Oberbürgermeister Peter Kurz spricht an diesem Abend eine deutliche Sprache: „Der Maßstab der Zivilisiertheit ist unser Umgang mit Minderheiten.“ Daher soll 2030 in Mannheim kein Mensch mehr aufgrund seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität diskriminiert werden.
Mit dem vierten Regenbogenempfang am Donnerstagabend im Florian-Waldeck-Saal der Reiss-Engelhorn-Museen möchte die Stadt sich bei den engagierten Bürgern bedanken, die dabei helfen, die Ziele des Leitbilds „Mannheim 2030“ zu erreichen, wie ein respektvolles Zusammenleben in Vielfalt. Dabei sei Mannheim in mehreren Punkten Vorreiter in Baden-Württemberg: Die Quadratestadt ist nicht nur die erste im sogenannten „Rainbow Cities Network“, einem Netzwerk von Städten, die die LSBTI-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle) unterstützen möchte.
Flagge gehisst
Mannheim sei auch die erste Stadt mit einem LSBTI-Beauftragten: Sören Landmann. Auf dessen Initiative hin hat Mannheim als erste kontinentaleuropäische Stadt die „Transgender Pride“ Flagge als Zeichen gegen Transphobie am Rathaus aufgehängt. Landmanns Aufgabe ist es unter anderem, Mitglieder der Community zu unterstützen.
Besonders symbolträchtig ist für Kurz die Tatsache, dass die Polizei erstmals einen Infostand beim CSD-Straßenfest im Ehrenhof des Schlosses haben wird – zum 25. Jubiläum der Abschaffung des Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. „Das war ein weiter Weg von der Bekämpfung der Homosexualität zur Bekämpfung der Homophobie.“
Erfahrungen aus Tunesien
Moderiert wird die Veranstaltung von der angehenden Musiklehrerin Friderike Leitl und Bakus Mejri, einem Flüchtling aus Tunesien, der seit anderthalb Jahren in Deutschland lebt. „In Tunesien ist es verboten, homosexuell zu sein“, erklärt Mejri. Er engagierte sich bei der tunesischen Organisation Shams, die die Regierung dazu auffordert, Homosexualität nicht mehr mit Gefängnis zu bestrafen. Außerdem beschuldigten die Behörden Homosexuelle immer wieder der Sodomie.
Bei der Eröffnung eines queeren Radiosenders wurde Mejri heimlich gefilmt, die Videos wurden später im Netz geteilt. Selbst mehrere Fernsehsender zeigten die Videos, daraufhin musste Mejri fliehen. „Ich konnte nicht mehr zum Einkaufen rausgehen, ohne Angst zu haben, geschlagen oder verfolgt zu werden“, erzählt Mejri. In Mannheim erlebt er immer noch gelegentlich Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe oder seiner sexuellen Orientierung. Unterstützung habe er insbesondere von Sören Landmann erfahren.
Ähnliches ist auch Sanni Est widerfahren. Die Künstlerin ist mit 18 Jahren aus Brasilien ausgewandert, um der Armut und der Transphobie zu entkommen. Seit 2007 lebt sie in Berlin und nutzt ihre Biografie als Grundlage für ihre Musik und ihr Engagement. „Natürlich ist Deutschland viel weiter als Brasilien, wenn es um Trans- und Homophobie geht.“ Es stehe außer Frage, dass 50 Jahre nach dem Aufstand gegen die willkürliche Polizeigewalt sich eine Menge getan habe. Dennoch erlebt sie auch in Berlin immer wieder Transphobie in subtileren Formen: Beispielsweise wird sie in der LSBTI-Community als eine Cis-Frau gelesen – als eine „normale Frau“, wie manche sagen. „Heißt das, dass ich als Transfrau nicht normal bin?“ Sie fragt, wie man eine Identität entwickeln könne, wenn man diese ständig verteidigen und rechtfertigen müsse.
Verbindung zum Klimawandel
Darüber hinaus wehrt sich Est dagegen, das Thema isoliert zu betrachten: LSBTI sei nicht nur mit dem Klimawandel verknüpft, sondern sogar mit Personendaten. „Trump, Putin und Bolsonaro genießen im Internet immer mehr Aufmerksamkeit“, sagt sie über die Präsidenten der USA, Russlands und Brasiliens. Auch auf bestimmte moderne Technologien wie Cambridge Analytica müsse man aufpassen, da ihre Nutzung unvorhersehbare Konsequenzen haben könnte.
Und ein weiteres Problem ist für Est nicht zuletzt der Klimawandel: „Solange nur die Länder des globalen Südens von dem Klimawandel bedroht sind, werden alte, weiße Männer ihre Ärsche nicht bewegen.“ Das Publikum jubelt.
Ein Jahr voller Jubiläen
- Das Motto des diesjährigen Regenbogenempfangs ist „50 Jahre Stonewall“: In den 1960ern kam es in New York zu gewalttätigen Razzien in Schwulenbars, nach denen Gäste verhaftet und angeklagt wurden.
- Ende Juni 1969 widersetzten sich die Gäste in der Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York und vertrieben die Polizei. Daraufhin entbrannte sich eine Straßenschlacht, die als die „Stonewall Riots“ in die Geschichte einging.
- Stonewall gilt als Geburtsstunde der modernen LSBTI-Bürgerrechtsbewegung, denn seitdem hat die Community viele Erfolge verbucht: 1969 wurde der Paragraf 175 entschärft, der sämtliche „unzüchtige“ Handlungen zwischen Männern mit bis zu fünf Jahren Haft oder mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestrafte.
- Nach 1969 gab es noch etwa 4500 Verurteilungen bis zur endgültigen Abschaffung des Paragrafen 1994 – ein weiteres Jubiläum.
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