Andreas Schäfer richtet seinen Blick konzentriert auf den Bildschirm seines Computers, ein Funkgerät in der rechten Hand. "Gentlemen, ich brauche jemanden, der bis 12 Uhr ins Rott auf die Vogelstang fährt", sagt er. Mitten im Büro steht ein Fahrrad. An der Wand hängen kunstvoll drapierte Reifen. Flammendrot ziert der Schriftzug "Flamme rouge" die Wand. Das "Teufelswappen", wie Schäfer sagt. Denn "Flamme rouge" ist ein rotes Tuch, das auf dem letzten Kilometer eines Radrennens geschwenkt wird.
Schnelligkeit als Vorteil
Schäfers Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem sich augenscheinlich alles nur um eins dreht: das Radfahren. Seit 24 Jahren betreibt der gebürtige Bayer in der Neckarstadt einen Fahrradkurierdienst. Ein Job, bei dem man das "Radfahren im Blut haben muss", betont der 48-Jährige. Die Arbeit an sich sei in den vergangenen Jahren im Wesentlichen gleich geblieben, der Kundenstamm habe sich aber durchaus verändert.
"Das Internet hat uns die komplette Werbebranche getötet", sagt Schäfer. Dennoch haben seine Kuriere - insgesamt 25 an der Zahl - jede Menge zu tun. "Wir bringen Krankmeldungen, Kündigungen oder andere wichtige Dokumente zum Kunden; alles, was eben schnell gehen muss."
Denn ihre Schnelligkeit ist der entscheidende Vorteil der Fahrradboten gegenüber der Konkurrenz. "Wenn ich etwas mit der Post verschicke, dann muss ich den Brief oder das Paket erst einmal aufgeben und dann dauert es ein bis zwei Tage, bis die Sendung eintrifft. Bei uns wird sie sofort überbracht", erklärt der Unternehmer.
Bis zu 75 Kilometer täglich
Für die Einen ist es ein Nebenjob, die Anderen verdienen damit ihren Lebensunterhalt, "aber es ist sicherlich kein Job für immer", sagt Johannes Hindahl, der seit Oktober 2012 für Andreas Schäfers "city biker" arbeitet. Denn ein Fahrradkurier legt täglich 50 bis 75 Kilometer zurück. Mit über 20 Stundenkilometern geht es quer durch die Stadt. "Entsprechend wichtig ist es, seine Route zu planen", weiß der Kurier. Auf der Straße ist dann Aufmerksamkeit gefragt. Immer wieder kommt es zu brenzligen Situationen. "Wir hatten in den letzten Jahren aber nicht einen Unfall", resümiert Schäfer.
Der 48-Jährige kennt die Arbeit nur zu gut. Nach einem Unfall suchte der Freeclimber nach neuen sportlichen Herausforderungen - und entdeckte das Radfahren für sich. Schäfer machte sein neues Hobby, seine "Therapie", zum Beruf. Über zehn Jahre strampelte er sich tagtäglich ab und entdeckte dabei auch seine Leidenschaft fürs Rennradfahren. Vor vier Jahren wurde er Dritter bei der 24-Stunden-Weltmeisterschaft im Mountainbikefahren.
24 Stunden sind Schäfers Kuriere nicht im Dienst. "Es gibt zwei Schichten: von 8 bis 13 und von 13 bis 18 Uhr", weiß Hindahl. Doppelschichten seien aber nicht ausgeschlossen. Schafft man das denn, rein körperlich? "Ob man das schafft, weiß ich nicht, aber ich schaffe das, zumindest zwei- oder dreimal in der Woche", erklärt der 24-jährige Informationstechniker, der sein Studium abgeschlossen hat und demnächst auf Jobsuche geht. Vor allem die Anfangszeit als Fahrradkurier sei hart gewesen, "nicht die Arbeit an sich, aber abends war man total platt", erinnert sich Hindahl.
Viele Bewerber
Anstrengungen, die sich lohnen? "Wir sind keine Ausbeuter, bei uns verdient niemand weniger als zehn Euro in der Stunde. Je nach Auftrag gibt es noch eine Provision und dann liegt der Stundenlohn deutlich darüber", erklärt Schäfer, der sich nicht über einen Mangel an Anwärtern beklagen kann. "In den letzten drei, vier Jahren werden es immer mehr. Ich bekomme mittlerweile zehn bis zwanzig Bewerbungen jeden Monat", sagt er.
Aber: Nur ein Bruchteil der Bewerber bekommt die Chance, einen Blick auf die "Flamme rouge" zu erhaschen.
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