Die Bühne hält jung. Zumindest gibt es bei Gisela Becker keine andere Erklärung. Mitte März trat sie wieder im Schatzkistl auf, als Putzfrau Berta. Sie fegte, wischte und zauberte. Sie ließ sich die Hand absägen und Flaschen verschwinden. „Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen“, sagt sie. „Der Applaus, die lachenden Gesichter – das gibt mir so viel!“ Vor allem, wie es scheint, jede Menge Lebenskraft. Denn von den 85 Lebensjahren, die nun hinter ihr liegen, merkt man ihr lange nicht alle an.
„Mach doch einfach mit“
Da ist definitiv Zauberei im Spiel. Und Liebe. Denn Gisela Beckers magisches Leben begann auf einer Freizeit des Mannheimer Jugendferienwerks. Sie war als Helferin dabei. Eines Tages führte einer der Jugendpfleger ein paar Zauberkunststücke vor. „Er holte aus einer kleinen Holzkiste Kaffee und Kuchen hervor“, berichtet Becker. Sie war fasziniert. Von der Zauberei und vom Zauberer –Manfred Becker. „Ich dachte mir sofort: Oh, den lade ich mal ein!“ Sie lacht. Ein helles, klares Lachen. „Ab da fing mein zweites Leben an.“
Ihr erstes begann im Osten Berlins. Dort ist sie geboren und aufgewachsen. Bis 1953 lebte sie in der Stadt, dann floh sie aus der DDR. „Wir konnten dort nicht mehr leben, wir mussten gehen“, sagt sie nur. In Mannheim fand sie eine neue Heimat, eine neue Liebe und eine neue Leidenschaft. Sie heiratete Manfred Becker. Und immer wenn ihr Mann zauberte, saß sie im Publikum und lauschte, wie die Menschen auf seine Tricks reagierten. „Ich habe ihm dann Tipps gegeben: ‚Mach das doch so – oder so’“. Immer mehr gestaltete sie die Bühnenauftritte mit. Bis ihr Mann eines Tages sagte: „Weißte was, mach doch einfach mit.“
Ab diesem Zeitpunkt stand sie mit auf der Bühne, sie traten als „El Rana“ und „La Rania“ auf, das Froschpaar. Ungewöhnlich zu dieser Zeit: Damals, in den 70er-Jahren, gab es zwar viele Frauen, die bei Zaubershows dabei waren. „Aber immer nur als Zierde, Deko.“ Zauberinnen waren extrem selten. Die Magie war eine Männerdomäne. Der Magische Zirkel von Deutschland, die nationale Vereinigung der Zauberkünstler, hatte fast nur männliche Mitglieder. Der britische Magic Circle öffnete sich sogar erst 1991 für Frauen.
„Ich fand das immer merkwürdig, dass es so wenige Zauberinnen gab – warum sollten wir das weniger gut können?“ Gisela Becker ließ sich nicht einschüchtern. Zu sehr liebte sie es, auf der Bühne zu stehen. Sie erzählt von Manipulationen, Illusionen und Entfesslungskunststücken. Von Auftritten im Mannheimer Rosengarten, bei der BASF und der Deutschen Bank. „Wir haben Hand in Hand gearbeitet, zu Hause an Auftritten gefeilt und experimentiert. Viele unsere Illusionen hat mein Mann selbst geschreinert.“ Gisela Becker badet jetzt in Erinnerungen. Dann macht sie eine Pause, atmet kurz durch. „Diese Zeit – ich will sie nicht missen.“
Im Juli 1992 wurde Gisela Becker Mitglied im Magischen Zirkel von Deutschland. Ihr Mann übernahm damals den Vorsitz des Ortszirkels „Ma-Lu-Hei“. Und 2003, als Manfred Becker nach schwerer Krankheit starb, baten die Mitglieder sie, seinen Posten zu übernehmen. Seitdem leitet sie den Ortszirkel – und ist damit eine von nur zwei Frauen in Deutschland auf diesem Posten. „Es ändert sich tatsächlich nur langsam etwas“, sagt sie, fügt dann aber stolz hinzu: „Aber wir sind der Ortszirkel mit den meisten Frauen in Deutschland.“ Ob das nicht vor allem an ihr liegt? Sie winkt ab. „Nein, nein. Das liegt an uns allen. Das sind alles so offene, aufgeschlossene und herzliche Menschen. Ich bin wirklich froh, sagen zu können, dass das nicht nur Zauberfreunde sind. Sondern Freunde.“
Berta und Fred
Wie Uwe Amann, der als Hausmeister Fred mit ihr auf der Bühne des Schatzkistl steht. „Das macht mir so einen Spaß. Ich hatte ja schon immer von einer Comedy-Nummer geträumt.“ Sie wollte eben nicht nur die feine Dame „La Rania“ sein, sondern auch mal rumalbern – und so entstand Putzfrau Berta.
Doch natürlich merkt auch Gisela Becker das Alter. Ihre Finger sind nicht mehr so beweglich wie früher. „Kartentricks sind nicht mehr drin.“ Doch Berta, die Putzfrau, will sie sich nicht nehmen lassen. „Solange mich meine Beine noch auf die Bühne tragen, werde ich dort oben stehen!“
Sarah Weik hätte Gisela Becker gerne zu Hause besucht und gemeinsam mit ihr in Erinnerungen und Fotobüchern gestöbert. Aber nach einem ersten kurzen Treffen im Schatzkistl kam das Coronavirus dazwischen. Also telefonierten sie – und Sarah Weik freute sich sehr zu hören, dass Gisela Becker bestens von Studenten in ihrem Haus versorgt wird.
Zaubern und Ehrenamt
- Gisela Becker wurde am 2. April 1935 in Berlin geboren.
- 1953 floh sie aus der DDR und fand in Mannheim eine neue Heimat.
- Mit ihrem Mann Manfred Becker stand sie viele Jahre als „El Rana“ und „La Rania“ gemeinsam auf der Bühne.
- Im Juli 1992 trat sie dem Magischen Zirkel von Deutschland bei, der nationalen Vereinigung der Zauberkünstler. Zu den Mitgliedern gehören etwa auch Siegfried und Roy.
- Der Zirkel ist wiederum in viele Ortszirkel unterteilt. Seit 2003 ist Gisela Becker Vorsitzende des regionalen Ortszirkels „Ma-Lu-Hei“. Bereits 2010 wurde sie wegen ihrer großen Verdienste im Vorstand zum Ehrenmitglied ernannt.
- Neben der Zauberei steht Gisela Becker auch auf der Bürgerbühne des Nationaltheaters und betreut in der Kinderoase der Uniklinik ehrenamtlich Geschwister von kranken Kindern.
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