten. Wie sich das dann rechnet, ist eine andere Frage.

Kippen, Burger-Papier, Essensreste: Das Thema Sauberkeit ist ein Dauerbrenner im Stadtgespräch. Welche Anreize müsste man schaffen, damit die Mannheimer ihre Stadt weniger vermüllen?

Wänke: Ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, dass man das auf den Boden schmeißt.

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Auf den Planken wird häufig gereinigt, aber auf der Breiten Straße und in den Quadraten U bis S sieht es manchmal wirklich schlimm aus.

Wänke: Es fällt mir schwer, dazu etwas zu sagen. In erster Linie ist so etwas eine Informationssache. Man könnte mit Plakaten arbeiten, die Mülleimer auffälliger machen, Fast-Food-Verpackungen mit der Aufforderung bedrucken, die Verpackung im Mülleimer zu entsorgen. Die Leute sind bequem. Der Mülleimer muss direkt neben ihnen stehen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man das viel stärker propagieren muss, die Leute direkt und in freundlicher Art und Weise ansprechen und ihnen das Gefühl geben, dass sie etwas Gutes tun würden. Vielleicht muss man das auch in mehreren Sprachen machen.

Was halten Sie von diesen Mülleimern, die Danke sagen, wenn man etwas hineinwirft?

Wänke: Das ist der Nudging-Ansatz. Am Anfang ist das cool, aber irgendwann wird es extrem nervig. Ein Smiley, der aufleuchtet und die Leute direkt belohnt, wäre besser. Ich glaube wirklich, dass man mit Plakataktionen mehr erreichen könnte. Direkt in der Breiten Straße: „Wir alle wollen ein schönes Mannheim“ oder „Sie wollen ja auch keinen Müll in ihrem Wohnzimmer“, wie es die Deutsche Bahn einmal gemacht hat.

Welche Erkenntnisse aus der Konsumentenforschung könnten noch Mannheim besser machen?

Wänke: Ich glaube, das Wir-Gefühl ist wichtig, wenn man etwas erreichen will. Nicht hier die Stadtverwaltung und dort die Bürger. Wir sind alle Mannheimer und wollen, dass die Stadt lebenswert ist.

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